Die Pläne von ÖVP, SPÖ und NEOS

„Wir stehen vor einer sozialpolitischen Zeitenwende, wenn nicht schnell etwas Wirksames passiert. Jetzt die geeigneten gesundheitspolitischen Schritte zu setzen halte ich für eine Bringschuld der künftigen Regierung“, sagt MR Dr. Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer. „Die Versorgungsdefizite in Österreich erfordern mutige Reformen in allen Leistungsbereichen unseres Gesundheitswesens. Prävention, Versorgungssteuerung, Entbürokratisierung, die Attraktivierung des Arztberufes in Kassenarztpraxen und Spitälern und die langfristige Sicherung der Finanzierung gehören deshalb unbedingt in den politischen Fokus einer neuen Bundesregierung.“ Die künftige Regierung müsse mehr Geld in die Gesundheitsversorgung der Bürger:innen investieren, fordert Steinhart.

Reform der ÖGK

Dr. Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, zeigt sich alarmiert ob der Defizitankündigung der ÖGK von 906 Millionen Euro: „Wir Ärzt:innen sind weder für diese Schulden noch für die Misswirtschaft verantwortlich. Wir wissen, dass die Ärztekosten nur rund 15 % der ÖGK-Gesamtausgaben ausmachen, und dieser Anteil in den vergangenen Jahren sogar noch gesunken ist.“ Eine finanzielle Absicherung der Österreichischen Gesundheitskasse sei zwar dringend notwendig, aber damit dürfen die Maßnahmen keinesfalls aufhören, „das Grundsatzproblem bleibt sonst ungelöst!“ Ohne eine nachhaltige Reform der ÖGK sowie ohne Maßnahmen zur Attraktivierung der Kassenverträge allgemein sei die Gefahr hoch, dass nur Steuergeld für ein kurzfristiges Pflaster verschwendet wird.

Zur Attraktivierung der Kassenmedizin fordern die Ärztevertreter:innen flexiblere Verträge, moderne Arbeitsformen, die Umsetzung eines einheitlichen Leistungskataloges sowie unter anderem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Kassenvertrag. Die Gründe für das ausufernde Minus der ÖGK müssten aufgearbeitet werden und Konsequenzen, auch im Management, gezogen werden.

Sorge um Qualität

Prof. Dr. Dietmar Bayer, Stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, gibt zu bedenken: „Anstatt die Kassenmedizin nachhaltig abzusichern, droht ein Qualitätsabbau, der voll zulasten der Versicherten ginge. Wie wir außerdem gehört haben, soll angeblich ein Gesetz für den einheitlichen Gesamtvertrag kommen, damit wäre die Selbstverwaltung ausgeschaltet. Die Ärzteschaft wird sich keinen Gesamtvertrag gesetzlich aufzwingen lassen.“ Stattdessen müsse sich der Umgang der ÖGK mit den Ärzt:innen dringend ändern. „Mit Briefen an Ärzt:innen mit der subtilen Androhung von Konsequenzen, wenn die Leistungen nicht restriktiver abgerufen werden, wird man sicher keine Ärzt:innen für den Kassenbereich gewinnen. Ärzt:innen erstellen keine Diagnosen und Therapiepläne aus Jux und Tollerei, sondern nach medizinischen Kriterien“, sagt Bayer.

Mehr Geld von Pensionist:innen

ÖVP, SPÖ und NEOS haben in ihren Koalitionsverhandlungen im Hinblick auf die wirtschaftlich angespannte Situation der Krankenversicherungen eine „dauerhafte Einbeziehung der Leistungsempfänger:innen in die Krankenversicherung“ fixiert. Basis sollen „One-Stop-Shops zur Prüfung der Einkommenssituation“ sein. Ob das eine Auf- oder Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage bedeutet, ist offen. Fix ist, dass der Krankenversicherungsbeitrag für Pensionist:innen erhöht wird. Gleichzeitig soll aber die Rezeptgebühr zumindest im ersten Jahr eingefroren werden. Weiters soll eine Expertengruppe „neue Formen der Finanzierung“ erarbeiten. Fachleute bezweifeln, dass das ausreichen wird, um die Kassen zu sanieren.

Nicht zuletzt deshalb, weil die Parteien weitere Leistungen aus dem Spitalsbereich in den niedergelassenen Bereich verschieben wollen. Von mehr Ärzt:innen ist allerdings nicht die Rede. Neben dem Ausbau von Primärversorgungsnetzwerken und -einheiten sollen „multidisziplinäre Zentren von Fachärzt:innen“ geschaffen werden – „unter Einbeziehung aller Gesundheitsberufe“. Versorgungszentren/-netzwerke für chronische Krankheiten sowie psychosoziale Versorgung sollen bedarfsorientiert ausgebaut werden – ebenso wie der Ausbau von Expertisezentren für seltene Erkrankungen.

Druck auf Wahlärzt:innen

Forciert werden sollen zudem Erstversorgungsambulanzen zur Entlastung von Krankenhäusern und Verbesserung der ambulanten Versorgung nach regionalen Erfordernissen im Rahmen der Zielsteuerung. Im ärztlichen Bereich soll der schon lange diskutierte Gesamtvertrag mit einem einheitlichen Leistungskatalog geschaffen werden. Ob das gesetzlich kommt, wie von der Ärztekammer befürchtet, steht nicht im Regierungsprogramm. Vorgabe sind zumindest die „verstärkte Berücksichtigung ambulanter Leistungen bei gleichen Qualitätsstandards“ sowie verpflichtende extramurale Versorgungsangebote an Tagesrandzeiten und am Wochenende.

Von den Wahlärzt:innen soll ein „fairer Beitrag“ für das öffentliche Gesundheitssystem verlangt werden. Ihre Versorgungswirksamkeit im Sachleistungssystem soll „durch attraktive Angebote (z.B. Teilzeitkassenverträge) und eine Verpflichtung, im Notfall in einem gewissen Ausmaß Patient:innen zu Kassenkonditionen zu behandeln“, erhöht werden. Forciert werden soll zudem die Digitalisierung im Gesundheitswesen – etwa durch den Ausbau und die Modernisierung von ELGA als Datenplattform für Patient:innen und aller Gesundheitsdienstleister:innen unter Wahrung der Sicherheit mittels e-Card-Schlüssel und die schon länger diskutierte verpflichtende Umsetzung der Diagnosecodierung und der Schaffung eines tragfähigen Patient Summary in ELGA.