Die Schilddrüse wacht über die Schwangerschaft

Welche Konsequenzen haben Funktionsstörungen der Schilddrüse für Mutter und Fetus in der Schwangerschaft?
Univ.-Doz. Dr. Georg Zettinig: Es ist wichtig, dass man Funktionsstörungen der Schilddrüse frühzeitig erkennt, da ein physiologischer Schilddrüsenhormonstoffwechsel für das Funktionieren einer normalen Schwangerschaft und ein gutes Outcome von Mutter und Kind unerlässlich ist. Eine Unterfunktion beeinträchtigt prinzipiell die Entwicklung des Babys, und sowohl Unter- als auch Überfunktion können die Abortrate erhöhen.

Welche Bedeutung messen Sie der Jodversorgung im Rahmen von „prepare for pregnancy“ und in der Schwangerschaft selbst bei?
Gerade hierzulande ist eine optimale Jodversorgung essenziell: Österreich war über Jahrtausende Jodmangelgebiet, mit der Speisesalzjodierung hat sich das Spektrum der Schilddrüsenerkrankungen deutlich geändert: Die aggressiven Karzinome haben abgenommen, die Knoten sind weniger geworden, die Fälle mit autoimmunem Hintergrund nehmen etwas zu. Allerdings ist in den letzten Jahren zu beobachten, dass die Jodversorgung wieder suboptimal wird, da in vielen „Lifestyle-Produkten“ kein jodiertes Speisesalz mehr verwendet wird, in den industriell hergestellten Fertigprodukten größtenteils ohnehin nicht. Damit ist die alimentäre Jodzufuhr am unteren Limit, sodass sie in speziellen Situationen mit erhöhtem Bedarf wie in der Schwangerschaft und Stillzeit normalerweise nicht ausreichend ist. Deshalb sollte man in einer für negative Effekte einer Unterversorgung besonders vulnerablen Situation wie der Schwangerschaft, aber auch bei bestehendem Kinderwunsch natürlich auch präkonzeptionell meistens Jod zusätzlich substituieren.

Wie beeinflusst der Hormonhaushalt in der Schwangerschaft die Schilddrüsenfunktion?
Wichtig ist zu berücksichtigen, dass eine veränderte Regulation der Schilddrüsenfunktion schon sehr früh in der Frühschwangerschaft einsetzt. Das Beta-HCG, das von der Plazenta produziert wird, stimuliert die Schilddrüse, und es kommt zu einer leichten Überfunktion mit einem Maximum in der 10.–12. Schwangerschaftswoche (SSW). Wenn eine vorbestehende Einschränkung der Schilddrüsenfunktion vorliegt, dann kann sich die Schilddrüse an die neuen Anforderungen evtl. nicht anpassen, man muss mit Hormonsubstitution neu beginnen bzw. die Dosierung anpassen. Zu beachten ist, dass bei der Zählweise der SSW mit Beginn der letzten Monatsblutung eine mögliche Kontrolle in der 6.–8. SSW relativ knapp nach dem Ausbleiben der Regel erfolgt und aufgrund der wie erwähnt früh einsetzenden Regulationsveränderung sinnvoll ist.

Welche Diagnostik empfehlen Sie bei Schwangeren zur Überprüfung der Schilddrüsenfunktion, was ist bei der Interpretation der Werte zu beachten?
Die Schilddrüsenfunktion wird durch eine Bestimmung der Blutwerte ermittelt. Hier ist der TSH-Wert (thyreoideastimulierendes Hormon) der zentrale Parameter, als weitere Werte stehen das freie T4 und das freie T3 und Schilddrüsenantikörper wie Anti-TPO-AK zur Verfügung. TSH wird von der Hypophyse ausgeschüttet und reguliert die Schilddrüsenfunktion. Ein zu hoher TSH-Wert ist erstes Zeichen einer Unterfunktion, ein zu niedriger Wert ist dementsprechend erstes Zeichen einer Überfunktion. Die Obergrenze des TSH-Normalbereiches wird diskutiert. Generell gilt, dass ab einem Wert von ≥ 10 mU/l eine Therapie erforderlich ist. Bei Kinderwunsch und in der Schwangerschaft ist es jedoch in vielen Situationen sinnvoll, schon ab einem TSH von ≥2,5 mU/l eine Behandlung einzuleiten. Der TSH-Wert spiegelt die Situation der letzten 6 Wochen wider; wenn ein stabiles Gleichgewicht vorliegt, ist er sehr gut geeignet, um die Schilddrüsenfunktion zu beurteilen. Wenn das TSH in der Frühschwangerschaft im unteren Normalbereich liegt und die TPO-Antikörper negativ sind, ist die Patientin schilddrüsengesund, und in der Regel sind keine weiteren Kontrollen in der Schwangerschaft erforderlich. Die wichtigste bildgebende Diagnostik zur Schilddrüse ist der Ultraschall. Im Ultraschall sieht man, ob eine Autoimmunerkrankung oder Knoten vorliegen.

Im Rückblick auf den heurigen Weltschilddrüsentag am 25. Mai: Wie beurteilen Sie die interdisziplinäre Awareness zu Schilddrüsenerkrankungen bzw. die Versorgungssituation für die Patient:innen in Österreich?
Seit 2014 gibt es die Österreichische Schilddrüsengesellschaft, die als interdisziplinäre Fachgesellschaft die Diagnostik und Therapie von Schilddrüsenerkrankungen sowie die Awareness dazu in der Kollegenschaft fördert und u. a. auch den Weltschilddrüsentag für entsprechende Aktivitäten zum Anlass nimmt.
Meiner Meinung nach ist die Versorgungssituation für die Patient:innen alles andere als zufriedenstellend bzw. durchaus als schlecht zu bezeichnen. Das liegt daran, dass es weder für Fachärzt:innen für Nuklearmedizin noch für jene für Endokrinologie, die alle notwendigen Untersuchungen aus einer Hand – bei Endokrinolog:innen exkl. Szintigrafie – bereitstellen können, Kassenverträge gibt. Eine gute Zusammenarbeit mit den Allgemeinmediziner:innen, welche die grundlegende Betreuung leisten und bei Notwendigkeit an die entsprechenden Fachärzt:innen überweisen, ist wichtig. Aber derzeit sind die Hausärzt:innen gezwungen, die Patient:innen meist ins Labor zur Blutabnahme, dann zur Radiologie zum Ultraschall und in weiterer Folge evtl. zur Szintigrafie zu schicken. Oft eigentlich nicht wegen der Szintigrafie selbst, sondern, um alle verschiedenen Befunde zusammenfassend zu interpretieren. Will man eine effiziente und umfassende Abklärung aus einer Hand, sind die Patient:innen oft gezwungen, in den Privatbereich auszuweichen.

Vielen Dank für das Interview!