Fingerpolyarthrose: in der allgemeinmedizinischen Praxis häufig

Sucht ein Patient die allgemeinmedizinische Praxis aufgrund von Schmerzen in den Fingergelenken auf, so ist die Fingerpolyarthrose (FPA) trotz ihrer sehr hohen Prävalenz grundsätzlich nicht die Verdachtsdiagnose Nummer eins, was eine Studie an mehr als 10.000 Patienten zeigte. Daher empfiehlt sich das Sammeln anamnestischer Hinweise, um den Kreis um die vermeintliche FPA enger und enger zu ziehen.

Anamnestische Hinweise

Die Frage „Wo tut es weh?“ klingt zwar banal, kann aber viel zur Differenzierung der Schmerzlokalisation beitragen, da die Schmerzen nicht immer im Gelenk, sondern nicht allzu selten auch in den umliegenden Strukturen wie Sehnenscheiden (Tendovaginitis), Schleimbeutel (Bursitis), Muskelansatz (zum Beispiel Epicondylitis), Knochen (zum Beispiel Fraktur, Tumor), Nerv (zum Beispiel Karpaltunnelsyndrom), Gefäß (zum Beispiel Thrombose) liegen. Zudem, und das ist zur Differenzialdiagnostik außerordentlich wichtig, erfährt man, welche Gelenkgruppen betroffen sind. Bei FPA sind am häufigsten die distalen Interphalangealgelenke (DIP) betroffen (= Heberdenarthrose), gefolgt von den Carpometacarpalgelenken I, CMC, (= Rhizarthrose) und den proximalen Interphalangealgelenken, PIP, (= Bouchard-Arthrose). Der Gelenkbefall kann beschrieben werden als „Reihe vor Strahl“, was so viel bedeutet, dass in der FPA eher alle DIP-Gelenke einer Hand als PIP- und DIP-Gelenk eines Fingers betroffen sind. Abbildung 1 zeigt das typische Befallsmuster der FPA.
Mit der Frage „Wann tut es weh?“ kann man rasch herausfinden, ob es sich um permanente oder periodische Schmerzen handelt oder ob es ein Tagespessimum gibt. Typischerweise leidet der Patient mit FPA an wiederkehrenden Schmerzepisoden.
Die Antwort auf „Seit wann tut es weh?“ gibt Aufschluss über die Krankheitsdauer auf einen größeren Zeitraum bezogen (Wochen, Monate, Jahre), während „Wie oft tut es weh?“ sich eher auf Stunden pro Tag oder Tage pro Woche bezieht. Patienten mit FPA berichten meist über seit Langem (bis zu mehreren Jahren) bestehenden Schmerzen, die „mal besser, mal schlechter“ seien, mit deutlicher Verschlechterung in den letzten Monaten.
Zwei sehr wichtige und richtungsweisende Fragen können die Diagnose bereits sehr eng eingrenzen:
Anlaufschmerzen oder echte Morgensteifigkeit? Besteht eine „echte Morgensteifigkeit“, wie sie für die chronische Polyarthritis typisch ist (deutliches Bewegungsdefizit am Morgen über mindestens eine Stunde, Wärme verschlechtert die Situation eher, Faustschluss ist unmöglich) oder wie eben bei der FPA ein „Anlaufschmerz“ (Dauer meist einige Minuten, Wärme hilft meist, Schmerz überwindbar, Faustschluss stets möglich).

 

 

Gelenkschwellung? Am allerwichtigsten ist letztlich die Frage nach der „Gelenkschwellung“, wobei hier vor allem zwischen synovitischer Schwellung (eher weich balloniertes Gelenk, Gelenkspalt nicht tastbar) und knöcherner Schwellung (Gelenk verdickt, knöchern hart, Gelenkspalt tastbar) unterschieden wird (siehe Tabelle).

 

 

Eine komplementierende Gelenkuntersuchung lässt uns die erhobenen Informationen verifizieren. Klassischerweise findet sich bei der FPA eine knöcherne Schwellung von DIP- und/oder PIP-Gelenken.

Selten kann sich ein Gelenk aber sekundär entzünden, dann liegt eine „aktivierte Arthrose“ vor. Als Sonderform wird die erosive FPA subsumiert, die mit Inflammation und zentralen Erosionen im Röntgenbild imponiert. Die beiden letzteren FPA-Formen sind bisweilen noch schwieriger zu behandeln als die gewöhnliche FPA, und es empfiehlt sich hier, auch aus differenzialdiagnostischer Sicht, eine Vorstellung beim Rheumatologen.

