Entwicklung der Hausarztmedizin

Als erfahrener Hausarzt am Ende seiner Karriere und Beobachter und Mitgestalter der Primärversorgung mache ich mir viele Gedanken über die Entwicklung der Hausarztmedizin. Obwohl bei den jungen Kolleg:innen zunehmend mehr Interesse an Allgemein- und Familienmedizin besteht, ist es Fakt, dass die Hausarztmedizin nach wie vor wenig attraktiv scheint und Kassenstellen österreichweit schwer besetzbar sind. Wenn allgemeinmedizinische Kassenstellen nicht mehr nachbesetzt werden, geht ein wesentlicher Aspekt der AM, die Kontinuität der Versorgung, die in weiten Teilen bis dato noch gut funktioniert, verloren.

Im Gespräch mit vielen jungen Kolleg:innen höre ich immer wieder die Unsicherheit und die Angst vor Verantwortung heraus, sowohl in fachlicher als auch finanzieller Hinsicht als Unternehmer:in, die vom Sprung in die Praxis abhalten. Viele – vor allem junge Frauen – haben Sorge vor der Arbeitsbelastung, die möglicherweise auf sie zukommt. Auch die unsicheren Zeiten schrecken vor einem Gang in die Selbstständigkeit ab.Eine der wichtigsten Maßnahmen sehe ich in der Stärkung der hausärztlichen Primärversorgung.

Das bedeutet für mich:

  • klare Wertschätzung der Allgemeinmedizin von allen Seiten
  • eine verpflichtende Steuerung der Patient:innen in die Primärversorgungsebene: Gesundheitssysteme, die gut und effizient funktionieren, haben eine Steuerung.
  • Der/die Fachärzt:in für Allgemeinmedizin, seit kurzem Realität, bringt eine deutliche Aufwertung des Faches Allgemeinmedizin. Die damit verbundene Neuorientierung der Ausbildung mit einer deutlich verlängerten Praxiszeit stellt eine große Chance dar, die jungen Kolleg:innen auf die komplexe Aufgabe gut vorzubereiten. Da muss eine gute Struktur und Qualitätssicherung geschaffen werden.
  • verpflichtende Qualitätszirkel
  • Anbieten von Mentoring-Programmen und Balint-Gruppen – Junge lernen aus der Erfahrung der Älteren
  • Stärkung der Institute für Allgemeinmedizin
  • Reduktion von Bürokratie
  • stärkere Unterstützung bei der Gründung von unterschiedlichen Praxisformen und wirtschaftlicher Support
  • klare Definition des Berufsbildes „Ärzt:in für Allgemeinmedizin“
  • Schaffung eines klaren Versorgungsauftrages
  • unabhängige allgemeinmedizinische Fortbildung
  • Anpassung der Honorierung an die Bedürfnisse der Allgemeinmedizin

Die Politik und die Sozialversicherung kennen diese Probleme schon länger, und man versucht – mit mehr oder weniger effektiven Maßnahmen – entgegenzusteuern. Die Bundesregierung hat vor kurzem ein Primärversorgungsgesetz auf Schiene gebracht, dass durchaus in die richtige Richtung geht. Man setzt zurzeit ganz auf die Schaffung von PVE, vergisst aber, dass man die vielen Einzelpraxen mit engagierten Allgemeinmediziner:innen genauso unterstützen sollte. Die Idee der PVE ist prinzipiell gut und auch die Entwicklung hin zu mehr solchen Versorgungseinheiten. Der Großteil der ärztlichen Versorgung findet allerdings immer noch in Einzelpraxen statt. Deshalb sollte man diese Struktur genauso gut unterstützen, sonst bekommen wir innerhalb der Hausarztmedizin eine Zwei-Klassen-Hierarchie.

Viele dieser Maßnahmen könnten relativ rasch umgesetzt werden. Das Problem ist unser sehr fragmentiertes Gesundheitssystem, in dem viele Menschen mit unterschiedlichsten Interessen mitreden und Reformen und Veränderungen nur schwer möglich sind. Dennoch gibt es einen optimistischen Ausblick. Es besteht in der jungen Kollegenschaft deutlich mehr Interesse an der AM als noch vor ein paar Jahren. Der/die Fachärzt:in ist umgesetzt, und an der neuen Ausbildung wird mit Hochdruck gearbeitet. Als Fachgesellschaft werden wir immer mehr wahrgenommen und sind mittlerweile in vielen Diskussionsrunden auf Augenhöhe vertreten.

Ich bin überzeugt, dass ein Gesundheitssystem ohne eine starke Allgemeinmedizin auf Dauer nicht finanzierbar ist und dass insbesondere dieses Fach aufgewertet werden muss. Gerade neue Daten zur Hausarztmedizin belegen eindrucksvoll, dass Patient:innen in einer hausarztbasierten Versorgung mehr Überlebenszeit und mehr gesunde Lebensjahre haben – bei deutlich geringeren Gesundheitsausgaben.
Es wäre schade, wenn wir alle gemeinsam diese Chance nicht nützen würden.