Der Gesundheitsausschuss des Nationalrats hat vor Kurzem den Startschuss für die Neugestaltung der medizinischen Grundversorgung in Österreich gegeben, im Zuge dessen u.a. ein Primärversorgungsgesetz (PVG 2017) erlassen und begleitende Gesetzesänderungen (ua. des ASVG) beschlossen werden sollen. Neben den Anforderungen an Primärversorgungseinheiten (PVE) und möglichen Organisationsformen soll das Gesetz vor allem die kassenvertraglichen Belange regeln. Der folgende Beitrag soll einen Einblick zu den wichtigsten kassenvertraglichen Fragen dieses Gesetzesvorhabens vermitteln. Zu Redaktionsschluss hieß es aus dem Parlament, dass ein solches Gesetz noch vor dem Sommer beschlossen werden könnte.
Geplant ist, die Beziehungen der Träger der Krankenversicherung zu Primärversorgungseinheiten (PVE) grundsätzlich im Rahmen eines Gesamtvertragsregimes durch einen neuen, bundesweit einheitlichen und eigenständigen Gesamtvertrag zu regeln. Dieser Gesamtvertrag soll auf Seiten der Krankenversicherungsträger durch den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und auf Seiten der Ärzteschaft durch die Österreichische Ärztekammer (unbefristet) abgeschlossen werden.
Für PVE sollen ausschließlich die Bestimmungen dieses neuen Gesamtvertrages gelten – Ausnahme davon: PVE, die als selbständige Ambulatorien (= Krankenanstalten) betrieben werden. Für diese soll dieser Gesamtvertrag nicht gelten, weil den Ärztekammern aufgrund der Zugehörigkeit der selbständigen Ambulatorien zu den Wirtschaftskammern keine Vertretungsbefugnis zukommt. Ob ein korrespondierendes Gesamtvertragsregime auch für diese Art von PVE etabliert werden soll, lässt der Gesetzesentwurf offen, es ist aber – wie teilweise schon bisher gehandhabt – grundsätzlich denkbar und möglich.
Auf Basis dieses Gesamtvertrages (soweit vorhanden) soll jede Form der PVE (Gruppenpraxis, selbständiges Ambulatorium oder Netzwerk) jeweils einen Primärversorgungsvertrag benötigen. Ein solcher wäre zwischen der zuständigen Gebietskrankenkasse und der PVE abzuschließen.
Wird die PVE als Netzwerk geführt, sollen die daran teilnehmenden freiberuflich tätigen Ärzte (zusätzlich) „Primärversorgungs-Einzelverträge“ abschließen können (aber offenbar nicht müssen). Welchen Mehrwert ein zusätzlicher Primärversorgungs-Einzelvertrag haben soll, ist noch nicht ersichtlich. Vermutlich wird dies die Praxis zeigen, denn zum einen wird der Inhalt des Einzelvertrages mit Ärzten vom Gesamtvertrag beziehungsweise vom Primärversorgungsvertrag mit der betreffenden PVE bestimmt. Welche ergänzenden Regelungen ein solcher Einzelvertrag aufweisen darf, geht aus dem Gesetz nämlich nicht hervor. Zum anderen teilt der Einzelvertrag mit Ärzten das rechtliche Schicksal des Primärversorgungsvertrages ihrer PVE. Wird der Primärversorgungsvertrag mit der PVE aufgelöst, hat dies auch die Auflösung des Einzelvertrages mit Ärzten zur Folge. Umgekehrt bewirkt die Auflösung eines Einzelvertrages jedoch nicht notwendigerweise die Auflösung des Primärversorgungsvertrages mit der PVE.
Die Vergabe von Primärversorgungsverträgen soll in einem im PVG 2017 geregelten Auswahlverfahren erfolgen. Zum Zug kommen zunächst Ärzte mit bestehenden Verträgen. Die Gebietskrankenkassen haben dazu ihre Vertragsärzte sowie ihre Vertragsgruppenpraxen für Allgemeinmedizin, deren Planstellen im Stellenplan für die konkrete Primärversorgungseinheit vorgesehen sind, einzuladen. Abhängig von den Planungsvorgaben des Regionalen Strukturplan Gesundheit (RSG) können auch weitere berufsberechtigte Ärzte für Allgemeinmedizin und gegebenenfalls Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde zur Bewerbung um einen Primärversorgungsvertrag eingeladen werden. Liegen nach sechs Monaten ab der Einladung keine geeigneten Bewerbungen vor, soll die Einladung über diesen Personenkreis hinaus ausgeweitet werden.
