Eigentlich sollte es selbstverständlich sein …

Editorial

Die Zeit, in der wir leben, wird wohl nicht als eine Epoche in die Geschichte eingehen, in der das Thema Wertschätzung eine dominante Rolle gespielt hat. Eine Mitursache ist hier wohl der Trend, Menschen immer mehr als Kostenfaktor zu sehen – das gilt leider zunehmend auch für unser Gesundheitssystem. Es ist deshalb zu begrüßen, dass sich ein Medizin-Verlag des Themas „Wertschätzung“ annimmt.
Auch wir Ärzte blieben vom Trend zur abnehmenden Wertschätzung nicht verschont. Dieser Befund gilt nicht für die Haltung von Patienten und Bürgern: In Rankings steht die Ärzteschaft stets an der Spitze der Berufsimage-Pyramide. Und zwei aktuelle Umfragen im Auftrag der Ärztekammer zeigen, dass 95 bzw. 96% der Menschen mit ihren Ärzten zufrieden sind. So weit, so gut.
In einem scharfen Kontrast dazu steht allerdings die Art und Weise, mit der manche Repräsentanten der Gesundheitspolitik und der Sozialversicherungen uns Ärzten begegnen. Da bespitzelt man uns durch „Mystery Shopper“, man deckt uns mit unproduktiver Bürokratie ein, und man glaubt tatsächlich, in der gesundheitspolitischen Planung auf unsere Expertise verzichten zu können. Zuletzt versucht es die Regierung sogar mit einem geplanten PHC-Gesetz, dessen erkennbares Ziel es ist, die Ärzteschaft zu schwächen und den Gesamtvertrag auszuhebeln.
Das alles lässt leider das blanke Gegenteil von Wertschätzung erkennen und macht die Frustrationen vieler Ärzte verständlich. Und einmal mehr zeigt sich eine beträchtliche Kluft zwischen den Bürgern, die ihre Ärzte wertschätzen, und ihren politischen Repräsentanten.
Also bitte wieder mehr Respekt und Wertschätzung seitens der Politik für die Leistungen, die Ärzte jeden Tag erbringen. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel – nicht nur, aber auch in unserem Gesundheitssystem.
VP Dr. Johannes Steinhart

 

 

Der vorliegende Beitrag sollte eigentlich gar nicht geschrieben werden müssen, weil es sich um Selbstverständlichkeiten handelt. Dass er doch geschrieben werden muss, verweist darauf, dass sich das Selbstverständliche eben doch nicht immer von selbst versteht. Darum sollen die nachfolgenden Betrachtungen dazu beitragen, über die eigene und institutionelle Praxis der Wertschätzung zu reflektieren.

Wertschätzung und Anerkennung für das, was wir sind und was wir tun, gehört zu den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen. Der Mensch ist von Kindesbeinen an darauf angewiesen, als wertvoll anerkannt und geschätzt zu werden. Allerdings unterstellt der Begriff des Wertes, dass es hier um etwas Verrechenbares, Bezahlbares geht. Darum sprach der wohl bekannteste Aufklärungsphilosoph, Immanuel Kant auch davon, dass der Mensch einen absoluten, unendlichen Wert hat. Was aber einen unendlichen Wert hat, hat „Würde“. Daher ist jedenfalls der Mensch mit Würde ausgestattet, nämlich alleine schon deswegen, weil er Mensch ist – ohne eine Vorleistung zu erbringen. Deshalb ist der Begriff der Menschenwürde auch in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte eingegangen, und zwar als sog. überpositives Recht, das nicht erst der expliziten Zuerkennung bedarf. Es reicht jedoch nicht, lediglich von der Menschenwürde zu sprechen, sondern sie muss auch gelebte alltägliche Praxis sein. Menschen müssen als unendlich wertvolle Geschöpfe im alltäglichen Umgang „gewürdigt“ werden.