Diagnose der Fingerpolyarthrose

Bevor man sich nun zu einer Diagnose hinreißen lässt, sollte man eine Bildgebung anstreben, wobei das konventionelle Röntgen der Hände den Goldstandard darstellt. Eine Laboruntersuchung auf Akutphaseparameter und bei fraglich synovitischer Schwellung auch auf Rheumafaktor und Anti-CCP runden die Diagnostik ab.
Die Tabelle fasst nochmals die Diagnoseschritte bei FPA mit den wichtigsten Hinweisen zusammen.

3 Säulen der Therapie

Steht letztendlich die Diagnose FPA, so beginnt der deutlich schwierigere Teil, und zwar die Therapie einer Erkrankung, deren Pathogenese man nicht gut versteht und für die es keine spezifische Therapie gibt.
Die Therapie der FPA ruht grundsätzlich auf drei Säulen:

  • der pharmakologischen Therapie,
  • der physikalischen Therapie/Ergo-therapie und
  • der Patientenschulung.

Die Aufklärung/Patientenschulung wird vielerorts als essenzielles Werkzeug gesehen, das den Grundstein für eine erfolgreiche Therapie legt. Es ist ohne Frage wichtig und notwendig, den Patienten über seine Krankheit zu unterrichten und ihn hinsichtlich „self management“ zu unterstützen, jedoch darf die Patientenschulung nicht überbewertet werden, da, wie man aus rezenten Studien weiß, die therapeutischen Effektgrößen sehr gering und klinisch vernachlässigbar waren.

Pharmakologische Therapie

Was die pharmakologische Therapie betrifft, so werden heute viele „Arthrosetherapeutika“ angeboten, davon sind jedoch nur wenige in Studien untersucht.

Topische Therapien. Abbildung 2 (linksseitig) zeigt einen probaten Behandlungsalgorithmus, wobei die erste therapeutische Phalanx von topischen Substanzen gebildet wird. Insbesondere bei Patienten jenseits des 75. Lebensjahres sollten topische nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) den oralen Analgetika/Antiphlogistika vorgezogen werden.
Topisches Capsaicin sollte mit besonderer Vorsicht angewendet werden, da vor allem bei Diabetikern ein möglicherweise irreparabler Schaden sensibler Nerven entstehen kann. Topische Agenzien zeigten jedenfalls gute Erfolge in der Behandlung von mildem bis moderatem Gelenkschmerz und sollten bei Nichtansprechen im nächsten Schritt durch ein perorales Analgetikum ersetzt werden.

 

 

Perorale Analgetika. Hier sollte zunächst Paracetamol (bis zu 4 g/Tag) zum Einsatz kommen. Im Vergleich zu bekannten NSAR, wie Diclofenac, hat Paracetamol ein überlegenes Sicherheitsprofil, und oftmals ist hinsichtlich Gelenkschmerzen damit das Auslangen zu finden. Selbstverständlich sprechen nicht alle Patienten auf Paracetamol an, sodass hiernach ein orales NSAR in der niedrigstmöglichen Dosis über den kürzestmöglichen Zeitraum verabreicht werden kann.

Bei Patienten mit erhöhtem gastrointestinalem Risiko sollte eine gastroprotektive Substanz zusätzlich oder ein selektiver COX-2-Inhibitor verordnet werden. Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko sollten NSAR nur nach strenger Indikationsstellung erhalten, Tramadol kann hier eine wirksame Alternative sein. Letztlich hat sich auch Chondroitinsulfat als günstig auf die Verbesserung von Gelenkschmerz und Handfunktion erwiesen und könnte als weiteres Alternativpräparat herangezogen werden.

Die intraartikuläre Therapie bei FPA ist schlecht untersucht, die verfügbaren Studien beschränken sich auf das Daumensattelgelenk, jedoch ohne Nachweis eines klinischen Benefits für Kortikosteroide und Hyaluronsäure. Natürlich kann formell von Studien am Daumensattelgelenk nicht auf DIP- oder PIP-Gelenke geschlossen werden; aufgrund fehlender Datenlage sollte auf intraartikuläre Therapie bei Befall der Interphalangealgelenke jedenfalls verzichtet werden.

