Soweit die Rahmenbedingungen, nun müssen jedoch noch viele wesentliche Details zur Umsetzung festgelegt werden. Der lange Übergangszeitraum bis 2030 und ein Blick zurück zu den langwierigen Diskussionen über die Finanzierung der derzeitigen Lehrpraxiszeit (aktuell 6 Monate) zeigt, dass noch einiges an Gesprächen und Verhandlungen bis zur konkreten Umsetzung notwendig sein wird. Die Junge Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ) freut sich bereits darauf, als Teil der ÖGAM bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Ausbildung mitzuarbeiten.
Es stellt sich zunächst die Frage, wie die 3 Jahre im Spital ausgestaltet werden sollen. Derzeit sind 9 Monate Basisausbildung und anschließend 27 Monate Spitalsrotation vorgesehen. Hierbei ist jedoch das turnusärztliche Tätigkeitsprofil in der Basisausbildung und im „Spitalsturnus“ üblicherweise ident, weshalb diese Abgrenzung zumindest für angehende Allgemeinmediziner:innen durchaus hinterfragt werden kann. Denn welche konkreten Fächer jemand in der Basisausbildung durchläuft, legen die verschiedenen Spitalsträger weitgehend selbst fest, und diese Fächer können je nach Haus mehr oder weniger nützlich für eine zielgerichtete, allgemeinmedizinische Ausbildung sein. Nun hat die Basisausbildung für Kolleginnen und Kollegen, die eine spezialisierte Sonderfachausbildung anstreben, insbesondere seit Abschaffung der Gegenfächer wahrscheinlich ihre Berechtigung. Ihre Rolle in der allgemeinmedizinischen Ausbildung kann jedoch hinterfragt und gegebenenfalls sinnvoller gestaltet werden.
Weiters muss natürlich auch der konkrete Fächerkanon für den „Spitalsturnus“ festgelegt werden. Hier sollten Erfahrungen aus den letzten Jahren mit der aktuellen Ausbildungsordnung einfließen, aber primäre Richtschnur sollte immer eine zielgerichtete, allgemeinmedizinische Ausbildung sein. Es wird hier die aktuellen Erfahrungen von Turnusärztinnen und Turnusärzten und die Expertise erfahrener Allgemeinmedizin-er:innen benötigt, um sinnvolle Adaptationen durchzuführen – so ist zum Beispiel durchaus zu hinterfragen, warum alle Kolleginnen und Kollegen verpflichtend auf eine Gynäkologie müssen, HNO oder Dermatologie jedoch nur Wahlfächer sind.
Betreffend die Lehrpraxiszeit wurde immer wieder angedacht, einen Teil in eine frühe Phase der Ausbildung vorzuziehen. Das ist sicherlich ein vielversprechender Ansatz, der es Kolleginnen und Kollegen ermöglicht, ihre weitere Spitalszeit zielgerichteter zu gestalten, da sie ja anschließend wissen, auf welche Inhalte sie sich primär fokussieren sollten. Wenngleich grundsätzlich viele gute Argumente für die geplante Ausweitung der Lehrpraxiszeit sprechen, ergeben sich dadurch jedoch auch organisatorische Herausforderungen. Beispielsweise muss höchstwahrscheinlich die Anzahl der Lehrpraxen in vielen Regionen erhöht werden, und es sollte auch allgemein darauf geachtet werden, dass Assistenzärztinnen und -ärzte in allgemeinmedizinischer Ausbildung (ja, Assistenzärztinnen und -ärzte) keine wesentlichen Nachteile oder Schwierigkeiten im Vergleich zu Kolleginnen und Kollegen in spezialisierter Sonderfachausbildung entstehen.
Zudem muss geklärt werden, wer von den bisherigen Allgemeinmediziner:innen zukünftig einen Facharzttitel tragen wird dürfen. Hier gibt es eine Bandbreite an möglichen Übergangsregelungen. An einem – extremen – Ende der Bandbreite steht die Möglichkeit, allen, die irgendwann einmal den Allgemeinmedizinturnus absolviert haben, den neuen Facharzttitel zu verleihen. Alternativ könnte man aber natürlich weitergehende Voraussetzungen definieren, die gegeben sein müssen, damit man um einen Facharzttitel ansuchen darf. Naheliegende Möglichkeiten sind hier die Absolvierung einer Prüfung bzw. das Arbeiten in der hausärztlichen Primärversorgung für eine gewisse Zeit. Eine Anpassung der derzeitigen Allgemeinmedizinprüfung wird, nebenbei bemerkt, im Rahmen der Einführung des Facharztes sicherlich auch noch ein Thema werden.
Abschließend stellt sich die Frage, ob tatsächlich für alle derzeit von Allgemein-mediziner:innen ausgeführten Tätigkeiten eine Sonderfachausbildung verlangt werden sollte. Hier ist die Rede von einer großen Bandbreite an Tätigkeiten, wie beispielsweise Stationsärztin/-arzt, Blutspendedienst, Impfstraßen usw. Alle diese Tätigkeiten sind an das „ius practicandi“ geknüpft, also das Recht zur selbstständigen Berufsausübung. Dieses erhält man aber aktuell nur nach Abschluss einer Allgemeinmedizin- oder Sonderfachausbildung (unter Einschränkung der jeweiligen Sonderfachgrenzen). Viele der oben genannten ärztlichen Tätigkeiten fallen nicht unbedingt in den Kernbereich der hausärztlichen Primärversorgung, und es ist fraglich, ob es sinnvoll ist, Kolleginnen und Kollegen eine fünfjährige Facharztausbildung durchlaufen zu lassen, die eigentlich nie hausärztlich tätig werden möchten. Somit ergibt sich eine Chance, im Rahmen des Neugestaltungsprozesses der ärztlichen Ausbildung und ihrer gesetzlichen Grundlagen daran zu denken, eine andere Form der Approbation entsprechend unterschiedlicher internationaler Vorbilder einzuführen.Die Anerkennung von Allgemein- und Familienmedizin als Sonderfach ist ein langjährig geforderter, großer Schritt zur Aufwertung und Attraktivierung der hausärztlichen Arbeit. Es geht hier nicht nur um eine symbolische, sondern auch um tatsächliche Aufwertung der Ausbildung, die der Allgemeinmedizin hoffentlich langfristig eine große Zukunft bescheren wird.