Wie war der Beginn bei euch?
Sebastian Huter: Wir haben vor knapp 2 Jahren aufgesperrt, ohne dass jemand von uns schon eine bestehende Praxis gehabt hätte. Wir waren also alle am ersten Tag „neu“. Es gab kein Kernteam, sondern wir haben erst zusammenfinden müssen. Dafür haben wir 2 Wochen vor unserer Eröffnung einen Welcome Day für das Team gemacht.
Wie funktionieren die Kommunikation und die Organisation in einer PVE?
Der Unterschied zu einer Einzelpraxis ist schon die Zahl an Leuten. Wenn du 16 Personen etwas erklären musst, geht das nicht mehr nebenbei. Wenn neue Mitarbeiter:innen dazukommen, die von jemandem eingeschult werden, der selbst von jemandem eingeschult wurde, ist das wie Stille Post spielen, und man merkt, dass das nicht ausreicht. Es geht also nicht ohne das Verschriftlichen: Wir mussten Standards setzen bzw. SOP entwerfen. Am Anfang blieb das bei uns hängen. Nach eineinhalb Jahren ergab es sich, dass jemand aus dem Mitarbeiterteam die Aufgabe übernahm, auf das Einschulen zu achten.
Wie habt ihr eure Mitarbeiter:innen gefunden?
Bei einem Team von 16 Leuten schrieben wir fast alles regulär aus. Man sortiert nach Lebenslauf vor, führt dann Bewerbungsgespräche. Einmal kam genau zum richtigen Zeitpunkt eine Initiativbewerbung, wo wir sagten: Das passt sofort.
Hilft es bei der Personalsuche, wenn man im Bekanntenkreis fragt?
Persönliche Kontakte sind schon wichtig, aber es wird sich nicht ausgehen, dass man sein ganzes Team nur über persönliche Kontakte findet. Anfangs bieten sich alle an, – „Wenn du eine Praxis aufmachst, werde ich bei dir mitarbeiten“ –, aber dass jemand dann wirklich den Job im Spital kündigt, kommt dann nicht so oft vor.
Wenn man einmal ein Team gebildet hat, funktioniert die Zusammenarbeit von Anfang an von selbst?
Nein, das ist viel Arbeit! Das kann man auch nicht einfach nebenbei machen. Man muss Zeit finden, die man für das Team reserviert. So führten wir nach einiger Zeit eine gemeinsame Mittagspause ein, die auch für Teambesprechungen und Schulungen genutzt wird. Das machen wir nun 1–2-mal pro Woche. Momentan geht sich das zeitlich aufgrund der Terminpraxis überraschend gut aus.
In einem Teil dieser Mittagspause wird tatsächlich auch Pause gemacht. Es ist oft ganz nett, wenn man gemeinsam isst und vielleicht informell daneben ein paar Patient:innen bespricht. Am Anfang war das noch nicht so, da machten alle dann Pause, wenn gerade Zeit war.
Was für Themen werden bei den Teambesprechungen behandelt?
Es gibt unterschiedliche Meetings, zum Beispiel die Therapiemeetings, bei denen alle Therapeut:innen zusammenkommen. Diese finden alle 2 Wochen statt, und wir diskutieren konkrete Patientenfälle. Dann gibt es das Pflege- und Medizin-Meeting zu allgemeineren Themen, zum Beispiel Diabetes: Wie läuft das Disease-Management-Programm? Gibt es Patient:innen zu besprechen oder chronische Wunden? Viele Abläufe werden durchdiskutiert und immer wieder angepasst, auch finden konkrete Fallbesprechungen statt.
Fortbildungen, vor allem für die Ordinationsassistenz, führen wir auch durch, und zwar jeden Donnerstag eine halbe Stunde zu den Themen Blutabnahmen, Infusionen, Abläufe, Patientengruppen. Da rufen wir die SOP ins Gedächtnis. Diese Fortbildungen werden gut angenommen und sind oft auch für die Student:innen spannend.