Von früh an bedürfen Menschen also der Wertschätzung, und zwar um ihrer selbst willen und auch für das, was sie tun. Schon Kinder buhlen um die Anerkennung ihrer Eltern, und nicht selten kommt es dabei auch zu Spannungen, weil man eben kaum genug davon bekommen kann. Für die psychische – und zum Teil auch physische – Gesundheit von Menschen ist Wertschätzung und Anerkennung kaum hoch genug zu veranschlagen. Auf neuronaler Ebene werden hier entweder Wohlfühl- oder Stressstrukturen im Gehirn aktiviert. Viele Menschen haben es erlebt, von anderen Menschen oder sogar von ihren Eltern (häufig den Vätern) nur dann anerkannt und wertgeschätzt zu werden, wenn sie etwas Besonderes geleistet hatten. Damit sind bereits weitere Konsequenzen verbunden. Jeder kennt eine Vielzahl von Menschen, die ganz besonders mit ihren Leistungen glänzen wollen, um die benötigte Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu erhalten – und damit häufig genau das Gegenteil erreichen. Man „spürt“ es Menschen förmlich an, ob sie mit sich selbst im Reinen sind oder fortwährend um Anerkennung ringen. Vieles davon hat seine Wurzeln in der eigenen (frühen) Lebensgeschichte. Es ist sicherlich nicht zufällig, dass in der Vergangenheit für die letzte und bedeutsamste Anerkennung „Gott“ zuständig zeichnete. Denn diese übergreifende Anerkennung und Wertschätzung konnte von irdischen Anerkennungsbedürfnissen entlasten. Mittlerweile sind wir jedoch ganz auf die Welt zurückgeworfen und gewissermaßen mit ihr alleine. Der kürzlich verstorbene Philosoph Odo Marquard brachte diesen Umstand mit dem Begriff der „Übertribunalisierung“ auf den Punkt, wonach nun das gesamte Belastungspotenzial auf dem Menschen und dem innerweltlichen Wohlergehen liege – was zu permanenten Überforderungen in allen Lebensbereichen führe.

Moderne Hochleistungs- und Stressgesellschaft

Fehlen nun adäquate Wertschätzung und Anerkennung, folgen unweigerlich Kompensationsstrategien, weil es sich eben um ein Grundbedürfnis handelt. Umgekehrt weiß jeder um die Wohltat gebührender Wertschätzung. Menschen sind vieles bereit auszuhalten, wenn ihnen entsprechende Wertschätzung entgegengebracht wird. Gesellschaftlich lassen sich derzeit ambivalente Entwicklungen wahrnehmen: Auf der einen Seite spricht man bereits vom „Megatrend Achtsamkeit“, der zunehmend auf die inneren Befindlichkeiten fokussiert. Menschen horchen in sich hinein und suchen nach innerem Heil-Sein. Das ergibt sich beinahe notwendig aus der Entlastung vom äußeren Überlebensdruck. Auf der anderen Seite wird Wertschätzung und Anerkennung für andere und ihre Tätigkeiten häufig ausgeblendet, weil man ganz in die eigenen Probleme verstrickt ist oder die moderne Hochleistungs- und Hochstressgesellschaft kaum noch Raum und Zeit für echte Zuwendung lässt. Jeder ist nur noch gestresst! Hoffentlich wird der beschworene „Megatrend Achtsamkeit“ nicht zum Neobiedermeier!

Eine Gesundheitsexpertin antwortete einmal auf die Frage nach der Wertschätzung für ihre MitarbeiterInnen: „Es ist ja schon eine hohe Wertschätzung, wenn ich sie nicht tadle!“ Derartige Vorstellungen sind nicht so selten. Dabei wird jedoch verwechselt, dass Wertschätzung und Anerkennung aktive Handlungen sind, nicht passives Schweigen. Genau an diesem Punkt sollte gesellschaftlich und individuell noch einmal kritisch angesetzt werden. Wir brauchen eine aktive Wertschätzungskultur, die nicht alles als selbstverständlich und gegeben hinnimmt, sondern danach fragt: Was würde dem anderen Menschen jetzt guttun? Was würde ihm hier und jetzt helfen? Aus den üblichen Kommunikationstheorien wissen wir, wie wichtig für Menschen eine positive Zuwendung, ein Lächeln und ein „gutes Wort“ sein können. Dazu gehören aber auch Strukturen und Arbeitsbedingungen, die diese Wertschätzung adäquat zum Ausdruck bringen.

Psychosoziale Kompetenz: in der Politik noch nicht angekommen

Das Gesagte betrifft natürlich auch den beruflichen Alltag und das Gesundheitssystem. In modernen Unternehmen hat es sich längst herumgesprochen, dass letztlich nur zufriedene MitarbeiterInnen zum Erfolg des gesamten Unternehmens führen. Fühlen sich Menschen wertgeschätzt und anerkannt, wird auf ihre Bedürfnisse und ihre Lebenssituationen Bedacht genommen, sind sie zu Höchstleistungen bereit. Nicht zufällig mutieren internationale Großkonzerne wie Google, Microsoft usw. geradezu zu Wohlfühloasen. Nur mit entsprechender Atmosphäre und Rahmengestaltung kann aus MitarbeiterInnen das Beste herausgezaubert werden; wohingegen permanente negative Belastungen – und diese können sehr unterschiedlich sein – zu gravierenden Erschöpfungszuständen führen, weil sie der Organismus nicht mehr bewältigen kann. Dementsprechend wird auch von Führungskräften eine immer höhere psychosoziale Kompetenz erfordert, und nicht nur fachliches Know-how. Leider ist das bei den zahlreichen politisch besetzten Positionen hierzulande noch nicht so recht angekommen.

