Der Schutz vor Infektionskrankheiten ist für Menschen mit Immunmangelsyndromen von essenzieller Bedeutung. Daher sollte diese Patientengruppe besonders in der allgemeinmedizinischen Ordination über eine Expositionsprophylaxe aufgeklärt werden.
Man unterscheidet zwischen primären und sekundären Immunmangelzuständen. Für die Prophylaxe und Behandlung von Erkältungskrankheiten in der Primärversorgung spielt diese Unterscheidung aber eine untergeordnete Rolle.
Primäre Immundefekte sind selten und manifestieren sich in etwa 70 % der Fälle vor dem 20. Lebensjahr; in den meisten Fällen in Form einer erhöhten Infektanfälligkeit. Sie können aber in jedem Lebensalter auftreten. Bisher wurden zirka 350 verschiedene, meist molekulargenetisch definierte Erkrankungen identifiziert.1 Die Gesamtprävalenz in der Bevölkerung liegt nach einer US-amerikanischen Studie zwischen 1 : 1.200 und 1 : 2.000.2 Es ist daher von einer nicht unerheblichen Anzahl unerkannter primärer Immundefekte auszugehen. Man unterscheidet:3
Die sekundären Immundefektsyndrome sind weitaus häufiger als die primären. Zu den wichtigsten Formen gehören eine Abwehrschwäche, unter anderem verursacht durch die in der Tabelle dargestellten Faktoren.
Primäres Ziel des Schutzes vor Infektionskrankheiten ist bei den sekundären Immundefekten eine ursächliche Behandlung und Beseitigung der Immunsuppression, wenn dies möglich beziehungsweise vertretbar ist.
Unabhängig von der Ursache der Immundefizienz erfordern Menschen mit Abwehrschwäche unsere besondere Aufmerksamkeit im Hinblick auf Infektionskrankheiten. Zum einen sollten sie so gut wie möglich vor Exposition und Infektion geschützt werden, zum anderen ergeben sich besondere Empfehlungen für Prophylaxe und Behandlung.
Der Schutz vor Infektionskrankheiten ist für Menschen mit Immunmangelsyndromen von essenzieller Bedeutung. Im Wesentlichen können zwei Komponenten unterschieden werden: Expositionsprophylaxe und – wenn möglich – Impfung.
In besonderen Zeiten wie während der alljährlichen Grippewelle oder im Rahmen der derzeitigen SARS-CoV-2-Pandemie kommt der Expositionsprophylaxe eine herausragende Bedeutung zu. Neben allgemein sinnvollen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von Infektionskrankheiten in der gesamten Bevölkerung liegt hier die Verantwortung vor allem bei den Betroffenen selbst: Enge Kontakte – vor allem mit offensichtlich symptomatisch Erkrankten – müssen unbedingt vermieden werden. In Risikosituationen gilt es, Abstand zu halten und sich durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes – optimalerweise durch eine FFP2-Maske – zu schützen. Allgemeine Hygienemaßnahmen wie Händewaschen sind selbstverständlich. Menschen mit Immundefekten sollten in der allgemeinmedizinischen Ordination entsprechend aufgeklärt und informiert werden.
Patienten mit Immunsuppression sollte zu einem möglichst breiten Impfschutz geraten werden, um vor häufigen Infektionskrankheiten umfassend zu schützen. Allerdings ist zu beachten, dass vor allem bei schwer Immundefiziten Lebendimpfstoffe kontraindiziert sind und dass die Effektivität von Impfungen mit zunehmendem Schweregrad der Immunsuppression sinkt. Wichtige empfohlene Impfungen sind unter anderem:
Detaillierte Impfempfehlungen bei Immunsuppression wurden vom Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien herausgegeben.4 Für die Herpes-Zoster-Impfung kommt nur die Impfung mit dem adjuvantierten Herpes-Zoster-Subunit-(HZ/su-)Impfstoff Shingrix®, einem rekombinant hergestellten Totimpfstoff, in Betracht.5
Patienten mit Immunsuppression neigen häufig zu bakteriellen Superinfektionen. Deshalb sollte man – im Gegensatz zur sonst empfohlenen Zurückhaltung – bei diesen Patienten eher frühzeitig ein Antibiotikum einsetzen. Da immundefizitäre Menschen zudem oft Superinfektionen mit atypischen Keimen, auch Pilzen aufweisen, hat die Wahl des Antibiotikums sorgfältig zu erfolgen, im Optimalfall nach Erregernachweis durch Kultur und Antibiogramm, und die Krankheit ist engmaschig zu kontrollieren. Bei Therapieversagen und/oder klinischer Verschlechterung sollte eine stationäre Behandlung frühzeitig mit erwogen werden. Es ist aber zu beachten, dass gerade immunsupprimierte Patienten auch im Spital in besonderem Maße durch nosokomiale Infektionen gefährdet sind. Nicht wirklich medizinisch begründete „prophylaktische“ Spitalseinweisungen sollten daher unbedingt vermieden werden.
Literatur:
Acknowledgement: Dieser Beitrag entstand in Kooperation mit Dr. Christoph Dachs und Dr. Reinhold Glehr.