In einer Besprechung gehen wir eher organisatorische Dinge durch, neue Entwicklungen, auch Fehler, die passiert sind. Und natürlich müssen wir als Gesellschafter:innen uns auch regelmäßig gemeinsam und mit unserer Geschäftsführung austauschen.
Funktioniert das Zwischenmenschliche vom Tag Null an?
Auch wenn man mit allen Personen gut zurechtkommt, entwickeln sich oft unvorhersehbare Dynamiken. Konflikte als unfair wahrgenommene Behandlungen passieren einfach, und die muss man aktiv ansprechen. Gemeinsame Aktivitäten helfen, dass man sich auch gegenseitig als Menschen und nicht nur als Kolleg:innen wahrnimmt. Als Beispiel möchte ich unser Sommerfest anführen. Alle nahmen etwas zu essen mit, wir waren draußen, es gab gutes Wetter, etwas Musik. Das Ganze war zwanglos und locker.
Erste Anlaufstelle sind die Ordinationsassistent:innen, und diese müssen sich mitunter mit ungeduldigen oder auch aggressiven Patient:innen auseinandersetzen. Wie wird das gehandhabt?
Da ist es wichtig, dass sie merken, dass sie unsere Unterstützung haben. Wir hatten vor ein paar Wochen einmal einen kleinen Polizeieinsatz. Die Assistentinnen reagierten gut, holten gleich jemanden von uns dazu und brachten die anderen Patient:innen aus dem Wartebereich in Ordinationsräume. So ein Vorfall muss natürlich nachbesprochen werden.
Bei den kleineren Vorfällen informieren sie uns manchmal, wenn es Konflikte mit Patient:innen gibt. Beispiele dafür wären ungeduldige Patient:innen, die nicht gerne warten, das wäre ein Standardbeispiel, oder Patient:innen, die nie einen Termin ausmachen. Da hilft oft aktives Ansprechen, nämlich dass wir als Ärzt:innen dann eben noch sagen: „Das nächste Mal nur mit Termin“. Wenn Patient:innen laut oder sehr ungehalten werden, müssen wir manchmal auch selbst nach vorne gehen, aber das kommt selten vor. Die Assistent:innen wissen schon, wann sie uns holen müssen.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit externen Organisationen?
Da ist es sehr schwierig, Kooperationen aufzubauen. Es gibt einfach so wahnsinnig viele potenzielle Partner und kaum etablierte Standards, wie man kommuniziert. Die beste Kooperation ist mit dem Pflegeheim, da gibt es einen strukturierten Ablauf, eben weil wir jeden Tag kommunizieren. Aber das ist etwas ganz anderes, das läuft über E-Mail oder Telefon. Da kennt unser Team nicht das Team vom Pflegeheim. Das wäre überbordend, denn es ist sowieso schon schwierig, das eigene Team zusammenzuhalten. Das Ziel ist es, beim Kontakt mit externen Organisationen eine gute professionelle Basis zu haben.
Gibt es eine Aufgabenverteilung, gibt es einen Praxismanager?
Wir haben eine Geschäftsführung, die sich z. B. um die Rekrutierung von Personal kümmert, Bewerbungen vorfiltert, einlädt. Die eigentliche Entscheidung wird gemeinsam getroffen.
Punktuell konnten wir Aufgaben untereinander verteilen:
Wir sind bei einem Forschungsprojekt für Diabetesprävention dabei. Für Kleinigkeiten des Alltags, zum Beispiel Material von der Apotheke zu bestellen, war es gut, das zu delegieren. Auch für Social Prescribing haben wir einen definierten Ansprechpartner.
Was wären Beispiele für standardisiertes Arbeiten?
