Interview

„Es wird getrennte Wartezeiten geben“

Sie haben mit der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien turbulente Jahre erlebt. Wie würden Sie aktuell Ihre Gesprächs- und Zusammenarbeitsbasis beschreiben?

Peter Hacker, Wiener Gesundheitsstadtrat

Peter Hacker: Die Gesprächsbasis zwischen der Stadt Wien und der Ärztekammer ist sehr gut. Erst kürzlich nahm ich an einer Veranstaltung der Wiener Kammer für Ärztinnen und Ärzte teil. Wir ziehen bei sehr vielen Themen an einem Strang – beispielsweise, wenn es um die Stärkung des niedergelassenen Bereiches geht und um den Ausbau der regionalen Gesundheitszentren. Ich bin sehr froh, dass die turbulenten Zeiten auch innerhalb der Ärztekammer zu Ende sind, und ich bin überzeugt, dass die Entwicklung unseres Gesundheitssystems die gemeinsame Gesprächsbasis braucht, die wir zur Zeit pflegen.

Die MA40 war in der jüngeren Vergangenheit als Aufsichtsbehörde durchaus gefordert. Der Rechnungshof sieht insgesamt Bedarf, die Aufsicht für die Ärztekammern in Österreich besser zu koordinieren. So könnte die FMA auch wirtschaftliche und finanzielle Belange prüfen. Eine gute Idee?
Ich habe den Bericht des Rechnungshofes mit Interesse gelesen. Die Aufforderung, die Kontrolle der Kammern besser zu koordinieren, ist primär an den Bundesgesetzgeber gegangen. Wir Länder werden uns selbstverständlich konstruktiv in die Diskussion einbringen.

„Es ist den Wiener:innen nicht zumutbar, dass aus dem Wiener Steuertopf jedes Jahr eine halbe Milliarde Euro zur Finanzierung der Behandlungen für Gastpatient:innen aufgewendet werden muss.“

Zu Beginn des Jahres haben Sie auf das Problem der Bundeshauptstadt hinsichtlich der Gastpatient:innen vor allem aus umliegenden Bundesländern aufmerksam gemacht. Es geht um Kosten und längere Wartezeiten für Wiener Patient:innen. Wird es die damals angekündigten getrennten Wartelisten für Gastpatient:innen geben?
Ich habe in dieser Frage oftmals die anderen Bundesländer eingeladen, eine gemeinsame Versorgungsplanung für die Ostregion einzuführen. Ich bin überzeugt davon, dass eine gemeinsame Planung und gemeinsame Finanzierung auch zur Verbesserung für die Patient:innen beitragen könnten. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese Einladung bis jetzt nicht angenommen wurde. Es ist den Wiener:innen nicht zumutbar, dass aus dem Wiener Steuertopf jedes Jahr eine halbe Milliarde Euro zur Finanzierung der Behandlungen für Gastpatient:innen aufgewendet werden muss, daher wird es auch die getrennten Wartezeiten geben – in einigen Fächern gibt es sie bereits. Wichtig ist zu betonen, dass diese Regelung nur die planbaren Eingriffe betrifft – nicht die Akutversorgung und nicht jene Eingriffe, die österreichweit nur in Wien durchgeführt werden können.

