Die Liste der Forderungen ist lang – und sehr konkret formuliert. Als Appell an die künftige Bundesregierung und als Basis für die kommenden Koalitionsverhandlungen hat die Österreichische Ärztekammer einen Forderungskatalog verfasst, der eine klare Sprache spricht, das Gesundheitssystem als Ganzes im Fokus hat und nicht nur punktuell an einzelnen Schrauben dreht.
Die Herausforderungen sind bekannt. Unbesetzte Kassenstellen – und es werden noch mehr werden (laut ÖGAM werden 60 % der Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag bis 2030 das Pensionsalter erreichen) –, schon jetzt unterversorgte ländliche Regionen, überlastete Spitäler: Summa summarum eklatante Personallücken bei einer gleichzeitig wachsenden Bevölkerung.
Dazu kommt der gewaltige medizinische Fortschritt bei gleichzeitig fixiertem Budget. „Diese Fortschritte machen es aber auch notwendig, dass entsprechend mehr Geld ins Gesundheitssystem fließt“, sagt der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Dr. Thomas Szekeres.
Österreich sei noch in der glücklichen Lage, die Möglichkeiten der modernen Medizin anbieten zu können. Das funktioniere nur nicht, wenn immer weniger Geld bei immer weniger Personal zur Verfügung stehe.
Um den Anschluss nicht zu verlieren und ein Abdriften in die Zwei-Klassen-Medizin zu verhindern, müsse das österreichische Gesundheitssystem mit mehr Mitteln ausgestattet werden, betont Szekeres. Zentrale Forderung: Der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP sollte mittelfristig auf 12 % angehoben werden.
Immer wieder wird Österreich hinsichtlich seiner Gesundheitsausgaben am europäischen Durchschnitt gemessen. Benchmarks sollten jedoch vergleichbare Länder wie Deutschland sein. Derzeit liegt der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP in Österreich bei 10,3 %, in vergleichbaren Nachbarländern wie Deutschland und der Schweiz liegt er um 1 % beziehungsweise 2 % höher. Mit einer Anhebung auf deutsches Niveau würde sich für Österreich ein Nachfinanzierungsbedarf von etwa 3 Milliarden ergeben. Zu hinterfragen ist in diesem Zusammenhang auch der vor Jahren willkürlich bei maximal 3,6 % des BIP festgelegte sogenannte „Kostendämpfungspfad“ – ein euphemistisches Kunstwort, wie Dr. Johannes Steinhart, Kurienobmann niedergelassene Ärzte, erläutert: Denn liegt, angenommen, der tatsächliche Bedarf bei beispielsweise 6 % statt der willkürlich gedeckelten 3,6 %, bedeutet das nichts anderes, als dass an der Versorgung gespart werde.
Der zweite große Bereich neben der Finanzierung, der dringender Maßnahmen bedarf, ist der gravierende Ärztemangel und die Situation im niedergelassenen Bereich, insbesondere in der Allgemeinmedizin. Unisono fordern die Vertreter der Ärztekammer Maßnahmen zu deren Attraktivierung und zur Förderung der Allgemeinmedizin.
Konkret schwarz auf weiß im Forderungskatalog der Ärztekammer ist erstmals auch die Schaffung des Facharztes für Allgemeinmedizin verankert. Damit verbunden sollten auch die Rahmenbedingungen verbessert werden, nicht zuletzt die Bezahlung, wie Dr. Johannes Steinhart, Kurien-obmann niedergelassene Ärzte, betont. Gefordert wird unter anderem eine gleiche Bezahlung wie für Fachärzte im intra- und extramuralen Bereich sowie die Aufhebung der kassenärztlich gedeckelten Abrechnung. Schließlich sei der 1. Patient genauso wertvoll wie der 99., somit müsste auch die vom Arzt erbrachte Leistung beim 1. und beim 99. Patienten gleich viel wert sein. Er zitiert in diesem Zusammenhang den deutschen Medizinethiker Giovanni Maio, der sagte: „Ich kann nicht schneller zuhören.“
Auszug aus dem Forderungskatalog der Österreichischen Ärztekammer
Wenn Zuwendungsmedizin nicht ein Lippenbekenntnis bleiben soll, brauche es mehr Ressourcen, betont Steinhart. Um in Zukunft eine adäquate Gesundheitsversorgung sicherstellen zu können und auch um eine Entlastung der Spitäler mit einer Verlagerung von Leistungen in den niedergelassenen Bereich gewährleisten zu können, müsse die Zahl der Kassenstellen aufgerüstet werden. In konkreten Zahlen fordert die Ärztekammer 1.300 zusätzliche Kassenstellen.