Eine seltene Erkrankung mit neuen Therapieoptionen

Viele Patient:innen sind sichtlich geschockt, wenn sie das erste Mal mit der Diagnose einer Myasthenia gravis (MG) konfrontiert werden, weil sie vielleicht schon an einer beängstigenden Muskelschwäche leiden und noch Schlimmeres befürchten oder sich ungefilterte Informationen über das Internet eingeholt haben. Dabei schwingt oft die Angst vor einer rapiden Atemlähmung oder einer permanenten Pflegebedürftigkeit mit. Tatsächlich war die Erkrankung noch bis vor wenigen Jahrzehnten mit einer sehr hohen Mortalität verbunden.

Mit den Optionen moderner Immunsuppressiva ist die Sterblichkeit der Erkrankung heute, bei entsprechender Behandlung, nicht mehr relevant erhöht und die Prognose bei den meisten Patient:innen recht gut. Ungeachtet dessen sprechen aber ca. 15 % der Patient:innen sehr schlecht auf etablierte Immuntherapien an, mit der Konsequenz einer relevanten Einschränkung ihrer Lebensqualität, die zusätzlich durch Nebenwirkungen unselektiver Immunsuppressiva, wie Kortison, beeinträchtigt sein kann. Aber auch hier versprechen neue zielgerichtete Therapieoptionen, eine entscheidende Verbesserung zu erbringen.

Ätiologie und Pathogenese

Ätiologisch gesehen kann die MG als eine chronische Autoimmunerkrankung der neuromuskulären Endplatte mit einer autoantikörperbedingten Funktionsbeeinträchtigung des Acetylcholinrezeptors (AChR) oder anderer Bestandteile der postsynaptischen Muskelmembran verstanden werden. Auf molekularer Ebene liegt eine Behinderung der neuromuskulären Übertragung vor – mit der klinischen Auswirkung einer abnorm starken, raschen und fluktuierenden Erschöpfbarkeit der Muskulatur. Klinisch kann jede Muskelgruppe betroffen sein, im Vordergrund stehen oft die Augenmuskeln, die bulbäre Muskulatur, die Extremitäten oder die Atemmuskulatur.

Bei manchen Patient:innen liegt der Erkrankung eine ursächliche und pathologische Veränderung im Thymus zugrunde: entweder in Form eines Thymoms oder in Form einer Entzündung, der sog. follikulären Thymitis, mit der Bildung ektoper Keimzentren, die für die Reifung von B-Zellen notwendig und normalerweise nur im lymphatischen Gewebe anzutreffen sind. Je nach Antikörper (Ak), Thymuspathologie und Alter werden heute mehrere unterschiedliche pathogenetische Varianten der MG differenziert, mit spezifischen Behandlungserfordernissen. Am häufigsten sind die Altersmyasthenie (ab dem 50. Lebensjahr), die Early-Onset MG (EOMG) mit AChR-Ak, die thymomassoziierte MG und die sog. MuSK-Ak-Myasthenie.

Behandlungsfortschritte

In den letzten Jahren konnten beachtliche Fortschritte in der MG-Therapie erzielt werden. Über die Reihenfolge des Einsatzes bzw. der relativen Indikation der neuen Optionen wird international noch diskutiert. Im deutschsprachigen Raum stehen mit den DGN/ÖGN/SNG-Leitlinien sehr praxisnahe Richtlinien zur Verfügung, die zwischen einer medikamentösen Standardtherapie bei gut managebaren Patient:innen (u. a. Pyridostigmin, Kortison und T-Zell-Immunsuppressiva) und einer Eskalationstherapie (u. a. Rituximab, Komplement-Inhibitoren, FcRn-Inhibitoren, intravenöse Immunglobuline und Plasmaaustausch) unterscheiden. Die wichtigsten Neuerungen sind im Folgenden angeführt.

Thymektomie

Einer der wichtigsten Fortschritte der letzten Jahre war der klare Nachweis des überraschend großen Benefits einer Thymektomie bei Patient:innen mit einer AChR-Ak-positiven EOMG. Die internationale randomisierte MGTX-Studie zeigte, dass Patient:innen im jungen Erwachsenenalter langfristig – sowohl was die myasthene Schwäche als auch die Notwendigkeit für eine Steroid-Begleitmedikation betrifft – deutlich von einer kompletten Resektion des Thymus innerhalb der ersten 5 Jahre nach Krankheitsbeginn profitieren. Der klare Vorteil konnte seither auch in großen Metaanalysen vieler Beobachtungsstudien bestätigt werden. Die Thymektomie ist mittlerweile fester Bestandteil der evidenzbasierten Behandlung in der AChR-Ak-EOMG. Bei älteren Patient:innen ist die Sinnhaftigkeit einer Thymektomie umstritten.

B-Zell-gerichtete MG-Therapien

Aufgrund der offensichtlichen Bedeutung von Ak wurden B-Zell-gerichtete Therapien (Rituximab) in der MG in verschiedenen Fallserien und kleineren Studien erprobt. Der etablierte Konsens ist, dass Rituximab für einige Patient:innen mit AChR-Ak-positiver MG einen relevanten Benefit erbringen kann, aber bei MuSK-MG meist zu einer dramatischen Verbesserung führt. In dieser Indikation bei der sonst oft schwer verlaufenden MuSK-MG wird Rituximab mittlerweile als Therapeutikum der ersten Wahl angesehen.

Komplement-Inhibitoren

Forschungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Aktivierung des Komplementsystems bei vielen Patient:innen mit AChR-Ak-MG der Hauptfaktor für die Zerstörung der neuromuskulären Endplatte ist. Es sind mittlerweile mehrere Therapeutika am Markt, die den Komplementfaktor C5 hemmen (Eculizumab, Ravulizumab, Zilucoplan) und für die in den jeweiligen randomisierten Phase-III-Studien (bei AChR-Ak-positiver MG) eine klare Überlegenheit gegenüber Placebo bewiesen werden konnte. Diese sind als Add-on-Therapien zur Standardtherapie zugelassen und werden v. a. bei Patient:innen mit hochaktiver MG eingesetzt.

Hemmer des neonatalen Fc-Rezeptors (FcRn)

Der FcRn ist für das Recycling von IgG-Immunglobulinen verantwortlich. Es konnte gezeigt werden, dass die Hemmung dieses Rezeptors zu einer starken Senkung des Serumspiegels von IgG-Immunglobulinen führt, inkl. pathogener AChR-Ak. Vom Ausmaß kommt die IgG-Reduktion einer Plasmapherese gleich. Mehrere dieser FcRn-Antagonisten sind nach überzeugend positiven Phase-III-Studien zur Add-on-Therapie bei der AChR-Ak-positiven MG zugelassen (Efgartigimod, Rozanolixizumab) oder sind in später klinischer Entwicklung (Batoclimab, Nipocalimab). Auch hier erfolgt der Einsatz in der klinischen Praxis bei Patient:innen mit hochaktiver MG.