Wurde einmal an eine Depression gedacht, so sollte dieser Gedanke weitergeführt und abgeklärt werden. Zu einer Therapie nach den Regeln der Kunst gehören:
Am Anfang steht neben der klaren Diagnose, auch wenn die Person lieber Burn-out hört und dem Umgang mit dem Leidensdruck der betroffenen Person die Informa-tion. Es sollte von Anfang an klar gesagt werden, dass auf allen drei genannten Ebenen gleichzeitig, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, gearbeitet werden muss.
Vorerfahrung mit Medikamenten, pflanzlichen (inkl. Johanniskraut) und homöopathischen Substanzen bzw. mit Nahrungsergänzungen muss abgefragt werden. Die früheren Erfahrungen sind oftmals sehr hilfreich, um Vorurteile, aber auch Erwartungshaltungen sofort zu erkennen.
Die Auswahl des AD wird üblicherweise von verschiedenen Leitsymptomen wie Agitation, Unruhe bzw. Hemmung oder Schlafstörungen gelenkt. Es ist für jeden Einzelfall notwendig, sich die klare Indikationsstellung – d.h., ist die Störung so stark, dass weitere Maßnahmen notwendig sind, handelt es sich um eine unipolare oder eine bipolare Depression, vorhandene Zusatzmedikamente, Alter und Geschlecht – vor Augen zu führen. Bei Erfahrung des Patienten aus früheren Behandlungsabschnitten fließen natürlich auch Verträglichkeit, Erfahrung mit Dosis, Ansprechgeschwindigkeit und Kombinationsmöglichkeit mit ein. Im Falle von Suizidalität sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass ein in Überdosis unproblematisches AD verordnet wird. Im Falle von großer Agitation oder Unruhe ist es oft sinnvoll, vorübergehend zusätzlich Tranquilizer zu verordnen. Falls keine Suchtproblematik vorliegt, ist dies für einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen meist völlig unproblematisch.
Nach dem diagnostischen Gespräch, der sorgfältigen Krankheits- und Medikamentenanamnese sowie einer somatisch- neurologischen Untersuchung kann die medikamentöse Behandlung sofort begonnen werden. Parallel dazu sollten eine Blutuntersuchung mit komplettem Blutbild, Differenzialblutbild, Leberwerten, S-Kreatinin, EGFR, BUN, Elektrolyten, Eisenstoffwechsel, basalem TSH sowie Harn und ein EKG durchgeführt werden. Das diagnostische Gespräch konzentriert sich nach einer Einleitungsphase auf die psychopathologischen Phänomene und vegetativen Beschwerden. Eine voreilige Ursachenzuteilung sollte in dieser frühen Phase vermieden werden.
Die Startdosis ist üblicherweise gut bekannt. Bei körperlichen Erkrankungen oder bei älteren Menschen ist es sinnvoll, mit der halben Dosis zu beginnen. An den Behandlungstagen 8–12 sollte der Patient wiederbestellt werden, um die Verträglichkeit und Dosisanpassung zu besprechen. Hat sich in diesem ersten Zeitraum nichts im Sinne einer Verbesserung geändert, so sollte in jedem Fall eine Dosissteigerung überlegt werden.
Zwischen den Behandlungstagen 14 und 21 sollte für die betroffene Person spürbar sein, ob das Medikament eine positive Wirkung zeigt, d.h., dass es in die richtige Richtung – im Sinne einer Verbesserung der Beschwerden – geht. Falls es eine subjektive Besserung gibt, jedoch die Depression noch vorliegt, so ist zu diesem Zeitpunkt nicht sofort eine Dosissteigerung notwendig. Dies kann sehr gut im direkten Vergleich mit dem Erstbesuch und den damals geschilderten Beschwerden, v.a. auch der Intensität der Beschwerden, verglichen und somit beurteilt werden.
Nach dem 28. Behandlungstag sollte noch einmal eine Dosisanpassung überlegt werden. Auch wenn Beschwerdefreiheit vorliegt, sollte die Behandlung unbedingt weiter fortgeführt werden! Im Falle einer klaren Verbesserung des Zustandes des Patienten sollte an dieser Stelle nochmals überlegt werden, ob psychotherapeutische Maßnahmen auch im Sinne einer Bearbeitung der Situation, einer Stabilisierung und Vorsorge zu empfehlen und zu organisieren sind. Nach heutigem Wissensstand sollte die Behandlung bis zur Symptomfreiheit weitergeführt werden, da bekanntermaßen Restsymptome die Rückfallwahrscheinlichkeit deutlich erhöhen.
