Der erste Fall von SARS-CoV-2 wurde in Österreich am 27. 2. 2020 festgestellt. Schon bald darauf wurde der erste Lockdown verordnet, dieser trat mit 16. 3. 2020 in Kraft. Neben der Schließung von Handel, Schulen und sonstigem öffentlichem Leben wurde auch die medizinische Versorgung „heruntergefahren“ und großteils auf „unaufschiebbare Fälle“ beschränkt. Teilweise wurden – auch mangels vorhandener Schutzausrüstung und umsetzbarer Sicherheitsmaßnahmen – Ordinationen und Ambulanzen geschlossen oder auf „Notbetrieb“ umgestellt. Die Parole „Bleiben Sie zuhause!“ wurde in dieser Form für das medizinische System zwar nicht ausgesprochen, de facto aber weitgehend realisiert. Dies traf auch für die pädiatrische Versorgung zu, wobei vielfach auch die Eltern von sich aus Arzt- bzw. Krankenhausvorstellungen vermieden.
Die im ersten Lockdown relativ konsequent befolgte Kontaktbeschränkung hatte zur Folge, dass es zu einer raschen Beendigung der Grippewelle kam und die Influenzasaison relativ abrupt endete – und in weiterer Folge im Winter 2020/21 völlig ausblieb. Gleichermaßen kam es auch zu einem raschen Ende der RSV-Saison, und die sonst meist noch ins Frühjahr reichenden schweren Atemwegsinfektionen (Bronchitis, Bronchiolitis, Pneumonie) „entfielen“ ab diesem Zeitpunkt fast vollständig. Das trug dazu bei, dass pädiatrische Abteilungen und deren Intensivstationen im Gegensatz zu anderen Jahren eine sehr niedrige Auslastung hatten. Der Rückgang blieb aber nicht auf respiratorische Erkrankungen beschränkt …
Nicht nur in Österreich, sondern weltweit wurde als Folge der Kontakteinschränkung ein Rückgang praktisch ALLER Infektionserkrankungen (mit Ausnahme solcher durch Rhinoviren) verzeichnet. Angina/Tonsillitis, Meningitis, Otitis media und Gastroenteritis waren von diesem Rückgang ebenso betroffen wie infektiöse Hauterkrankungen (Varizellen, Masern u. a.) oder EBV-Infektionen (Pfeiffersches Drüsenfieber). Interessanterweise wurden sogar weniger Harnwegsinfektionen registriert, wobei diese möglicherweise z. T. mangels Arztvorstellung undiagnostiziert blieben.
Eine rezente Publikation aus Deutschland beschrieb für den Zeitraum März–August 2020 einen Rückgang der Patientenkontakte um 45,7 %. Auch wenn dieser Rückgang zu einem großen Teil bei respiratorischen Erkrankungen erfolgte (minus 70 %), gab es durchaus auch verspätete Arztvorstellungen in anderen Bereichen. Eine österreichische Publikation aus dieser Zeit zeigt, dass z. B. Patient*innen mit Erstmanifestation eines Diabetes mellitus verspätet und in schlechtem Zustand medizinische Behandlung aufsuchten, aber z. B. auch Essstörungen „eskalierten“. Teilweise wurden auch maligne hämatologische und Tumorerkrankungen verspätet diagnostiziert, und in Deutschland wurde für diese Phase ein Rückgang hämatoonkologischer Erkrankungen um 20 % berichtet. Es ist davon auszugehen, dass dieser Rückgang großteils auf eine Diagnoseverzögerung zurückzuführen ist und zumindest in einem Teil der Fälle eine Prognoseverschlechterung zur Folge hat.
Vorübergehend kam es im Bereich sowohl der Pädiatrie als auch der Allgemeinmedizin zu einem Rückgang von Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen. Trotz öffentlicher Kampagnen – z. B. Pressemitteilung der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) „Ihr Kinderarzt ist für Sie da“ – wurden Vorsorgeuntersuchungen/Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen verschoben oder ausgesetzt, teilweise auch aus Angst vor einer Ansteckung in der Arztpraxis. Seitens der niedergelassenen Kolleg*innen wurden aber sehr rasch Maßnahmen gesetzt, um diese präventivmedizinischen Untersuchungen möglichst bald wieder uneingeschränkt durchführen zu können.