Je nachdem, ob für eine PVE ein Gesamtvertrag gilt oder nicht (siehe selbständige Ambulatorien oben) sollen für Primärversorgungsverträge die Regelungen aus dem Gesamtvertrag gelten. Der Primärversorgungsvertrag soll im Wesentlichen das Leistungsspektrum der PVE, die Beziehungen der PVE zu anderen Gesamtverträgen (e-card, Mutter-Kind-Pass oder Vorsorge) und die Leistungen der nichtärztlichen Gesundheitsberufe einer PVE regeln. Primärversorgungsverträge mit PVE in Form selbständiger Ambulatorien sollen ebenfalls das Leistungsspektrum sowie die wechselseitigen Rechte und Pflichten, einschließlich der Zusammenarbeit mit dem chef- und kontrollärztlichen Dienst der Sozialversicherungsträger, regeln.
Schließen sich Vertragsärzte (Vertragsgruppenpraxen) zu einer PVE nach dem PVG 2017 zusammen, sollen ihre bisherigen (Gruppenpraxis-)Einzelverträge grundsätzlich erlöschen. In bestimmten Fällen, wie etwa dem Ausscheiden eines freiberuflich tätigen Arztes aus der PVE oder bei einer Auflösung derselben, kommt es zu einem Wiederaufleben der vorherigen Einzelverträge. Die Regelung soll allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen zeitlich befristet beziehungsweise in weiterer Folge mit Zustimmung der jeweiligen Gebietskrankenkasse und Landesärztekammer zur Anwendung kommen. Auch im Fall einer Kündigung aus dem Grund des Wegfalls der Voraussetzungen aus dem Auswahlverfahren beziehungsweise einer wesentlichen Änderung derselben (siehe zur Kündigung unten) sollen die bisherigen Einzelverträge ohne die zuvor genannten Voraussetzungen jedenfalls wieder aufleben.
Primärversorgungsverträge sollen unter bestimmten Umständen ohne Kündigung erlöschen oder gekündigt werden können.
Umstände, die zum Erlöschen (ohne Kündigung) führen sollen, sind etwa die Auflösung der PVE oder die rechtskräftige Verurteilung eines Gesellschafters einer PVE für bestimmte gerichtliche Straftaten oder eine wiederholt zivilrechtliche Verurteilung im Zusammenhang mit der vertraglichen Tätigkeit. Wenn die PVE als Gruppenpraxis geführt wird, soll auch der Wegfall (oder die Feststellung über das anfängliche Fehlen) der ärztlichen Berufsberechtigung zur Auflösung des Primärversorgungsvertrages führen. Liegt ein Grund für das Erlöschen des Vertrages vor, kann die PVE das Erlöschen jedoch verhindern, wenn sie die betreffende Person ausschließt.
Die Kündigung eines Primärversorgungsvertrages soll durch beide Vertragsparteien möglich sein. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Quartalsende eines jeden Jahres. Während der Gesetzesentwurf keine Kündigungsgründe für eine PVE regelt, soll eine Kündigung durch die Gebietskrankenkasse nur bei bestimmten Gründen möglich sein. Kündigungsgründe sind etwa eine wiederholte und nicht unerhebliche Vertrags- oder Berufspflichtverletzung durch die PVE, die Nichterfüllung der im Primärversorgungsvertrag vereinbarten Leistungen durch die PVE, die Änderung der Organisation der PVE oder ihres Versorgungskonzeptes sowie der Wegfall der dem Auswahlverfahren zu Grunde gelegten Voraussetzungen oder wesentliche Änderungen derselben. Welche Voraussetzungen dies sind, ist unklar. Denkbar ist allerdings, dass darunter die – wiederum gesetzlich geregelten – allgemeinen Anforderungen zu verstehen sind. Dazu gehören etwa das Vorliegen bedarfsgerechter Öffnungszeiten, die Erreichbarkeit für Akutfälle außerhalb der Öffnungszeiten oder das Vorhandensein der nötigen (medizinisch-)technischen Ausstattung.
Einer Kündigung hat verpflichtend ein Schlichtungsversuch unter Beiziehung der zuständigen Ärztekammer voranzugehen. In der Praxis wird dies wohl nur für Kündigungen durch die Gebietskrankenkasse zur Anwendung kommen. Gelingt ein solcher nicht, und kommt es zur Kündigung durch die Gebietskrankenkasse, soll die PVE die Kündigung binnen zwei Wochen bei der Landesschiedskommission anfechten können.
Im Zusammenhang mit der Auflösung von Primärversorgungsverträgen empfiehlt sich in den jeweiligen Gesellschaftsverträgen von PVE jedenfalls, eine Regelung aufzunehmen, um den Ausschluss eines Gesellschafters aus der PVE bei Verwirklichung eines Erlöschens- beziehungsweise Kündigungsgrundes zu ermöglichen.