Wenn es sich um eine klassisch depressive Episode handelt, sollte die Behandlung nach Stabilisierung in jener Dosierung weitergeführt werden, die zur Beendigung der Depression geführt hat. Die Behandlung sollte nach Empfehlung der WHO, wenn es sich um die erste Episode handelt, sechs bis zwölf Monate weitergeführt werden; erst dann sollte ein langsames Absetzen mit dem Patienten besprochen werden. Abruptes Absetzen erhöht nicht nur die Rückfallgefahr, sondern kann auch, wie mittlerweile bekannt ist, zu Absetzphänomenen bei SSRI und auch bei dual (Serotonin und Noradrenalin) wirkenden AD führen. Die Patienten sind darüber zu informieren. Wenn es sich um einen Patienten handelt, bei dem innerhalb der letzten fünf Jahre die zumindest dritte Episode aufgetreten ist, sollte unbedingt eine Langzeittherapie besprochen werden. Für die Rückfallverhütung sind jedoch nicht die AD selbst das Mittel der 1. Wahl, dazu gibt es eigentlich – mit Ausnahme von Amitriptylin über fünf Jahre – keine Studien. Auch hier haben die Stimmungsstabilisierer ihren Stellenwert.
Wenn im früheren Verlauf zu irgendeinem Zeitpunkt hypomanische oder manische Phasen aufgetreten sind, so spricht man von einer sogenannten bipolaren Depression. Hier sind sowohl die akute Medikation als auch eine längerfristige Schutzmedikation (Stimmungsstabilisierer, Prophylaxe) genauer zu überlegen. Neuere Studien stellen den Wert von AD alleine in der Behandlung der bipolaren Depression sehr in Frage.
Es sollte zumindest ein Stimmungs-stabilisierer zusätzlich verabreicht werden. Von den atypischen Antipsychotika ist Quetiapin bislang das einzige mit Zulassung für die Akutbehandlung der bipolaren Depression.
Die Langzeitbehandlung bei rezidivierender Depression sollte gemeinsam mit einem Facharzt für Psychiatrie ausgearbeitet werden und kann dann vom Hausarzt weiter durchgeführt werden. Ob ein AD alleine ausreichend ist, oder Lamotrigin, Lithium oder Quetiapin insbesondere bei bipoalrer Depression ist zu entscheiden. Wie viel und welche Psychotherapie kann der Hausarzt mit dem Patienten besprechen. Leider werden selten entsprechende Entspannungstechniken wie Jacobson oder Autogenes Training oder Achtsamkeitsübungen wirklich konsequent empfohlen.
Bei Therapieresistenz im praktischen Sinne (Patient und/oder Arzt unzufrieden mit dem Behandlungserfolg) sind mehrere Fragen zu stellen. Spätestens nach dem 28. Behandlungstag sollte, wenn alle anderen möglichen Einflussfaktoren ausgeschlossen worden sind, eine schrittweise Ausdosierung erfolgen. Manche Autoren empfehlen diese Vorgangsweise schon nach dem 14. Behandlungstag, da das lange Zuwarten, wie es früher empfohlen wurde, wahrscheinlich überhaupt keinen Sinn macht (H. Stassen, E. Frank, A.Conca). Die Kombination von AD mit unterschiedlichem Wirkungsansatz (Serotonin und Noradrenalin gleichzeitig) ist für viele Ärzte der nächste sinnvolle Schritt.
Bei Schlafstörungen, Agitation und inhaltlicher Einengung (nihilistische Ideen, Wahn) ist sicher ein atypisches Antipsychotikum zusätzlich zur antidepressiven Medikation indiziert.
Die Kombination von zwei antidepressiven Medikamenten mit dem gleichen Wirkungsansatz wird in der Literatur nicht empfohlen. Mit Ausnahme von MAO-Hemmern können die vorhandenen AD relativ gut und problemlos kombiniert werden. Eine Kombination von zwei Medikamenten, die über das Serotoninsystem wirken, erhöht die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen wie v.a. Unruhe. Eine Serumspiegelbestimmung der AD sollte auch im niedergelassenen Bereich, wenn ausdosiert, durchgeführt werden.
Am Beginn der Behandlung ist es ratsam, mit dem Patienten zu besprechen, welche Symptome sich als Erstes verbessern sollen. Zum Beispiel kann bei vorhandenem Etappenschlaf und frühzeitigem Erwachen die Schlafstörung als erstes „Leitsymptom“ ausgewählt und besprochen werden. Dieses Symptom kann relativ rasch mit schlaffördernden AD und vor allem am Beginn der Behandlung mit einer vorübergehenden Verordnung von Hypnotika beseitigt werden.
