Die familiäre Hypercholesterinämie (FH) ist eine autosomal-dominant vererbte genetische Erkrankung, die bereits in der heterozygoten Form schwere LDL-Cholesterin-Erhöhungen und damit ein dramatisch erhöhtes Risiko einer frühzeitigen atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankung zur Folge hat. Unbehandelt entwickeln 50 % der männlichen und 32 % der weiblichen Betroffenen < 60 Jahren eine kardiovaskuläre Erkrankung, Homozygote manifestieren bereits in der Kindheit. Der Großteil der genetisch bestätigten FH-Fälle wird durch monogene Defekte im LDLR-, seltener im APOB- oder PCSK9-Gen verursacht. Pathophysiologisch kommt es in allen Fällen zu einer gestörten Internalisierung von cholesterinreichen LDL-Partikeln in Hepatozyten und damit zu deren Akkumulation intravasal und in weiterer Konsequenz zu beschleunigter Atherosklerose.
Die FH ist weltweit unterdiagnostiziert und untertherapiert. Mit einer Prävalenz von etwa 1 : 300 und geschätzt 30.000 bis 40.000 Betroffenen in Österreich ist sie die häufigste monogene Erbkrankheit und ursächlich für jeden 5. Herzinfarkt unter 45 Jahren. Trotz vermehrter Ambitionen durch die Etablierung des österreichweiten FH-Registers 2015 wurden mit rund 1.000 eingeschlossenen FH-Patient:innen nur etwa < 5 % aller Betroffenen identifiziert. Kaskadenscreenings können pro Index-Patient:in ein Vielfaches an betroffenen Angehörigen identifizieren und diese durch frühzeitige Diagnosestellung vor einem möglichen vorzeitigen kardiovaskulären Ereignis bewahren (der Altersschnitt bei Einschluss liegt in Österreich jedoch bei 52 Jahren, und bei 37 % liegt dann bereits eine vermeidbare koronare Herzkrankheit vor). Für die Umsetzung eines Kaskadenscreenings ist es jedoch essenziell, ausreichend Index-Fälle zu identifizieren, weshalb intensivierte Bewusstseinsbildung für die Erkrankung vor allem in der Primärversorgung eine zentrale Drehscheibe für den weiteren Fortschritt darstellt.
Die definitive Diagnosestellung erfolgt über molekulargenetische Tests über spezialisierte Zentren, während die Verdachtsdiagnose mittels klinischer Scores wie dem Dutch Lipid Clinic Network Score erhärtet werden kann. Grundlage dafür sind untherapiertes LDL-C (das bei Nichtverfügbarkeit ggf. zurückgerechnet werden muss), Vorliegen einer frühzeitigen kardiovaskulären Erkrankung, typische Familienanamnese mit frühzeitigen kardiovaskulären Ereignissen oder Hypercholesterinämie sowie pathognomonische Zeichen im Status wie Sehnenxanthomen oder Arcus cornealis juvenilis. Die Durchführung der Scores ist allerdings zeitaufwändig und in der Praxis durch teils nur schwierig anamnestizierbare Familienanamnese oder durch die fehlende Verfügbarkeit von untherapierten LDL-C-Werten limitiert. Ein untherapiertes LDL-C von > 190 mg/dl allein ist allerdings ausreichend, um den Verdacht einer FH zu stellen, und sollte weitere Abklärung mittels genetischer Tests in spezialisierten Lipid-Kliniken zur Folge haben.
Dank der Verfügbarkeit wirksamer lipidsenkender Therapien kann bei rechtzeitiger Diagnosestellung die Entstehung von kardiovaskulären Komplikationen verhindert werden. Das LDL-C-Ziel bei genetisch-bestätigter FH beträgt aufgrund der höheren kumulativen Lebenszeitexposition gegenüber LDL-C und des damit einhergehenden höheren Risikos leitliniengemäß < 70 mg/dl, bei Vorliegen von manifesten atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen oder Plaques in der Bildgebung < 55 mg/dl. Jedoch werden Patient:innen immer noch zu wenig therapiert und erreichen mehrheitlich ihre LDL-C-Ziele nicht. Grundpfeiler der Therapie sind nach wie vor Statine, die sich auch in der FH als hochwirksam erwiesen haben. Zur Zielwerterreichung und damit effektiven Risikoreduktion ist in diesem Kollektiv aufgrund der Höhe des Ausgangs-LDL-C eine Kombinationstherapie mit Ezetimib und meist auch PCSK9-Inhibitoren erforderlich. Für die homozygote FH ist weiters Lomitapid und neuerdings Evinacumab, ein monoklonaler Antikörper gegen ANGPTL3, zugelassen und bereits in Lipidzentren verfügbar. Therapierefraktäre Hypercholesterinämie, die unter maximal verträglicher lipidsenkender Medikation nicht in den Zielbereich gesenkt werden kann, muss bei Progression der Atherosklerose mittels Lipoprotein-Apherese therapiert werden.