Ein Leitfaden zur richtigen Diagnose

Natürlich kann das Bild auch deutlich abweichen; das Stellen der richtigen Diagnose ist in der Praxis nicht immer so simpel. Die akute Mittelohrentzündung ist eine der häufigsten entzündlichen Erkrankungen im Säuglings- und Kindesalter. Sie ist auch der Grund für ein Drittel aller Antibiotikabehandlungen bei Kindern – verschiedene Quellen zeigen unterschiedliche Häufigkeiten, aber bis zu ihrem 6. Lebensjahr erleiden etwa 60–80 % der Kinder eine akute Mittelohrentzündung. Bei Erwachsenen kommt diese Krankheit viel seltener vor, ihre Inzidenz sinkt auf 0,25 % pro Jahr.

Bakterien oder Viren als Ursache

Der Hintergrund der Krankheit ist meistens eine aszendierende Infektion über die Tuba auditiva, deren physiologisch kürzerer und flacherer Verlauf im Kindesalter das häufigere Vorkommen der Erkrankung in dieser Altersgruppe erklärt. In ca. 2/3 der Fälle kann eine bakterielle Besiedlung nachgewiesen werden, die häufigsten Erreger sind Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis. Die häufigsten Viren sind RSV, Parainfluenza- und Influenzaviren. Aus differenzialdiagnostischer Sicht lohnt es sich, auch an seltener auftretende Erreger wie zum Beispiel Masern zu denken.

Symptomatik

Eine Schlüsselrolle bei der korrekten Behandlung der Otitis media spielt die richtige Diagnosestellung. Anatomisch sprechen wir bei diesem Krankheitsbild von einer akuten Inflammation der Paukenhöhle mit entzündlichem Sekret bzw. einem vorgewölbten, geröteten, entzündeten Trommelfell. Die Symptome der Krankheit sind charakteristisch, aber nicht unbedingt spezifisch: Das führende Anzeichen sind plötzliche starke Ohrenschmerzen. Dieses Symptom kann von Fieber, Abgeschlagenheit, vermindertem Allgemeinzustand und Unruhe bei Kindern begleitet sein – Otorrhö tritt meist später auf. Erbrechen, Durchfall und andere allgemeine entzündliche Symptome können auch auftreten.

Anamnese und Diagnose

Es gibt viele Krankheiten, die Ohrenschmerzen verursachen können, wie zum Beispiel die äußere Gehörgangsentzündung, Erysipel, Erkrankungen dentogenen Ursprungs, Zoster oticus, Zervikalneuralgie, Fremdkörper im Gehörgang, Speichelsteine, maligne Läsionen in der Region oder entzündliche Erkrankungen des Oropharynx – daher ist eine gute Anamnese unerlässlich. In den häufigsten Fällen geht der Mittelohrentzündung eine banale Infektion der oberen Atemwege voraus.

Nach der Anamnese erfolgt im nächsten Schritt die otoskopische/mikroskopische Ohruntersuchung, die das zuvor erwähnte Bild ergibt: entzündetes, vorgewölbtes Trommelfell mit Sekret in der Paukenhöhle. Um den therapeutischen Bedarf festzustellen, sollte man die Untersuchung unbedingt beidseits durchführen. Nach der formulierten Diagnose ist es notwendig, mögliche Komplikationen auszuschließen: Untersuchung des Nervus facialis und des vestibulocochlearen Systems, Ausschluss einer Mastoiditis sowie von meningealen Reizungen (vestibulocochlearer Orientierungstest: Stimmgabeltest, Untersuchung auf Spontannystagmus mit Frenzel-Brille, Frage nach Schwindel).

Therapie

Nach der Diagnose wird der richtige Therapieplan erstellt. Es ist wichtig zu beurteilen, welche anderen Risikofaktoren vorliegen bzw. ob die notwendige Compliance von Seiten der Patient:innen gegeben ist. Zu den Risikofaktoren gehören ein geringes Alter, beidseitige Beschwerden, Immunsuppression, seit mehreren Tagen anhaltende Symptome, Erbrechen/Durchfall, Otorrhö und Syndromerkrankungen (z.B. Trisomie 21). Die Behandlung der akuten Mittelohrentzündung sollte in zwei Hauptbereiche unterteilt werden. Der erste Bereich ist die symptomatische Therapie, die eine antiphlogistische und analgetische Behandlung wie etwa mit Ibuprofen oder Paracetamol sowie die Förderung der Belüftung der Pauke durch abschwellende Nasentropfen umfasst. Die andere ist die Antibiotikabehandlung: Die verschiedenen nationalen und internationalen Empfehlungen sind ein wenig unterschiedlich, man kann aber im Allgemeinen festlegen: Bei Säuglingen unter 6 Monaten bzw. bei Vorliegen eines der oben genannten Risikofaktoren wird eine sofortige Antibiotikatherapie empfohlen. Wenn die Mitarbeit der Patient:innen und/oder der Fürsorger:innen gegeben ist, ist eine symptomatische Therapie in den ersten 24–48 Stunden international anerkannt, die bei Bedarf mit einer Antibiotikabehandlung eskaliert werden kann. Der zu wählende Wirkstoff ist idealerweise Amoxicillin oder Cephalosporin Typ 2 oder Makrolid bei Arzneimittelempfindlichkeit. Bleiben die Beschwerden trotz Antibiotikabehandlung bestehen bzw. treten etwaige Komplikationen auf, ist eine sofortige HNO-Untersuchung empfehlenswert.

Bei richtig ausgewählter und rechtzeitig begonnener Therapie lassen die Krankheitssymptome im Allgemeinen innerhalb von 24–48 Stunden bedeutend nach, und in den meisten Fällen heilt die Krankheit ohne bleibende Symptome ab.