Das Gesundheitssystem wiederum steht derzeit unter anderem vor der Problematik, dass viele Ärztinnen und Ärzte, vor allem aus der jüngeren Generation, mit den überkommenen Bedingungen nicht mehr zufrieden sind. Ihre eigenen Lebensentwürfe decken sich nicht mehr mit den vorliegenden Angeboten. Wir sprechen von Abwanderungen aus ländlichen Gegenden, Auswanderungsbestrebungen in Länder, die bessere Rahmenbedingungen versprechen und lukrativer entlohnen, Wünsche nach Teilzeitbeschäftigung, bessere Berücksichtigung aktueller Lebensphasen und damit insgesamt das Bedürfnis nach mehr Wertschätzung und Anerkennung. Auch in der jeweiligen Entlohnung spiegelt sich die Form der Wertschätzung wider. Wie der hinlänglich bekannte Gemeinspruch sagt: „Was nichts kostet, ist auch nichts wert!“ Dies betrifft in ganz besonderer Weise niedergelassene praktische Ärzte: Sie flüchten zunehmend, sofern möglich, in attraktivere Rahmenbedingungen. Klassische Kassenärzte haben schon (neben anderen) alleine mit dem Dauerproblem zu kämpfen, aufgrund des Leistungsdrucks nicht ausreichend Zeit für ihre Patienten zu haben. Das kann auf Dauer nicht zufriedenstellen, weshalb für viele bereits die Privatpraxis eine aussichtsreiche Option darstellt. Das führt jedoch gesellschaftlich zu einer Zweiteilung in finanzstärkere PatientInnen und solche, die auf das öffentliche Angebot angewiesen sind. Auch der aktuell wahrzunehmende Trend in Richtung Facharzt bettet sich hier ein, weil man die Nachteile des Berufs Praktischer Arzt umgehen möchte. Auch die neuen Dienstzeitgesetze und die damit verbundenen Konsequenzen tragen nicht gerade dazu bei, hoch qualifizierte Ausgebildete im eigenen Land zu halten. Insgesamt macht sich eine Benachteiligungsmentalität breit, die künftig vor erhebliche Herausforderungen stellt. Da trägt es auch nicht gerade zur Beruhigung bei, wenn von manchen Politikern die aktuelle Migrationswelle dahingehend positiv kommentiert wird, dass etwa gut qualifizierte Ärzte z.B. aus Syrien den drohenden Ärztemangel im Land beheben könnten. Vielmehr wird gerade dadurch der Eindruck noch verstärkt, dass das Gesundheitssystem prekären Zeiten entgegengeht und man eher rat- und planlos davorsteht; zumal dadurch die Optik befördert wird, Österreich sei künftig gerade noch für Mediziner aus wirtschaftlich ärmeren Ländern ein attraktives Berufsland. Noch schlimmer: wenn die aktuellen Entwicklungen fortwährend ignoriert oder kleingeredet werden. Das alles trägt nicht zur Wertschätzung bei und wird die Situation künftig verschärfen.

Resultat: wechselseitigesVerdächtigungsklima

In diesem Zusammenhang sollte auch noch einmal die mittlerweile gängige Praxis kritisch überdacht werden, Mystery-Shopper in Arzt-Praxen einzuschleusen. Zwar mag es sein, dass häufig Kontrolle besser als Vertrauen ist. Aber aus der Perspektivevon Ethik und Wertschätzung kann das auf Dauer nur in ein wechselseitiges Verdächtigungsklima münden. Niemand ist darüber erbaut, wenn ihm implizit unterstellt wird, dass er seine Arbeit nicht ordnungsgemäß ausführt und daher der „Überwachung“ bedürfe. Diejenigen, die fleißig beim Aussenden von Mystery-Shoppern sind, würden eine derartige Praxis für sich selbst kaum gutheißen – obwohl es möglicherweise auch dort Missstände gibt. Solche Strukturen befördern weder einen attraktiven Berufsstandort für Hochqualifizierte noch kann hier überhaupt Wertschätzung aufkommen. Hier sollte die Politik dringend umdenken und nach positiven Strukturen suchen.