Dazu zählen:
Bezüglich der Impfungen wurde/wird danach getrachtet, ggf. entstandene Impflücken (auch bei erwachsenen Begleitpersonen) möglichst rasch zu schließen und durch „Catch-up“-Impfungen den adäquaten altersgemäßen Impfstatus herzustellen. Ähnliches gilt für (ggf. entfallene) Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen.
Das Thema „Schulschließungen“ wird sehr emotional und kontroversiell behandelt. Dies auch deshalb, weil einerseits der (infektiologische) Wert von Schulschließungen für die Transmissionsreduktion von SARS-CoV-2 sehr umstritten ist, keine wirklichen Studien dazu vorliegen, manche Länder (z. B. Schweden) ohne jegliche Schulschließungen auskamen, andererseits aber die Folgen repetitiver bzw. langfristiger Schulschließungen beträchtlich sind (Bildungsentgang, schlechtere Zukunftschancen, psychosoziale Konsequenzen, Übergewicht, motorische Defizite u. a.).
Im Februar hat Österreich als einziges mitteleuropäisches Land mit den „Nasenbohrertests“ (Antigen-Schnelltests) eine sehr engmaschige Teststrategie für Schüler*innen umgesetzt, um auf diese Weise einen halbwegs regulären Schulbetrieb zu ermöglichen. Seither wurden über 10.000 Infektionen auf diese Weise detektiert, durch sekundäres „contact tracing“ wurden noch deutlich mehr „Positive“ aus der Infektionskette genommen. Die Maßnahme wurde von Kindern und Eltern sehr gut angenommen; weniger als 1,5 % waren zu keiner regelmäßigen Testung bereit und zogen stattdessen Distanzunterricht vor.
Vielfach wurden Kinder und Jugendliche im Rahmen der Pandemie als „Generation Corona“ oder „Lost Generation“ bezeichnet. Eine derartige Klassifikation erscheint aber weder angebracht noch zielführend, eher zutreffend wäre vielleicht die Bezeichnung „Forgotten Generation“. Im Bemühen um niedrige Infektionszahlen und Intensivbettenbelegungen wurden viele Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zurückgestellt, ohne dabei dadurch bedingte Kollateralschäden adäquat zu bedenken. Die Zunahme von Übergewicht und der Verlust motorischer Fertigkeiten verwundern daher ebenso wenig wie die starke Zunahme von Essstörungen und anderen psychischen Problemen (u. a. vermehrt Suizidgedanken). Es ist daher unumgänglich, sich jetzt gezielt dieser Probleme anzunehmen und dadurch die negativen Langzeitkonsequenzen möglichst gering zu halten.
Der starke Rückgang der SARS-CoV-2-Infektionen ab Mai 2021 ist wahrscheinlich zum Teil auf die zunehmende Durchimpfung zurückzuführen, v. a. aber auch auf die Saisonalität von Coronaviren. Die niedrige Inzidenz von SARS-CoV-2 im Sommer 2020 und der Wiederanstieg im Herbst deuten darauf hin, dass SARS-CoV-2 sich ähnlich verhält wie „alte“ Coronaviren – mit einer Häufung in der kalten Jahreszeit.
Es ist daher gut denkbar, dass SARS-CoV-2 im Herbst 2021 – evtl. in Form neuer Mutanten – zurückkehrt und dann wie bei Influenza eine jährliche Wiederkehr folgt. In diesem Fall ist es wahrscheinlich unumgänglich, die Impfung (in Form angepasster Vakzine) jährlich zu wiederholen. Es ist dann zu hoffen, dass die Beteiligungsrate hoch bleibt und nicht auf jene der Influenzaimpfung „abstürzt“. Da für einen Gemeinschaftsschutz (früher als „Herdenschutz“ bezeichnet) voraussichtlich eine Immunität von zumindest 70–80 % der Bevölkerung erforderlich sein wird, müssen wohl auch Kinder und Jugendliche mit einbezogen werden.
Jedenfalls werden wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben – es wird uns wahrscheinlich als eine Art „zweite Grippe“ langfristig begleiten …