Zur Jahrestagung der Europäischen Atherosklerosegesellschaft (EAS) im Juni 2011 präsentierten die EAS und die Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) gemeinsame Leitlinien, die erstmalig explizit auf das Management der Dyslipidämie eingehen. Die Empfehlungen wurden wenig später in den Fachjournalen der beiden Gesellschaften veröffentlicht1, 2 und sind unter anderen auf der Internetseite der ESC abrufbar.3
Die ESC/EAS-Guidelines zur Lipidtherapie bringen einige Neuerungen sowie Präzisierungen, die in Österreich, jedenfalls als Empfehlungen der Fachgesellschaften, in ähnlicher Form schon bisher gegolten haben.
Die Entscheidung für den Beginn und die Ziele der Lipidtherapie richten sich wie bisher nach dem individuellen kardiovaskulären Risiko der Patienten. Hierzu werden, ähnlich wie in den NCEP-ATP-III-Guidelines4 und in den österreichischen Konsensus-Empfehlungen5, vier Kategorien (niedriges, moderates, hohes und sehr hohes Risiko) definiert (Tab. 1).
Die Stratifizierung erfolgt prinzipiell auf der Grundlage des SCORE-Systems der ESC, das eine Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für ein künftiges fatales atherosklerotisches Ereignis innerhalb von zehn Jahren erlaubt.
Detaillierte Charts (aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Raucherstatus, Blutdruck, Gesamtcholesterin und HDL-Cholesterin) finden sich in einem Begleitdokument („ESC/EAS Dyslipidemias addenda“) auf der ESC-Homepage3, wobei Österreich, wie die meisten anderen mittel- und nordeuropäischen Länder, als Region mit hohem Basisrisiko einzustufen ist.
Die SCORE-Charts sind primär für die Verwendung bei Personen mit niedrigem oder moderatem Risiko gedacht; Personen mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung, Diabetes, chronischer Nierenerkrankung oder massiver Ausprägung individueller Risikofaktoren bedürfen unabhängig vom SCORE-Level eines intensivierten kardiovaskulären Risikofaktormanagements.
Insbesondere im Vergleich zu den älteren US amerikanischen Empfehlungen (NCEP-ATP-III) fasst das ESC/EAS-Autorenkollektiv die Therapievorgaben strenger: Bei Patienten mit „sehr hohem Risiko“ gemäß Tabelle 1 soll ausnahmslos ein LDL-Cholesterin von < 1,8 mmol/l (gerundet 70 mg/dl) angestrebt werden, bei Personen mit „hohem Risiko“ ein LDL-Cholesterin von < 2,5 mmol/ (gerundet 100 mg/dl). Beide Therapieziele waren in den NCEP-ATPIII- Guidelines als „optional“ tituliert, sind in identer Form aber im „Österreichischen Lipidkonsensus 2010“ festgeschrieben.
Für Personen mit „moderatem“ kardiovaskulären Risiko setzen die ESC-EAS-Guidelines das LDL-Ziel mit 115 mg/dl fest (gegenüber 130 mg/dl im Österreichischen Lipidkonsensus 2010).
Sofern keine weitergehenden Analysen verfügbar sind, kann anstelle des LDL-Cholesterins auch das Gesamtcholesterin als primäre Zielgröße herangezogen werden.
Insbesondere bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und/oder metabolischem Syndrom bzw. mit kombinierter atherogener Dyslipidämie (erhöhte Triglyzeride und erniedrigtes HDL-Cholesterin) können das Non-HDL-Cholesterin (als Differenz der Konzentrationen von Gesamtcholesterin und HDL-Cholesterin) bzw. das Apolipoprotein B (ApoB) als alternative therapeutische Targets verwendet werden.
Die Zielwerte für das Non-HDL-Cholesterin liegen jeweils 30 mg/dl höher als die korrespondierenden Zielwerte für das LDL-Cholesterin. Die Apolipoprotein-B-Zielwerte werden mit < 80 mg/dl bei sehr hohem bzw. < 100 mg/dl bei hohem kardiovaskulären Risiko festgesetzt.
Keine spezifischen Zielwertempfehlungen geben die ESC/EAS-Guidelines für die HDL-Cholesterin- oder die Triglyzerid-Konzentrationen im Serum an und ebenso nicht für das ApoB/ApoA1-Verhältnis oder das Verhältnis aus Non-HDL-Cholesterin und HDL-Cholesterin.
Lebensstilmodifikation inklusive Rauchstoff, Umstellung der Ernährung und vermehrte körperliche Aktivität ist in jedem Fall der entscheidende erste Schritt im Lipidmanagement. Patienten mit hohem Risiko sollte dazu spezialisierte Hilfestellung angeboten werden.
Wenn die Therapieziele mit Lebensstilmaßnahmen nicht umgesetzt werden können, sind Statine Mittel der ersten Wahl zur Absenkung des LDL-Cholesterins. Die Therapiewahl sollte sich an der im individuellen Fall erforderlichen Lipidsenkung orientieren (Tab. 2), wobei betont wird, dass der klinische Benefit primär von der erreichten LDL-Senkung und nicht davon, welches Statin eingesetzt wird (die eigentliche Studienevidenz ist für Statin vs. Placebo bzw. „Powerstatin“ vs. Standardstatin vorhanden, die etablierten Zielwerte sind aus Posthoc-Beobachtungen abgeleitet, haben per se also einen niedrigen Evidenzgrad). Darüber hinaus sollen Kosteneffektivität und Aspekte der Lebensqualität in die Entscheidung einbezogen werden.
Die Kombination mit einem Cholesterin-Resorptionshemmer, mit einem Gallensäure-Komplexbildner oder mit Nikotinsäure kann erwogen werden, wenn die Statinmonotherapie nicht ausreicht, um das LDL-Cholesterin-Ziel zu erreichen. Bei Hochrisikopatienten sollten hohe Triglyzeridspiegel und erniedrigtes HDL-Cholesterin ebenfalls adressiert werden. Die medikamentösen Optionen inkludieren in diesem Fall Fibrate, Nikotinsäure sowie Omega-3-Fettsäuren als Monotherapie oder in Kombination mit einem Statin. Patienten mit hohen Triglyzeridspiegel sprechen überdies häufig gut auf diätetische Maßnahmen und Reduktion des Alkoholkonsums an.
Ältere Patienten profitieren nach Ansicht der Guideline-Autoren von der Lipidtherapie in gleicher Weise wie jüngere und sollten daher grundsätzlich nicht spezifisch behandelt werden; dasselbe gilt für Frauen, wobei diese postmenopausal häufig sogar überproportional von der LDL-Senkung profitieren.
Chronische Nierenerkrankung wird als Risikoäquivalent zur koronaren Herzkrankheit eingestuft, folglich gilt die LDL-Senkung bei diesen Patienten als primäres Therapieziel. Patienten mit einer glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von < 60 ml/min/1,73 m) tragen ein hohes kardiovaskuläres Risiko und sollten auf ein LDL-Ziel von < 70 mg/dl hin therapiert werden.
Schließlich betonen die ESC/EAS-Empfehlungen die Wichtigkeit, auf genetisch determinierte Dyslipidämie zu achten, die bei einer Prävalenz von ca. 1% in der Bevölkerung häufig erst im Zusammenhang mit einem kardiovaskulären Erstereignis erkannt wird.