Die Job Description klingt nach einem Traumberuf: interdisziplinäre Tätigkeit, breit gefächertes Einsatzgebiet, gute Work-Life-Balance und vernünftige Bezahlung.
Diese Rahmenbedingungen finden Arbeitsmediziner:innen vor, wenn sie sich für diese Berufssparte entscheiden, fasst Stefan Koth, Geschäftsführer der Österreichischen Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention (AAMP), zusammen.
Und dennoch: Seit Jahren fehlen mehrere hundert Ärzt:innen in diesem Segment, die österreichweit flächendeckende Versorgung der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter:innen ist bei weitem nicht gedeckt.
Eine mehrjährige Informationskampagne, getragen vom Sozial- und Arbeitsministerium, der AUVA und der Österreichischen Ärztekammer, sollte neuen Schwung bringen und Medizinstudent:innen genauso wie etablierte Ärzt:innen für den Beruf begeistern. Heuer geht die Initiative zu Ende. Vorläufiges Resümee: Die Lücke wird kleiner, wenn auch langsam. Der „Kampf um die besten Köpfe“ ist längst nicht vorbei, sagt Koth, denn der/die Arbeitsmediziner:in ist und bleibt ein Mangelberuf.
Die gute Nachricht: In den vergangenen zwei Jahren konnte die AAMP, die nach eigenen Angaben rund drei Viertel der Arbeitsmediziner:innen hierzulande ausbildet, ein deutliches Plus bei den Abgänger:innen verzeichnen. Koth: „Zuletzt hatten wir im Jahresschnitt 82 Absolvent:innen. Das sind um rund 40 %, also signifikant, mehr als in der Zeit vor der Kampagne.“ Aktuell seien in ganz Österreich rund 1.400 Arbeitsmediziner:innen im Einsatz.
Die schlechte Nachricht: Es sind noch lange nicht genug. Die AAMP geht von rund 500 Arbeitsmediziner:innen aus, die grundsätzlich fehlen. Dazu kommen rechnerisch weitere 100 Personen pro Jahr, die in Pension gehen und ersetzt werden müssen. Die jüngsten Fortschritte bei der Ausbildung können die Lage zwar etwas entspannen, für das laufende Jahr beziffert Koth den Fehlbedarf unterm Strich dennoch mit 700 Personen.
Es gibt mehrere Gründe, warum der Beruf des/der Arbeitsmediziner:in bislang ein Schattendasein fristet: „Warum wird jemand Ärzt:in? Weil er oder sie heilen möchte“, bringt es Koth auf den Punkt. Diese kurzfristigen und manchmal auch spektakulären Erfolgserlebnisse bleiben einem/einer in der Arbeitsmedizin oftmals verwehrt. Koth: „Es geht hier viel stärker um Prävention – darum, eine Erkrankung oder Gefährdung zu verhindern, und es kann dauern, bis Maßnahmen in einem Unternehmen umgesetzt und Fortschritte sichtbar werden.“ Wer Arbeitsmediziner:in wird, brauche einen langen Atem.
Dazu kommt, dass es mit der medizinischen Qualifikation allein nicht getan ist. Arbeitsmediziner:innen müssen nicht nur Verständnis für technische Vorgänge mitbringen, sondern auch die wirtschaftlichen Ziele eines Unternehmens im Blick haben und sollten über Managementansätze Bescheid wissen. Koth: „Viele Ärzt:innen haben bei diesen Themen sicher Berührungsängste. Andererseits macht diese Vielfalt den Beruf eben besonders spannend. Je besser ein:e Mediziner:in die wirtschaftlichen Belange versteht, umso besser wird er/sie auch innerhalb des Betriebes argumentieren können.“
Im Lehrgang der AAMP wird auf das breite Spektrum der arbeitsmedizinischen Beratung eingegangen. Die Ausbildung ist für Jungärzt:innen und etablierte Mediziner:innen einheitlich aufgesetzt. Es gibt klassischen Unterricht im Lehrsaal, Online-Unterricht, Betriebspraktika und Selbststudium. Koth: „Wir vermitteln unter anderem Basiskenntnisse in Budgetierung und Grundlagen im Bereich Management und Managementfunktionen, damit sich die Ärzt:innen in unterschiedlichen Unternehmen zurechtfinden.“ Insgesamt sind 27 Ausbildungstage vorgesehen, die sich über 6 bis 8 Monate erstrecken.
Der Einsatz von Arbeitsmediziner:innen ist in Österreich gesetzlich geregelt. Demnach muss jedes Unternehmen, das mindestens einen unselbstständig Beschäftigten hat, für arbeitsmedizinische Betreuung sorgen. Für Kleinst- und Kleinbetriebe mit bis zu 50 Arbeitnehmer:innen gibt es dabei eine Sonderregelung: Die AUVA bietet für diese Gruppe eine kostenlose arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung an.
Die Unternehmen müssen sich dafür nur an die AUVA wenden. Betriebe ab 51 Mitarbeiter:innen haben selbst Arbeitsmediziner:innen zu beauftragen und auch die Kosten zu tragen.
Wie viele Stunden die Fachleute im Betrieb verbringen, ist ebenfalls rechtlich fixiert. Bei Kleinstbetrieben bis zu zehn Beschäftigten findet alle zwei Jahre, bei Firmen mit 11 bis 50 Mitarbeiter:innen eine jährliche Begehung statt. „Dabei werden die Arbeitsplätze angesehen, Gespräche mit den Beschäftigten geführt, etwaige Risiken bewertet und darauf aufbauend entsprechende Maßnahmen empfohlen“, fasst Koth zusammen.
Für Großbetriebe sind je nach Anzahl der Mitarbeiter:innen eigene Berechnungsformeln für die Einsatzzeiten vorgesehen.
Die Arbeit geht den Arbeitsmediziner:innen jedenfalls nicht aus – zumal viele Betriebe in diesem Punkt säumig sind. Koth: „Trotz des kostenlosen Angebotes der AUVA gehen wir davon aus, dass rund ein Viertel der Kleinunternehmen bisher keine Beratung in Anspruch genommen hat.“ Warum? „Viele wissen vielleicht nicht, dass es diese Verpflichtung gibt“, meint Koth. Das wäre ein Thema für eine neue Informationskampagne.