Im Wahlprogramm der SPÖ-Wien heißt es: Die niedergelassene kassenärztliche Versorgung wird gestärkt, um dem rückläufigen Trend entgegenzuwirken. Was sind hier die wichtigsten Punkte für die nächsten Jahre?
Die Stadt Wien hat schon vor etlichen Jahren erkannt, dass der niedergelassene Bereich mehr und mehr an Versorgungsleistung verliert. Wir haben daher schon vor Jahren begonnen, gegenzusteuern, und regionale Gesundheitszentren massiv unterstützt. So können wir heute sagen, dass sich von 12 Primärversorgungseinheiten für Kinder in Österreich 8 in Wien befinden. Erst kürzlich haben wir das 22. allgemeinmedizinische PVE in Wien eröffnet. In Wien wurden auch die ersten Erstversorgungsambulanzen eröffnet – nun hat bereits jedes Gemeindespital eine derartige Ambulanz, die enorm zur Entlastung der Spezialambulanzen beiträgt. Insgesamt verfügt Wien derzeit über 61 regionale Gesundheitszentren, mehr als 30 werden in den kommenden Jahren noch dazukommen. Ein Beispiel: Wir arbeiten gemeinsam mit der ÖGK intensiv daran, ein Zentrum für kleine Chirurgie zu ermöglichen. Durch diese Bemühungen, die wir gemeinsam mit der ÖGK und der Kammer für Ärztinnen und Ärzte unternehmen, haben wir im Gegensatz zum restlichen Österreich seit 2 Jahren wieder einen wachsenden niedergelassenen Bereich.

Kommen wir noch kurz zu den Spitälern: Das SPÖ-Wahlprogramm sieht die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Entlohnung für medizinisches Personal als entscheidenden Faktor, um die Qualität der Versorgung in den Spitälern zu gewährleisten. Gleichzeitig zeigte jüngst eine Umfrage im Auftrag der Österreichischen Ärztekammer, dass die Spitalsärzt:innen mit ihrer Arbeitssituation unglücklich sind. 60 % sind der Meinung, dass ihre Tätigkeit im Vergleich zu vor 5 Jahren unangenehmer geworden ist. Ist Wien anders?
Im vergangenen Jahr haben wir in Wien ein Personalpaket für die Gemeindekrankenhäuser umgesetzt, das eine deutlich bessere Entlohnung vor allem für Feiertags- und Nachtdienste, aber auch insgesamt für Mangelfächer mit sich bringt. Wir haben auf intensive Rekrutierungsmaßnahmen gesetzt, die bereits Früchte tragen. Diese tragen nicht nur dazu bei, die Personalsituation bei den Ärzt:innen zu verbessern, sondern vor allem auch bei der Pflege und anderen medizinischen Berufen wie auch beim administrativen Personal. Man darf zudem nicht vergessen, dass wir fast alle Spitäler der Stadt Wien praktisch neu bauen, modernisieren oder rundum erneuern, wie z. B. das AKH. Das wird gewiss die Arbeitssituation in den einzelnen Häusern deutlich verbessern.

In Wien wurde zuletzt aus der Not eine Tugend gemacht: Um die OP-Wartezeiten zu verkürzen, kooperiert der WIGEV mit Privatspitälern. Eine Notfalllösung oder der Beginn einer längeren Partnerschaft?
Was heißt Notfalllösung? Das Einvernehmen mit den Privatspitälern ist hervorragend. Bereits seit der Coronapandemie haben wir eine großartige Zusammenarbeit und uns gegenseitig unterstützt. Ich halte es daher für selbstverständlich, dass es solche Partnerschaften zum wechselseitigen Vorteil insbesondere für die Patient:innen gibt.

Apropos unkonventionelle Wege: Sind die Apotheken aus Ihrer Sicht mit dem vorhandenen Portfolio zeitgemäß aufgestellt, oder könnten sich hier Kompetenzen verschieben – etwa: Impfen in Apotheken?
Impfungen sind generell eine der wichtigsten präventiven Gesundheitsmaßnahmen. Es hat sich nach der Coronapandemie und den damit verbundenen Auseinandersetzungen eine gewisse Impfmüdigkeit eingestellt. Umso wichtiger ist es, Impfungen so niederschwellig wie möglich zu gestalten. Die niedergelassenen Ärzt:innen sind und bleiben die tragende Säule der Versorgung. Inwieweit Impfungen über dieses bestehende Angebot hinaus durchgeführt werden können und ob den Apotheken hier eine weitere Rolle zugedacht werden kann – das sind Fragen, die alle Beteiligten noch ausführlich besprechen werden. Ich befürworte diese Anliegen jedenfalls.

Vielen Dank für das Gespräch!