Es ist schon wichtig, dass man gemeinsam gleich zu Beginn eine Grundeinheitlichkeit bei der Dokumentation festlegt. Wo schreibt man was hin, wie detailliert, in welches Feld? So gestaltet man eine gut strukturierte Kartei. Oft geht es auch um Kassenspezifika: Umgang mit der Chefarztbewilligung, Verordnungen, Transportscheine. Manchmal wurden systematisch Fehler gemacht, bis wir draufkamen und nachschulten. Manche Abläufe sind auch einfach verwirrend, allein bei Impfungen gibt es immer viel Potenzial für Unklarheiten, wann nun ein Impfgutschein oder eine Impfgebühr verrechnet wird.
Bei allem, was man delegiert, muss man sicherstellen, dass es korrekt ausgeführt wird. Das ist aufwändig, dieses bewusste und aktive Nachschauen, und das wird von unserer Software leider nicht so gut unterstützt.
Funktionieren die Diensteinteilung und die Verteilung der Urlaube?
Das funktioniert sehr gut. Mit wachsendem Team wird das Planen schon komplexer und ist ein ziemlicher Aufwand. Wir haben die ärztliche und nichtärztliche Dienstplanung geteilt, aber auf demselben Dienstplan. Man muss das auch mit den Urlaubsvertretungen kombinieren und versuchen, einzuschätzen: Wann ist viel los? Ist man mit Student:innen schneller oder langsamer? Das ist eine eigene Wissenschaft.
Warum ist eure Praxis eine Terminpraxis?
Das hat mehrere Gründe. Einerseits, weil wir Kontinuität fördern wollen, und das geht nur mit Terminen. Die Patient:innen sollen schließlich wissen, zu wem sie kommen. Aber auch zur Kapazitätsplanung brauchen wir das: Eine Vorsorgeuntersuchung oder Diabetesjahresuntersuchung braucht länger, daher muss man mehr Zeit veranschlagen. Letztendlich werden auch die Wartezeiten für Patient:innen überschaubarer.
Wie eigenständig wird gearbeitet?
Unsere Pflegekraft macht Hausbesuche – auch sehr eigenständig. Es geht da oft um die Versorgung von chronischen Wunden, Laborkontrollen oder manchmal nur ums Nachschauen. Ordinationsassistenzen können Dauermedikamente grundsätzlich weiterverordnen, sofern die Abgabezeit dazu passt. Bei Benzodiazepinen oder anderen kritischen Medikamenten fragen sie bei uns nach, und bei noch nicht verordneten Medikamenten fragen sie sowieso nach. Die Umstellung auf das E-Suchtrezept fand ich persönlich nicht so gelungen, weil es nun keine separate Vidierfunktion dafür gibt – an diesem Prozess müssen wir noch arbeiten.
Man muss sich grundsätzlich im Klaren sein, dass man immer drauf schauen muss. Alle haben eine unterschiedliche Vorerfahrung, ein unterschiedliches Wissen. Es ist immer ein Balanceakt zwischen sinnvoll delegieren und sicherstellen, dass die Qualität passt. Es kommen immer Dinge vor, die dann nachbesprochen werden. Eine offene Fehlerkultur ist wichtig.
Wieviel Anteil an Arbeit ist Organisatorisches?
Ich mache sicher 50/50, aber ich könnte genauso gut auch mehr Organisatorisches machen. Aber man muss organisatorisch investieren, um sich nachher Zeit zu sparen. Die Qualität wird besser, und man kann effizienter arbeiten. Teamführung und Projektmanagement kann man sich in einem gewissen Grad aneignen. Organisatorische Qualitätszirkel sind auch eine gute Sache – wir machen das 4-mal im Jahr.
Wenn du noch einmal mit einer PVE beginnen würdest, was würdest du anders machen?
Ich würde schon deutlich früher diese Zeiten/Freiräume für Teambesprechungen einplanen. Ich würde auch aktiver ins Schulen gehen, Prozesse aktiv beibringen. Und früher damit beginnen, standardisiert zu arbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch!