Ein Patient führte einen Schadenersatzprozess gegen einen Arzt für Allgemeinmedizin, den er wegen Beschwerden am linken Vorfuß aufgesucht hatte, und warf diesem einen Diagnose- und Behandlungsfehler vor. Nur wenige Tage nach dem erstmaligen Aufsuchen des Allgemeinmediziners wandte sich der Patient wegen der gleichen Beschwerden auch an seinen – seit vielen Jahren bestehenden – Hausarzt, der die Fußverletzung ebenfalls nicht richtig diagnostiziert und eine Krankenhausbehandlung zu Unrecht für nicht notwendig erachtet habe. In dem gegen den Allgemeinmediziner geführten Schadenersatzprozess verkündete dieser dem Hausarzt den Streit, um sich – für den Fall des Prozessunterliegens – allfällige Regressansprüche gegen den Hausarzt zu sichern.
Der Hausarzt trat dem Streit bei und legte dem Gericht die vollständige Krankenakte des Patienten vor, in der auch Befunde über die von ihm behandelte Polyneuropathie in den Beinen des Patienten enthalten waren. Darauf klagte der Patient den Hausarzt auf Unterlassung des Verletzens der ärztlichen Schweigepflicht und auf Feststellung der Schadenshaftung wegen des Verstoßes gegen die ärztliche Schweigepflicht.
In diesem Verfahren wiesen das Erstgericht und das Berufungsgericht das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht ließ jedoch die Überprüfung des Urteils durch den Obersten Gerichtshof zur Klärung der Frage zu, ob die Durchbrechung der ärztlichen Schweigepflicht auch dann zulässig ist, wenn der Arzt bloß eigene (in der Regel wirtschaftliche) Interessen verfolgt und die im Gesetz (§ 54 Abs. 2 und 3 ÄrzteG) genannten Ausnahmetatbestände gar nicht vorliegen.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte die Klageabweisung und folgte in seiner Begründung der überwiegenden Meinung im Schrifttum, dass die Wahrnehmung auch der eigenen Interessen des Arztes eine Durchbrechung der Schweigepflicht rechtfertigen kann, sind doch bei Kunstfehlerprozessen mitunter nicht nur wirtschaftliche, sondern auch berufliche Interessen des Arztes betroffen (etwa bei der Möglichkeit eines befristeten Berufsverbots). Aus dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 MRK) folgt, dass der Arzt in Kunstfehlerprozessen nicht schutzlos ausgeliefert sein darf. Für den OGH spielt es dabei auch keine Rolle, dass der Hausarzt im Schadenersatzprozess gegen den Allgemeinmediziner nicht selbst Gegner der Schadenersatzansprüche, sondern nur Nebenintervenient (= Streithelfer) auf Seiten des beklagten Allgemeinmediziners war: Als Streithelfer hatte der Hausarzt ein konkretes rechtliches Interesse am Ausgang des Schadenersatzprozesses, musste er doch im Fall des Unterliegens des beklagten Allgemeinmediziners mit einem Regressprozess rechnen.
Diesen Prozess wegen Unterlassung des Verstoßes gegen die ärztliche Schweigepflicht hatte der Hausarzt gewonnen. Einen Freibrief für die uneingeschränkte Vorlage von Patientendaten im Fall eines zivil-, disziplinär- oder strafrechtlichen Verfahrens bedeutet diese Entscheidung aber nicht. Daten, die in einem konkreten Haftungsfall keine (offensichtliche) Rolle spielen, seien es banale oder „peinliche“ Erkrankungen, dürfen nicht offengelegt werden. Der Umfang der zur Verteidigung des Arztes erforderlichen Offenlegung ist im Einzelfall sorgsam zu prüfen, das Recht auf Verteidigung in eigener Sache stets gegen die Interessen des Patienten auf Geheimhaltung von Patientendaten abzuwägen. Mit der ELGA-Einführung kann übrigens diese Abwägung in Zukunft zu einer zusätzlichen Herausforderung werden.