Neben der Zielsetzung, wann sich welche Symptome der Depression durch die medikamentöse Behandlung verbessern sollten, ist auch die Besprechung möglicher Nebenwirkungen – vor allem auch für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient – wichtig. Eine vorübergehende Verstärkung der inneren Unruhe, anhaltende Schlafstörungen und Lebensüberdruss gehören zu den wichtigsten Symptomen bzw. Nebenwirkungen – auch das ist dem Betroffenen näherzubringen. Wichtig ist es, dem Patienten anzubieten, dass man als Vertrauensperson zur Verfügung steht. Nur wenige Patienten nehmen diese Einladung auch in Anspruch, aber es beruhigt! Die Vorgangsweise im Falle einer Verschlechterung oder eines Rückfalls sollte gemeinsam mit der betroffenen Person, wenn möglich schriftlich, festgelegt werden. Empfohlen wird immer eine graduelle Reduktion der Medikamente und kein abruptes Absetzen, außer bei Auftreten einer manischen Episode oder einer dringlichen medizinischen Notwendigkeit – dann kann auch abrupt abgesetzt werden. Die Absetzphänomene insbesondere der SSRI können je nach Halbwertszeit der Medikamente innerhalb weniger Tage auftreten und sind den ursprünglichen Symptomen, auch Angstsymptomen, manchmal sehr ähnlich. Üblicherweise sind sie von sehr kurzer Dauer und hören auch ohne Intervention wieder auf.
Medikamente mit serotonergem Wirkmechanismus zeichnen sich eher durch Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö, aber vor allem am Anfang durch Unruhe aus. Regelmäßige Kontrollen der Elektrolyte können eine mögliche Hyponatriämie ausschließen.
Die thrombozytenaggregationshemmende Wirkung der SSRI sollte mehr Beachtung finden, da diese unerwünschte Wirkung bei Herzinfarktpatienten womöglich von Vorteil sein kann. Einige der AD können zur Gewichtszunahme führen. Es wird immer wieder vergessen, dass dies auch bei Medikamenten, die über das Serotoninsystem wirken, bei längerer Einnahme, über Monate, zutreffen kann.
Ebenso können bei dieser Art von Medikamenten in der längerfristigen Therapie sexuelle Funktionsstörungen eine Rolle spielen. EKG-Veränderungen sind bei allen neueren AD nicht zu erwarten. Trizyklische AD sind hinsichtlich Wirksamkeit noch immer zu empfehlen und sollten unbedingt mit EKG-Kontrollen, v.a. beim älteren Menschen, angewendet werden. Patienten, die mehrere Medikamente einnehmen bzw. diese wegen anderer Erkrankungen brauchen, erfordern eine Überprüfung betreffend der Cytochrom-P450-Isoenzyme.
Lichttherapie: Die Lichttherapie, die ursprünglich nur bei der Herbst-Winter-Depression eingesetzt wurde, kann durchaus bei allen Depressionsformen angewendet werden. Auch hier ist innerhalb einer Woche zu erkennen, ob jemand davon profitiert oder nicht. Bei der Lichttherapie verwendet man Lichtlampen mit einer Lichtstärke von 10.000 Lux, bei einer Entfernung von ca. 60–70 cm.
Die Empfehlungen schwanken zwischen 30 Minuten und einer Stunde morgens als Impulsgeber bis zu zweimal am Tag. Die neuere Generation an LED-Lichtlampen ist sehr klein, erschwinglich und praktikabel.
Sowohl beim Schlafentzug als auch bei der Lichttherapie kann es auch zu unerwünschten Wirkungen wie Gereiztheit, Unruhe, entzündeten Augen und Kippen in die Manie (selten) kommen.
Wenn eine Schwangerschaft während laufender antidepressiver Therapie eintritt, so sind in den ersten Wochen in aller Ruhe Nutzen/Risiko mit der betroffenen Frau und, falls erwünscht, mit der Familie zu besprechen. In weiterer Folge wird man die Medikation nach Berücksichtigung des bisherigen Verlaufes und Schweregrades zu reduzieren versuchen.
Die gute Nachricht: Insgesamt sind AD während der Schwangerschaft und Stillzeit nicht kontraindiziert und weniger problematisch als bislang angenommen. Eine klare Indikationsstellung durch den Facharzt sowie eine Abwägung von Kosten-Nutzen-Risiko bei hoher Rückfallwahrscheinlichkeit sollen besprochen und dokumentiert werden. Regelmäßige Kontrollen sind zu organisieren.
Vom Allgemeinmediziner ist Folgendes im Rahmen einer Depressionserkrankung zu beachten
Wann sollte an eine Überweisungan den Facharzt für Psychiatrie gedacht werden?