Die bipolare Erkrankung – von der Diagnose zur Therapie

Bei der bipolaren Störung treten (Hypo)Manie und Depression in unterschiedlicher unvorhersehbarer Abfolge auf, dazwischen gibt es sogenannte „euthyme“ Phasen, in denen Betroffene eine ausgeglichene Stimmung und auch ein normales Energielevel haben. Es ist jedoch leider nicht vorhersehbar, wann und wie lange jede Phase auftritt und anhält. Man geht davon aus, dass es eine genetische Vulnerabilität gibt. Akute und chronische Stressfaktoren, die sich im Laufe des Lebens häufen, gelten als Mitauslöser. Die bipolare Erkrankung ist wie viele andere Erkrankungen (z. B. Bluthochdruck, Asthma, Diabetes) eine chronische und lebenslange Erkrankung, mit der Betroffene aber lernen können zu leben. Wenn Betroffene und das nahe Umfeld sich intensiv mit der Krankheit auseinandersetzen, können sie verstehen und erkennen, wodurch Phasen ausgelöst werden und wann diese auftreten. Dadurch können Betroffene lernen, frühzeitig gegenzusteuern und wieder beginnende Symptome und damit (hypo-)mane und depressive Phasen in den Griff bekommen. Die Psychoedukation – die Aufklärung über die Erkrankung und den Umgang mit ebendieser sowie das frühzeitige Erkennen und Gegensteuern von Symptomen – ist damit auch eines der wichtigsten Elemente in der Behandlung der bipolaren Störung. Das Stimmungsbarometer (Abb.) ist eines der wichtigsten Tools in der Psychoedukation und kann den Betroffenen dabei helfen, einen Stimmungsabfall oder -aufschwung frühzeitig selbst zu erkennen.

Akuttherapie und Phasenprophylaxe

Einen weiteren essenziellen Part spielt die medikamentöse Therapie, bei der wir die Akuttherapie von der Phasenprophylaxe (Stimmungsstabilisierung) unterscheiden. Das Ziel der Akuttherapie ist es, akute Phasen, d. h. (Hypo)Manie oder Depression, zu behandeln, während Phasenprophylaktika dabei unterstützen, die Stimmung langfristig stabil zu halten und ausgeprägte (hypo-)manische und depressive Schwankungen prophylaktisch zu reduzieren. Sie sind wichtig und werden sehr empfohlen, um die Stabilität der seelischen Verfassung zu unterstützen und starke Stimmungsschwankungen zu verhindern.

Die Akuttherapie einer Depression darf nur erfolgen, wenn auch gleichzeitig eine phasenprophylaktische Therapie besteht oder eingeleitet wird. Die Akuttherapie der Depression umfasst in erster Linie die Behandlung mit SSRIs (z. B. Sertralin, Escitalopram, Fluoxetin) und dualen Antidepressiva wie Bupropion oder Duloxetin. Auch Mirtazapin oder Trazodon können eingesetzt werden. Benzodiazepine sollten, ebenso wie in der Behandlung der Manie, nur unterstützend und möglichst niedrig dosiert für einen möglichst kurzen Zeitraum verabreicht werden (z. B. bis die Wirkung der Antidepressiva eintritt oder bei starker Agitation im Rahmen der Manie). Die Behandlung der (Hypo)Manie kann auch mit der Einleitung einer phasenprophylaktischen Therapie gleichgesetzt werden. Alle Medikamente, die in der Phasenprophylaxe eingesetzt werden (Lithium, atypische Antipsychotika, Antikonvulsiva), können hier verwendet werden. Falls noch keine Phasenprophylaxe besteht, kann nach erfolgreicher Behandlung einer (Hypo)Manie die stimmungsstabilisierende Medikation als Phasenprophylaxe fortgeführt werden.

Lithium

Im Bereich der Phasenprophylaxe ist Lithium nach wie vor der Goldstandard und sollte in jedem Fall als erste medikamentöse Option in Betracht gezogen werden. Vorteile von Lithium sind die einzigartige positive Wirkung auf Lebensüberdruss und Suizidgedanken (vermutlich durch eine verbesserte Impulskontrollsteuerung), die gute Messbarkeit der Dosierung mittels Spiegelkontrollen und die positive Wirkung auf akute depressive Symptome an sich. Ein Lithiumspiegel zwischen 0, 6 mmol/l und 1,2 mmol/l sollte in der Langzeitbehandlung angestrebt werden, akute manische Episoden erfordern ein Aufdosieren auf einen möglichst hohen Zielwert, während depressive Patient:innen häufig von niedrigeren Spiegeln bis minimal 0,4 mmol/l profitieren. Als weitere Kategorie in der medikamentösen Phasenprophylaxe zählen atypische Antipsychotika wie Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon und die klassischen Stimmungsstabilisierer aus dem Bereich der Antikonvulsiva wie Lamotrigin oder Valproinsäure.

Praxismemo

  1. Ziel der medikamentösen Akuttherapie ist, die akuten Phasen der (Hypo)Manie oder Depression zu behandeln.
  2. Phasenprophylaktika stabilisieren die seelische Verfassung und reduzieren Stimmungsschwankungen.
  3. Lithium ist der Goldstandard der Phasenprophylaxe und als erste medikamentöse Option in Betracht zu ziehen.