Priv.-Doz. Dr. Hans Jürgen Dornbusch: Fake News sind leider tatsächlich ein immer größer werdendes Problem, das durch soziale Medien Unterstützung und Auftrieb erhält – gefördert durch einzelne wortgewandte Protagonisten der Anti-Impfszene, die gezielt Falschmeldungen ins Netz stellen. Auch politische Leitfiguren wie etwa der US-Präsident, der die Masernimpfung mit Autismus in Verbindung gebracht hat, tragen zu dieser Entwicklung bei. Basis dieses vermeintlichen Zusammenhangs war allerdings ein wissenschaftlicher Betrugsfall, der zur Entziehung der Berufsberechtigung des publizierenden Arztes und zum Rückzug des entsprechenden Lancet-Papers (Wakefield et al., 19981) geführt hat. Trotzdem hält sich diese Botschaft hartnäckig. Sobald ein Mythos einmal eine gewisse Verbreitung erfahren hat, ist er nur noch schwer aus der Welt zu schaffen.
Mit gezielten Maßnahmen und viel Fingerspitzengefühl in der Kommunikation. Wichtig und wünschenswert ist, dass der Arzt Impfexperte ist und eine solide Information bieten kann, auf die sich die Patienten verlassen können. Gefragt ist natürlich auch die Politik, die die Rahmenbedingungen schafft. So existiert seit 2018 die Joint Action for Vaccination der Europäischen Kommission mit dem Ziel einer Erhöhung der Durchimpfungsraten; Hintergrund war hier eine beträchtliche Zunahme von Erkrankungen, die durch Impfungen zu verhindern wären, wie zum Beispiel Masern.
Ein wesentlicher Punkt ist natürlich auch die mediale Berichterstattung. Die Europäische Akademie für Pädiatrie hat u. a. mehr Ethik im Journalismus eingefordert. Gerade im Rundfunk kann man erleben, dass die Meinung von Impfgegnern als vermeintlich gleichwertiges Gegenstück zu wissenschaftlichen Erkenntnissen dargestellt wird, um den Spannungs- und Unterhaltungswert zu steigern. Anderseits erleben wir erfreulicherweise in den letzten Jahren in der Medienlandschaft einen durchaus positiven Trend hin zu einer seriösen Berichterstattung.
Es werden vier Hauptgründe für eine mangelnde Durchimpfungsrate postuliert, die sogenannten vier C’s:
Confidence: Mangelndes Vertrauen in die Wirkung und Sicherheit der Impfung beziehungsweise in die Industrie und die Behörden. Das Vertrauen in den Arzt ist aber die wichtigste Motivationsgrundlage und hat auch eine Vorbildwirkung.
Complacency: Je erfolgreicher eine Impfung ist und je mehr die Erkrankung dadurch aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet, desto geringer wird die Impfbereitschaft. Viele Menschen haben nie einen Masernfall und seine Komplikationen gesehen.
Convenience: Der Weg zur Impfung ist für den Patienten mühsam; der Arzt wiederum fragt nicht standardmäßig nach dem Impfpass.
Calculation: Der Patient rechnet mit dem Herdenschutz, verlässt sich also auf die anderen und geht selbst nicht zur Impfung.
Diese vier Punkte müssen bewusst in Angriff genommen werden. Impfungen sollen niederschwellig angeboten werden. Es muss möglich sein, dass generell zum Beispiel Eltern von Kinderärzten und Partner von Gynäkologen mitgeimpft werden.
Ein häufiger Mythos betrifft die vermeintliche Förderung oder gar Auslösung von Allergien durch Impfungen. Dazu gibt es ein wunderbares Gegenbeispiel: In der DDR galt die Impfpflicht und es gab eine entsprechend hohe Durchimpfungsrate. In der BRD hingegen waren aufgrund der liberaleren Situation die Durchimpfungsraten ungleich niedriger. Gleichzeitig war allerdings die Allergieprävalenz in der BRD deutlich höher. In den Jahren nach der Wiedervereinigung ist dieser Unterschied allmählich verschwunden. In keiner Studie konnte ein Zusammenhang zwischen Allergien und Impfungen festgestellt werden. Im Gegenteil: Durchgemachte Erkrankungen und Impfungen, die ja nur eine Art Miniatur der Erkrankung darstellen, haben auf das Immunsystem sozusagen einen positiven „erzieherischen“ Effekt.
Als es noch die Pockenimpfung gab, existierten wirkliche Impfschäden. Auch die Tuberkuloseimpfung führte zu Komplikationen, wie zum Beispielschweren Lymphabszessen. Derzeit gibt es jährlich durchschnittlich 1–2 zuerkannte Impfschäden, die aber allesamt nie vom Erstgutachter als Impfschaden anerkannt wurden. Man muss diesen Umstand auch vor dem Hintergrund betrachten, dass das Impfschadengesetz jemandem, der einen Impfschaden erleidet, unter Umständen eine lebenslange Rente garantiert. Dem gegenüber stehen 3,5–4 Millionen verabreichte Impfungen pro Jahr.