Wenn es also um Wertschätzung und Anerkennung im Gesundheitswesen geht, dann muss künftig an unterschiedlichen Schnittstellen und Strukturen nachgebessert werden, um diesen Werten auch adäquat Rechnung zu tragen. Dies reicht von der individuell-persönlichen Haltung (Tugenden genannt) bis hin zu allgemeinen Rahmenbedingungen und Strukturen, die als ausreichend attraktiv wahrgenommen werden. Das betrifft nicht nur den Bereich der Ärztinnen und Ärzte, sondern auch den anderer Gesundheitsberufe. Insofern bedarf es z.B. auch einer perspektivischen Hochschätzung der Pflegeberufe, wie es in anderen Ländern seit geraumer Zeit üblich, in Österreich jedoch auch aus historischen Gründen verbesserungsbedürftig ist. Dabei sollte jedoch kritisch bedacht werden, dass es nicht unbedingt günstig ist, immer mehr ärztliche Tätigkeiten an die Pflege zu delegieren, da einerseits die Pflege nun einmal ein ganz eigenes Sinnpotenzial entfaltet, das nicht unmittelbar mit ärztlichem Handeln zusammenfällt, und andererseits dadurch auch Signale an den Arztberuf und die gesamte Bevölkerung gesendet werden: billigeres Wirtschaften letztlich zu Lasten der Ärzte und Patienten.

WertschätzendeKommunikation vonnöten

Der ärztliche Beruf in all seinen Ausprägungen bedarf umfassender wertschätzender Strukturen, um den Wert, der für uns damit verbunden ist, auch zu manifestieren. Wir brauchen Anreizbedingungen, wie sie für andere hochqualifizierte Berufsgruppen üblich sind. In Anreizstrukturen kommt zum Ausdruck, dass die erbrachten Kompetenzen und Fähigkeiten für uns von enormer Bedeutung sind und uns daran gelegen ist, diese Menschen bei uns zu halten. Dazu braucht es ein Umdenken auf allen Ebenen und den Mut, auch neue Wege zu beschreiten, und eine wertschätzende Kommunikation, die gemeinsam nach neuen Lösungen strebt. Dazu kann man sich durchaus Ideen und Trends aus anderen Branchen zunutze machen. Politik und Finanzsystem sind gefordert, lebensdienliche attraktive Strukturen zu etablieren, die nicht permanent Abwertung, Überregulierung und Einsparung um jeden Preis signalisieren. Dazu muss auch ausreichend Geld zur Verfügung gestellt werden, z.B. auch in der Ausbildung und in der Lehrpraxis.

Was im Blick auf Ärzte gesagt wurde, betrifft aber natürlich auch den Umgang der Ärzte mit ihren Stakeholdern: Inwiefern ist Wertschätzung und Anerkennung gegenüber ihren MitarbeiterInnen, Patienten und anderen Anspruchsgruppen adäquat? Wie weit liegt ihnen das Gesamtwohlbefinden ihrer MitarbeiterInnen, z.B. OrdinationsassistentInnen, am Herzen, oder doch nur die eigenen monetären Belange? Wenn auch noch permanent überfüllte Wartezimmer hinzukommen, ist auch die Wertschätzung gegenüber den „Kunden“ kaum noch zu vermitteln.

Wenn es wirklich zu einem „Megatrend Achtsamkeit“ kommen sollte, dann darf dieser jedenfalls nicht in einer narzisstischen Nabelschau versickern, sondern muss die Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, die Wertschätzung und Anerkennung zugunsten jedes Einzelnen umfassen. Dann muss aber auch endlich einmal davon Abstand genommen werden, bei Gesundheitsdiskursen primär die Ökonomiekeule zu schwingen. Steht permanent die Finanzierbarkeitsfrage im Zentrum, erreicht man dadurch primär nur eines: negativen Stress. Und unter diesen Bedingungen wird sich kaum auf breiter Basis eine Zufriedenheit einstellen, unter der überhaupt erst gutes und erfolgreiches Arbeiten möglich ist. Dann aber verliert man genau die Menschen, jedenfalls innerlich, die man eigentlich erreichen und vertreten möchte. Und dann wird sich auch kaum Wertschätzung und Anerkennung breitmachen.

Hierzu sollte jeder von uns auch immer wieder kritisch mit sich selbst ins Gericht gehen und fragen: „Wie agiere ich eigentlich im täglichen Umgang mit meinen Mitmenschen und in meinem Verantwortungsbereich?“ Veränderungen müssen bekanntermaßen stets an zwei Ebenen ansetzen: am Verhalten und an den Verhältnissen.

 

Ärztebefragung zum Thema „Wertschätzung für die ärztliche Profession“
Die Ärzte Krone möchte in einer Umfrage unter Österreichs Ärztinnen und Ärzten evaluieren, wie es um die Wertschätzung für die ärztliche Profession bestellt ist.
Nehmen Sie sich bitte ein paar Minuten Zeit, um unsere Fragen zu beantworten.
Die Ergebnisse der Umfrage werden anonymisiert ausgewertet und in den Fachzeitschriften des MedMedia-Verlags publiziert.
Unter den Umfrageteilnehmern werden ein iPad Air sowie zwei Thermenaufenthalte verlost!