Mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung leidet aufgrund von Übergewicht an einer nichtalkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) – Tendenz steigend. Sind Lebererkrankungen im Vormarsch?
Univ.-Prof. Dr. Herbert Tilg: Ja, es gibt sogar eine Reihe von Hinweisen, dass weltweit ein Viertel der Bevölkerung an einer Fettleber („Steatosis hepatis“) leidet. In weiterer Folge entwickelt jeder Fünfte mit einer solchen Steatosis hepatis eine nichtalkoholische Steatohepatitis, also eine echte Entzündung in der Leber mit oder ohne Fibrose bis hin zur Leberzirrhose. Da die Anzahl an übergewichtigen Personen in den westlichen Industrienationen stetig steigt und zwischen Übergewicht und Leberverfettung ein linearer Zusammenhang besteht, stellt die Behandlung der nichtalkoholischen Fettleber eine akute, weltweite medizinische Herausforderung dar.
Welche Folgeerkrankungen ergeben sich daraus?
Die Leber regelt den Stoffwechsel, ist für die Fettverdauung unerlässlich und dient besonders bei übergewichtigen Personen als „Fettablageplatz“. In den weitaus meisten Fällen beruht die Verfettung der Leber auf einem Missverhältnis zwischen Zufuhr und Abbau von Fetten, es konnte jedoch festgestellt werden, dass übergewichtige Personen auch an sich mehr Fette produzieren und somit die Leber immer mehr verfettet. Führt das vermehrte Fett im Laufe der Zeit zu einer Entzündung der Leber, dann drohen schwerwiegende Folgen: Das Lebergewebe kann sich verhärten, vernarben und sich schließlich zu einer Leberzirrhose und sogar zu Leberkrebs entwickeln. Die Fettleber kann über einen langen Zeitraum unbemerkt bleiben, sie verursacht lange Zeit keine Schmerzen, und Betroffene klagen meist nur über Müdigkeit. Wir verstehen momentan noch nicht, warum ca. 20 % der Patienten mit einer Steatosis hepatis eine Entzündung in der Leber entwickeln und 80 % nicht. Weiters ist die Leber Spiegelbild anderer Erkrankungen und führt zu schwerwiegenden Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Tumoren.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Derzeit gibt es keine medikamentöse Therapie für die Steatosis hepatis; einzig eine adäquate Gewichtsreduktion zeigt wirksame Effekte. Im Kampf gegen Adipositas, dem Hauptrisikofaktor für die Entstehung einer Fettleber, muss das Ernährungsverhalten im Fokus stehen, denn andere Therapiemöglichkeiten oder Lösungen kann die Medizin derzeit nicht anbieten. Studi-energebnisse zeigen, dass mindestens eine Gewichtsreduktion von sieben Prozent nötig ist, um die Leberhistologie bei übergewichtigen Patienten mit einer nichtalkoholischen Fettleber zu verbessern.
Stellen Formuladiäten eine Therapiemaßnahme bei Fettlebererkrankungen dar?
In erster Linie ist es wichtig, abzunehmen. Die Art und Weise, bestmöglich Gewicht zu verlieren, ist von Patient zu Patient verschieden. Dabei können auch Formuladiäten unterstützend wirken, diese sind auch in den S3-Leitlinien zur „Prävention und Therapie der Adipositas“ 2014 angeführt. Jegliche Gewichtsreduktion hat neben der Reduktion des Leberfettgehaltes auch positive Aspekte auf verschiedenste metabolische Parameter wie den Blutzucker- und Fettstoffwechsel. Für einen nachhaltigen Erfolg muss jedoch eine langfristige Umstellung des Ernährungs- und auch des Bewegungsverhaltens erfolgen. Es gilt daher: Je mehr Kilos die Patienten verlieren, umso besser sind die jeweiligen Entzündungs- sowie Fibrosewerte. Wie bei Diabetes gilt: „Laufen sie der Fettleber davon!“
Neueste Forschungsergebnisse stellen zwischen der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung und der Mikrobiota einen Zusammenhang her. Gibt es aufgrund dessen neue Therapieansätze?
Studienergebnisse stellen zwischen der nichtalkoholischen Fettleber und der Mikrobiota signifikante Zusammenhänge her. Es hat sich gezeigt, dass Darmkeime den Stoffwechsel steuern und bei der Gewichtszunahme und -abnahme eine bedeutende Rolle spielen. Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms ist bei Leberzirrhose massiv gestört und kommt daher als Krankheitsverursacher in Frage. Strategien zur Modulation des Mikrobioms sind daher ein vielversprechender neuer therapeutischer Ansatz.
Welche Krankheitsanzeichen sollte der Allgemeinmediziner im Praxisalltag besonders beachten?
Jede Fettleber muss entsprechend abgeklärt werden. Fettleberpatienten haben ein 2,5-fach erhöhtes Risiko, an Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken, und umgekehrt leiden Diabetespatienten fast immer an einer Steatosis hepatis. Somit sollte bei einer Fettleberdiagnose zuerst eine Diabeteserkrankung ausgeschlossen und in weiterer Folge eine Leberdichtemessung mittels transabdomineller Ultraschalluntersuchung eingeleitet werden.
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!