Davon zu unterscheiden ist die Impf-REAKTION. Dazu gehören Rötungen und Schmerzen an der Impfstelle sowie Fieber für maximal 3 Tage bei Totimpfstoffen. Bei Lebendimpfstoffen gibt es Minimalformen der tatsächlichen Erkrankung. Also Impf-Masern oder -Varizellen, die nach einer Verzögerung von 1–2 Wochen leichte Krankheitssymptome hervorrufen, aber weder gefährlich noch übertragbar sind.
Impfstoffe enthalten heute kein Quecksilber mehr, wohl aber Aluminium. Die durch eine Impfung verabreichte Aluminiummenge liegt unter dem Wert, welcher in der Muttermilch enthalten ist. Das sind Fakten, mit denen man ganz gut argumentieren und beispielsweise eine stillende Mutter auch überzeugen kann.
Die Antwort liegt im Impfplan. Alle dort angeführten Impfungen – egal, ob sie erstattet werden oder nicht – sind zu empfehlen. Ich würde mir nicht anmaßen, die Empfehlungen des nationalen Impfplans abzuändern.
Schwierig wird es, wenn man mit Patienten, die aus finanziell angespannten Verhältnissen kommen, zu tun hat und ihnen teure Impfungen empfohlen werden, deren Kosten sie selbst tragen müssen, wie zum Beispiel die Meningokokken-Impfung. Dabei verursachen Meningokokken bei Kindern neben Pneumokokken und Haemophilus influenzae die gefährlichsten bakteriellen Infektionen.
In Deutschland beispielsweise ist die Varizellen-Impfung seit 2004 kostenfrei; bei uns wird sie lediglich empfohlen. Dabei zeigen die Zahlen, dass die Varizellen durch die Impfung fast verschwunden sind. Die Hospitalisierungen sind ebenfalls deutlich zurückgegangen und auch bei den besonders schlimm betroffenen Immunsupprimierten kommt die Erkrankung wesentlich seltener vor. Sogar die ökonomischen Effekte sind positiv.
Was die Menschen nicht sehen, sind die Risiken, die mit vermeintlich harmlosen Kinderkrankheiten einhergehen. So vervierfacht sich durch Varizellen das Schlaganfallrisiko; das Virus wirkt teratogen und bei Erkrankung der Mutter um die Geburt ist die Mortalität des Kindes groß. Die Hauptkomplikation bei Kindern sind allerdings bakterielle Infektionen, bei denen die Effloreszenzen die Eintrittspforten darstellen.
Daten aus den USA und Deutschland belegen, dass bei Geimpften die Herpes-Zoster-Inzidenz bereits sinkt beziehungsweise bei einem Ausbruch milder verläuft. Zudem gibt es eine neue, in Europa leider nicht verfügbare, bis in höchste Lebensalter hocheffektive Herpes-Zoster-Impfung. Der ältere Lebendimpfstoff, der bei uns verfügbar ist, besteht aus der 14-fachen Dosis der Varizellen-Impfung und schützt zu etwa 50 % vor der Erkrankung und zu 70 % vor der Neuralgie.
Eine Pflicht ist eine von vielen Maßnahmen, mit denen man auf eine mangelnde Durchimpfungsrate reagieren kann. Ist die Durchimpfungsrate bereits bei Freiwilligkeit relativ hoch, wird man auf Zwangsmaßnahmen gut verzichten können. Ist die Impflücke groß, kann eine Pflicht sinnvoll sein. In öffentlichen Bereichen wie im Spital, in der Schule oder im Kindergarten ist zumindest für das Personal eine Impfung zu verlangen; da geht es um den Schutz der Schutzbefohlenen. Ich bin aber generell gegen die Bezeichnung „Pflicht“. Im Vordergrund muss das Wort „Impf-MOTIVATION“ stehen.
Die Effektivität der Influenza-Impfung schwankt von Jahr zu Jahr und bewegt sich im Bereich von 40–80 %. Wir wissen durch Erfahrungen aus Japan und England, dass gerade die Influenza-Impfung auch mit deutlichen indirekten Effekten verbunden ist. Man konnte feststellen, dass bereits eine 20%ige Durchimpfungsrate bei Schulkindern die Mortalität bei Patienten > 65 Jahren stärker senkt als eine 90%ige Durchimpfungsrate der > 65-Jährigen selbst. Es existiert also ein starker „Herdeneffekt“ auf die Senioren, denn Kinder sind die Hauptansteckungsquelle.
Und selbst wenn die Influenza trotz Impfung ausbricht, verläuft sie wesentlich milder und es gibt kaum Todesfälle. Die Influenza ist aber auch für Kinder nicht ungefährlich: In den USA versterben jährlich rund 100 Kinder an Influenza; in manchen Jahren auch wesentlich mehr – die Hälfte von ihnen ohne Vorerkrankung.