Weltweit wird die Anzahl der Menschen, die mit einer Demenz leben, mit 50 Millionen angegeben. In Österreich sind geschätzte 145.431 Personen betroffen.1 Diese Zahlen werden sich nach Prognosen alle 20 Jahre verdoppeln. Die Kosten für Demenz wurden bereits im Jahr 2009 mit 2,9 Milliarden Euro geschätzt.2 Demenz entwickelt sich also schleichend zu einer sehr häufigen Erkrankung, die enorme Kosten für unsere Gesellschaft verursacht.
Alzheimer’s Disease International, eine weltweit agierende Dachorganisation aller Alzheimer-Gesellschaften, führte 2019 eine Untersuchung durch, die ebenso besorgniserregend ist. Demnach machen sich 80 % der Menschen in der Allgemeinbevölkerung vieler Staaten Sorgen, im Laufe ihres Lebens eine Demenz zu entwickeln und dass dagegen nichts unternommen werden könne. Fast 62 % der Gesundheitsexperten meinten, dass Demenz Teil normalen Alterns sei.3
In letzter Zeit wurden jedoch aus verschiedenen populationsbasierten Kohorten-Untersuchungen interessante positive Forschungsergebnisse publiziert, wonach die alters-spezifische Inzidenz demenzieller Erkrankungen in einigen Ländern (hier vor allem reichen Industrieländern) rückläufig sei. Das könnte eventuell dadurch bedingt sein, dass sich Bildung, Ernährung, medizinische Versorgung und der Lebensstil insgesamt in den letzten Jahrzehnten verbessert haben. Zahlreiche Langzeitstudien identifizierten dabei potenziell behandelbare metabolische Risikofaktoren beziehungsweise Risikofaktoren, die im Zusammenhang mit dem aktuellen Lebensstil einer Person stehen, als Ursachen für eine Demenz.4, 5
Zusätzlich zu den von der Lancet Commission 2017 publizierten Risikofaktoren für eine Demenz (geringe Bildung, Bluthochdruck, Hörverlust, Rauchen, Übergewicht, Depressionen, körperliche Inaktivität, Diabetes und geringe Sozialkontakte) ergaben Untersuchungen Evidenz für weitere Risikofaktoren wie Alkoholmissbrauch, traumatische Hirnverletzungen und Luftverschmutzung (Tab.).5
Die Lancet Commission 2020 kommt in ihrer Analyse mit den nun insgesamt 12 evidenzbasierten Risikofaktoren zu dem Ergebnis, dass 40 % der weltweiten Demenzerkrankungen durch diese Risikofaktoren erklärt werden können. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangen Ngandu et al. in der bekannten „Finger-Studie“ (The Finnish Geriatric Intervention Study to Prevent Cognitive Impairment and Disability).6 Sie berechneten ausgehend von den von ihnen angenommenen sieben Risikofaktoren (Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes, körperliche und geistige Inaktivität, Rauchen, Depressionen sowie eine niedrige Bildung), dass ein Drittel der von Alzheimer-Demenz betroffenen Personen durch das Vorhandensein der untersuchten Risikofaktoren erklärt werden kann.
Das Wissen um Risikofaktoren macht es möglich, geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln, um die Gefahr einer Erkrankung entscheidend zu verringern. Auch Ergebnisse aus Interventionsstudien zeigen das Potenzial zur Primärprävention demenzieller Erkrankungen durch Optimierung des Lebensstils weiter auf. Die Ergebnisse solcher Studien ermöglichen eine realistische Berechnung der Verringerung der Prävalenz demenzieller Erkrankungen und das damit zusammenhängende ökonomische Potenzial. In der „Finger-Studie“ wurde zum Beispiel ein multimodales und interdisziplinäres Präventionsprogramm entwickelt und die Wirkung dieses Programms über zwei Jahre hinweg in einer kontrollierten Studie mit randomisierter Zuweisung der Personen zu Versuchs- oder Kontrollgruppe untersucht.
Das Präventionsprogramm bestand aus 4 Komponenten:
Die insgesamt 1.260 Studienteilnehmer wurden aus einer bereits bestehenden Alterskohorte in Finnland rekrutiert. Für die Studie wurden Personen ausgewählt, die ein erhöhtes Risiko zeigten, eine Demenz zu entwickeln. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigten, dass die Personen der Versuchsgruppe nach Ende der Intervention einen 25 % höheren globalen Kognitionsscore als die Personen in der Kontrollgruppe aufwiesen.6 In der Kontrollgruppe hingegen war das Risiko, an einer signifikanten kognitiven Störung (Demenz) zu erkranken, um 31 % höher als in der Versuchsgruppe. Ngandu und Kollegen berechneten auch, dass durch Prävention die weltweite Prävalenz bis 2050 um über 8 % gesenkt werden könnte und somit 11 Millionen Erkrankungsfälle verhindert werden können.
Ermutigt durch die Ergebnisse der Finger-Studie rief die WHO 2019 dringend dazu auf, wirkungsvolle und nachhaltige Präventionsstrategien zu entwickeln, um dem dramatischen Anstieg der Erkrankungen entgegenzutreten und gleichzeitig das Potenzial unserer gesundheitspolitischen Errungenschaften systematisch zu nutzen. Österreich sollte sich an diesem Paradigmenwechsel von der Reaktion auf die Krankheit Demenz (medizinische Einrichtungen reagieren vor allem in Krisensituationen) hin zu einer aktiven Primärprävention auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse beteiligen. Die Gelegenheit dafür ist nun günstig, denn es haben sich − aufbauend auf dem Erfolg der Finger-Studie – weltweit weitere Initiativen entwickelt, die nachhaltige Strukturen aufbauen beziehungsweise Präventionsprogramme und deren Wirksamkeit untersuchen.7, 8
Aus der Zusammensetzung des finnischen Interventionsprotokolls wird klar, dass die Interventionen dem jeweiligen Kulturkreis angepasst werden müssen, damit sie einen möglichst großen Effekt erzielen. Qualitative Forschung um die Finger-Studie zeigt auch, dass es wichtig ist, die Bedürfnisse von älteren Menschen zu erforschen und neue Motivationsstrategien zu entwickeln, um diesen Bedürfnissen besser gerecht werden zu können.7 Erst diese wissenschaftliche Grundlage ermöglicht die Entwicklung wirkungsvoller Präventionsstrategien.
Das Zentrum für Demenzstudien an der Donau-Universität Krems nimmt sich nun dieses gesellschaftsrelevanten Themas der Demenzprävention verstärkt an und baut mit der finanziellen Hilfe des Landes Niederösterreich ein interdisziplinäres wissenschaftliches Team auf, das neue Ideen entwickeln wird, um breit angelegte Präventionsstrategien möglich zu machen.
So sollen etwa zum Thema geistige Stimulation verstärkt auch medizinferne Strukturen miteingebunden werden, wie zum Beispiel Museen und andere kulturelle Einrichtungen. Gleichzeitig mit dem Thema Prävention in der Gesellschaft sollte Bewusstseinsbildung zum Thema aktives Altern und Demenz thematisiert werden.
Ziel des Projektes ist es, ein wirksames interdisziplinäres und wissenschaftlich fundiertes Präventionsmodell unter Berücksichtigung der österreichischen Kultur und der spezifischen Lebensgewohnheiten sowie bereits bewährter erfolgreicher Strukturen zu erarbeiten.
Literatur: