Im heimischen Gesundheitswesen läuft es nicht so, wie es laufen sollte. Aussendungen und Medienberichte zu Zahlen, Fakten und Forderungen der wichtigen Player lassen erahnen, dass sich Patient:innen heutzutage eher schlecht als recht im österreichischen Gesundheitssystem zurechtfinden. So zeichnen aktuelle Zahlen der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zum im vergangenen Jahr eingeführten e-Rezept ein besonders deutliches Bild: Von rund 40 Millionen ausgestellten elektronischen Rezepten wurden nur ungefähr 27 Millionen eingelöst. Was passiert mit den restlichen 13 Millionen e-Rezepten? Wird jedes dritte Rezept nicht eingelöst? Werden zu viele unnötige Rezepte ausgestellt? Liegt womöglich ein technischer Fehler vor?
Die ÖGK relativiert: „Die häufigste Ursache, die uns bekannt ist, ist jene, dass die Abgabe über die e-Medikation erfolgt und das gespeicherte e-Rezept nicht eingelöst wird“, heißt es auf Anfrage der Ärzte Krone. Grundsätzlich werde jede Verordnung, die auf einem e-Rezept erfolgt, auch in der e-Medikation gespeichert. Für die Abgabe über diese brauche es nur die Eingabe der Sozialversicherungsnummer. Im Gegensatz dazu könne ein e-Rezept aber nur durch Stecken der e-Card, Scan des dazugehörigen Codes oder Eingabe der damit verbundenen ID in Apotheken eingelöst werden. In all jenen Fällen, wo also keine e-Card gesteckt werden kann, weil der Patient oder die Patientin sie beispielsweise zuhause vergessen hat, erfolgt die Abgabe über die e-Medikation – das e-Rezept gilt dann als nicht eingelöst. Die Abgabe über die e-Medikation ist noch bis Ende Juni rechtlich möglich, nach Außerkrafttreten der Rechtsgrundlage wird es nach Ansicht der ÖGK zu einem Anstieg der eingelösten e-Rezepte kommen.
Allerdings, so hört man aus der Sozialversicherung: Rund 10 Prozent aller Rezepte werden tatsächlich nicht eingelöst. Man arbeite gerade daran, künftig auszuwerten, was die Gründe dafür sein könnten und um welche Art von Medikamenten es sich handle. Es sei ein Unterschied, ob sie wegen der Besserung von kurzfristigen und eher harmlosen Symptomen nicht eingelöst werden, oder ob Patient:innen wichtige Therapien nicht machen. In letzterem Fall gehe es dann auch um die Gründe wie Misstrauen oder Unwissenheit, heißt es auf Anfrage aus dem Dachverband.
Mitglieder der Ärztekammer sehen in jedem Fall Verbesserungsbedarf. Dort wird auch öfters beobachtet, dass Patient:innen Rezepte verlangen und dann merken, dass sie noch genug zuhause haben. Genauso wie das Horten von Arzneimittelvorräten. Und auch Papierrezepte wurden in der Vergangenheit immer wieder vergessen. Die Einführung des e-Rezepts habe aber auch den Arbeitsalltag der Ärztinnen und Ärzte verändert – teils zum Negativen, wie Dr.in Naghme Kamaleyan-Schmied, stellvertretende Bundeskurienobfrau des niedergelassenen Bereichs, findet: „Seit es das e-Rezept gibt, bestellen die Patient:innen ihre Rezepte vermehrt über E-Mails und kommen gar nicht mehr in die Ordination. Da geht ein wichtiges diagnostisches Tool verloren, die Patient:innen persönlich zu sehen ist sehr wichtig. Und auch administrativ ist es ein Wahnsinn“, sagt Kamaleyan-Schmied. Viele E-Mails müssten außerhalb der Ordinationszeiten, also in ihrer Freizeit, beantwortet werden. Das brauche Zeit und auch Personalressourcen.