Zu beachten. Weitere Punkte sollten bei der Therapie der FPA berücksichtigt werden; so gab die Mehrzahl an Arthrose-Patienten NSAR/COX-2-Hemmer gegenüber Paracetamol den Vorzug in der Schmerzbehandlung. Orale NSAR hingegen sind mit bekannten Nebenwirkungen (gastrointestinale oder renale) vergesellschaftet, wobei vor allem ältere Patienten einem deutlich höheren Risiko für NSAR-induzierte gastrointestinale Toxizität oder Niereninsuffizienz ausgesetzt sind. Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse unter NSAR-Therapie, wobei Naproxen hierbei das beste Nutzen-Risiko-Profil aufweist. Eine Überlegenheit hinsichtlich gastrointestinalem Risiko von COX-2-Hemmern gegenüber NSAR konnte nicht eindeutig gezeigt werden. Bei bereits stattgehabten gastrointestinalen Ereignissen mögen COX-2-Hemmer nichtselektiven NSAR vorzuziehen sein.
Interessanterweise bieten Opioide hinsichtlich Gelenkschmerzkontrolle einen lediglich kleinen bis moderaten Benefit, und dieser wird dazu durch das bedenkliche Sicherheitsprofil überschattet: Opioide haben ein ähnlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko wie COX-2-Hemmer, das gastrointestinale Risiko ist vergleichbar mit dem von NSAR. Opioide erhöhen zudem das Sturz- und Frakturrisiko, und letztlich steigt unter Opioid-Medikation die Gesamtmortalität.
Orale Kortikosteroide („low dose“) versagten als analgetischer Therapieansatz bei FPA.

Physikalische Therapie und Ergotherapie

Das Nebeneinander von pharmakologischer Therapie und physikalischen/ergotherapeutischen Maßnahmen ist essenziell für eine effektive FPA-Therapie, um neben der Schmerzkomponente vor allem die Gelenkfunktion und die mit deren Einschränkung verbundenen Probleme in Alltagsaktivitäten zu verbessern bzw. zu erleichtern.

Hilfsmittelversorgung mit beispielsweise Greifhilfen, speziellen Flaschen- und Dosenöffnern oder Knopfschließern verbessern prinzipiell die Funktion und schützen Gelenke vor Überlastung. Klinische Studien zu einzelnen Alltagshilfen liegen aber nicht vor. Die Applikation von Wärme in Form von zum Beispiel Paraffinbädern oder „hot packs“ können zur Schmerzlinderung und Verbesserung der Gelenksteifigkeit beitragen und werden empfohlen, wobei es sich hierbei mehr um Expertenmeinungen denn um Ergebnisse von großen randomisierten Studien handelt.

Schienenversorgung von arthrotisch veränderten Fingergelenken soll unterstützende, stabilisierende und protektive Effekte haben. Die Evidenz bei Rhizarthrose ist gut, bei Interphalangealgelenkarthrose dürftig mit allerdings einem Trend hin zur Erleichterung der Arthralgien. Somit wird die Schienenversorgung vor allem bei Rhizarthrose empfohlen.

Fingerübungen (Ausnutzung des Bewegungsumfanges und Kraftübungen) könnten zur Verbesserung der Handfunktion beitragen; Studiendaten hierzu sind kontroversiell. Fingerübungen werden aber generell empfohlen.

Ein direkter Effekt der Gewichtsreduktion auf die Verbesserung arthrotischer Symptome bei FPA wurde bislang nicht definitiv nachgewiesen. Gewichtsabbau dürfte sich auf den Krankheitsverlauf aber positiv auswirken.

Abbildung 2 (rechtsseitig) zeigt übersichtsmäßig die empfohlenen physikalisch/ergotherapeutischen Therapieschemata.

Nur die funktionierende Kombination zwischen pharmakologischer/physikalischer/ergotherapeutischer Therapie führt letztlich zu effektiver Bekämpfung des Gelenkschmerzes und zur Erhaltung der Gelenkfunktion. Der Austausch einer erfolglosen Therapiemodalität mit einer Therapiealternative sollte solange erfolgen, bis sich der gewünschte Therapieerfolg einstellt. Bisweilen können auch weniger gut untersuchte Therapien wie Magnetfeld, Ultraschall, Nahrungsergänzungen und andere versucht werden, um eine individuelle, aber effektive Therapiekombination zu finden.

 

Fingerpolyarthrose im Überblick

  • Anamnese, Gelenkuntersuchung, Bildgebung und Labor zur Diagnostik erforderlich
  • Die Therapie ist schwierig.
  • Patienten sind über die Erkrankung aufzuklären, eine Kombination von pharmakologischer, physikalischer und ergotherapeutischer Therapie ist anzustreben.
  • erfolglose Therapiemodalitäten gegen Alternativen austauschen
  • Ein Therapieerfolg ist erreichbar, aber oft erst durch individuelle Therapiekombination.
  • Bei synovitischer Gelenkschwellung und/oder Erosionen im Röntgen sollte der Patient an Rheumatologen zugewiesen werden.