Dass Patient:innen nicht mehr in die Ordinationen kommen, ist allerdings nicht nur beim Bestellen eines Rezepts bemerkbar, wie eine der neuesten Forderungen der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) zeigt. Diese umfasst die Einführung von Stornogebühren bei nichteingehaltenen Ordinationsterminen ohne vorherige Abmeldung. „So ein Verhalten können wir uns jetzt weniger leisten denn je. Ärztinnen und Ärzte vollbringen aktuell Höchstleistungen, um den Ordinationsbetrieb und die Versorgung aufrecht zu erhalten, sie brauchen dabei volle Unterstützung. Die Österreichische Ärztekammer unterstützt daher weiterhin die Verrechnung einer Stornogebühr für diese so genannten ‚Leer-Termine‘“, hält MR Dr. Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, fest.
Die angesprochenen „Leer-Termine“ habe es auch in der Vergangenheit gegeben, laut Prof. Dr. Dietmar Bayer, stellvertretender Kurienobmann der niedergelassenen Ärzt:innen der ÖÄK, treten sie nun aber gehäuft auf. „Für besonders sinnvoll halten wir das Modell, in dem das eingenommene Geld – abzüglich eines kleinen Anteils für den Verwaltungsaufwand – einem Strukturfonds zur Verbesserung der Kassenmedizin zugutekommt“, erklärt sein Kollege Dr. Edgar Wutscher, Vizepräsident der ÖÄK und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Denn damit würden am Ende alle davon profitieren. Sobald Patient:innen einen Termin ausmachen, gingen sie einen Behandlungsvertrag ein, der im Falle eines unabgemeldeten Nicht-Erscheinens einseitig aufgelöst wird, was eine Stornogebühr seiner Meinung nach rechtfertige. Solange diese im Vorhinein angegeben und/oder auf der Webseite ersichtlich ist, wäre dies laut Ärztekammer durchaus vertretbar.
Bayer ortet die Gründe dafür, dass Patientinnen und Patienten unabgemeldet nicht auftauchen, teils darin, dass sie Termine bei mehreren Ärzt:innen ausmachen, den frühesten in Anspruch nehmen und vergessen, andere abzusagen. Aber auch fehlende Wertschätzung spiele laut Bayer eine große Rolle. Bei der Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen scheint es also Verbesserungsbedarf zu geben. Ein erhöhter Druck auf beiden Seiten durch den akuten Personalmangel und Lieferengpässe bei Arzneimitteln sowie ein aktuell massives Infektionsgeschehen durch Corona, Influenza und RS-Viren verschärft die Situation. Vor allem Letzteres führe derzeit immer wieder zu überfüllten Spitalsambulanzen, was kürzlich die Ärztekammer Oberösterreich dazu veranlasste, die Einführung einer weiteren Art von Ambulanz-Gebühr zu fordern. „Das Wichtigste ist die Patient:innensteuerung. Dazu sollten jene, die im System Verantwortung tragen, gemeinsam einen Regelweg durch das System definieren, der die optimale Betreuung und die notwendigen Leistungen garantiert. Entscheiden sich dann die Patientinnen und Patienten, diesen Weg entgegen den Empfehlungen zu verlassen und lieber direkt in die Ambulanz zu gehen, müssen sie zahlen“, erklärt Dr. Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer Oberösterreich seinen Vorschlag.
Der Dachverband der Sozialversicherungsträger hält eine Patient:innensteuerung ebenfalls für „eine der entscheidenden Aufgaben in einem modernen, effizienten und zukunftsorientierten Gesundheitssystem“. Dazu brauche es nicht nur eine „optimale Struktur“, sondern auch die „Eigenverantwortung“ der Patient:innen selbst. Wie genau aber der „Regelweg“ aussehen soll und wer ihn in welcher Form den Patient:innen kommuniziert, ist allerdings noch niemandem klar – weder der Standesvertretung noch den Sozialversicherungen noch den Patient:innen. (Mitarbeit: Martin Rümmele)