Jeder 17. Österreicher erkrankt im Laufe seines Lebens an einem Kolorektalkarzinom. Wird im Bereich der Vorsorge genug getan?
Prim. Gschwantler: Derzeit findet in Österreich nur eine opportunistische Vorsorge-Koloskopie statt. Eines der großen Ziele der ÖGGH ist es, ein staatlich organisiertes Koloskopie-Vorsorgeprogramm zu etablieren – hier sind wir derzeit in intensiven Verhandlungen. Ähnlich wie bei der Mammografie würden dann alle Personen im entsprechenden Alter schriftliche Einladungen zur Koloskopie erhalten. Außerdem gebe es dadurch auch mehr Awareness für das Kolonkarzinom. Da so gut wie alle Kolorektalkarzinome aus gutartigen Adenomen entstehen, die zumeist im Rahmen der Koloskopie gleich abgetragen werden können, hat die Früherkennung hier einen hohen Stellenwert. Insgesamt gibt es im Bereich der Gastroenterologie und Hepatologie zahlreiche Erkrankungen, bei denen eine frühe Diagnose wichtig und möglich ist und folglich schwere Verläufe verhindert werden können.
Welche weiteren Ziele neben der staatlich organisierten Vorsorgekoloskopie haben Sie sich als amtierender Präsident der ÖGGH gesetzt?
Viele von uns haben das Gefühl, dass in Österreich in manchen Bereichen eine Mangelversorgung an gastroenterologischen bzw. hepatologischen Leistungen gegeben ist. Deswegen haben wir in Kooperation mit der Österreichischen Ärztekammer und dem IHS eine Studie in Auftrag gegeben, die den Status quo der Versorgungslage erfassen soll: Was ist derzeit an Leistungen vorhanden, und was wäre der tatsächliche Bedarf? Diese Daten werden dabei helfen, die weitere Entwicklung der gastroenterologischen und hepatologischen Versorgung zu planen.
Auch die Förderung der Forschung im Bereich der Gastroenterologie und Hepatologie liegt mir persönlich am Herzen – insbesondere jene der jungen Nachwuchstalente in unserem Fachbereich, die wir durch Stipendien und Förderungspreise unterstützen. Hier achten wir im Speziellen darauf, dass auch die jungen Ärztinnen nicht zu kurz kommen, um dem bestehenden Gender-Mismatch entgegenzuwirken.
Die Gastroenterologie ist ein sehr breites und komplexes Fach mit vielen Schnittstellen. Wie lässt sich in der Praxis eine gute Zusammenarbeit umsetzen?
Die wichtigsten Schnittstellen sind jene mit der Abdominalchirurgie, der Radiologie und der Onkologie. Insbesondere bei Patienten mit komplexen Problemen bedarf es einer engen Kooperation. Dementsprechend gibt es bei uns im Haus – und auch in anderen Spitälern – interdisziplinäre Besprechungen, spezielle Tumorboards und gemeinsam genutzte Räumlichkeiten, wie etwa den Endoskopiebereich, um einen gegenseitigen Austausch zu ermöglichen. Für die optimale Therapie müssen bei vielen Patienten mehrere Fachdisziplinen zusammenwirken. Diese Art der interdisziplinären Zusammenarbeit ist im niedergelassenen Bereich wesentlich schwieriger umzusetzen. Darum ist es wichtig, dass Patienten mit komplexen Problemen wie etwa Tumoren oder schwer verlaufenden chronisch entzündlichen Darmerkrankungen an Zentren betreut werden – und zwar ohne große Verzögerung.
Welche waren die spannendsten Weiterentwicklungen und Innovationen der vergangenen Jahre?
Ein besonderes Hot Topic ist das Mikrobiom. In den vergangenen 10 bis 20 Jahren wurde erkannt, dass die Darmbakterien, die unseren Gastrointestinaltrakt besiedeln, von großer Bedeutung sind und als eigenes Organ betrachtet werden müssen. Das Mikrobiom ist für eine Vielzahl von Stoffwechselprozessen wichtig und steht im sogenannten „Crosstalk“ mit anderen Organen, wie etwa der Leber und dem Gehirn. Wie komplex dieses Thema ist, zeigt sich auch daran, dass es oft schwierig ist, herauszufinden, was die Wirkung und was die Folge ist: Beispielsweise beeinflusst unsere Ernährung zwar die Darmflora, doch beeinflusst diese wiederum über diverse Stoffwechselprozesse unser Verhalten. Wissenschaftlich stehen wir hier noch ganz am Beginn einer hoffentlich langen Reihe von Erkenntnissen.
Auch im Bereich der CED hat sich einiges getan. Zwar ist die eigentlich auslösende Ursache für die Entstehung von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa immer noch ungeklärt, doch wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Substanzen entwickelt, die an verschiedensten Stellen den Entzündungsprozess modulieren. Die Tatsache, dass uns hier mittlerweile eine Vielzahl an verschiedenen Präparaten zur Verfügung steht, ermöglicht eine wesentlich individualisiertere Therapie, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war. Trotzdem hoffen wir, dass in absehbarer Zukunft die Ätiologie vollständig geklärt sein wird, damit eine kausale Therapie entwickelt werden kann.
Für Hepatitis C gibt es mittlerweile fantastische orale Therapieregime über 8–12 Wochen und ohne relevante Nebenwirkungen, mit denen so gut wie alle Betroffenen virologisch geheilt werden können. Für die Behandlung der Hepatitis B stehen mittlerweile ebenfalls gute Medikamente zur Verfügung, welche die Virusreplikation hemmen und damit den Verlauf günstig beeinflussen. Kürzlich wurde zudem die Substanz Bulevirtid zugelassen, die eine wirkungsvolle Therapie der chronischen Delta-Hepatitis darstellt.
Wird in Österreich das WHO-Ziel, Hepatitis C bis zum Jahr 2030 zu eliminieren, erreicht werden können?
Die WHO versteht unter „Elimination“ einen Abfall der Neuinfektionen um 90 % im Vergleich zum Jahr 2015 und eine Behandlungsrate von 80 %. Wir sind davon überzeugt, dass wir dieses Ziel erreichen, da wir in Österreich diesbezüglich sehr aktiv sind. Die Herausforderungen bestehen einerseits darin, möglichst alle HCV-Infizierten zu identifizieren und andererseits ihnen ein passendes Therapiesetting anzubieten. Wir fokussieren dabei auf Risikopopulationen: das Drogenmilieu, Obdachlose und inhaftierte Menschen. Im Großraum Wien laufen spezielle Projekte, die sich mit diesen Randgruppen beschäftigen und Screenings und Therapiesettings anbieten, die auch angenommen werden. Denn viele Menschen aus dem Drogenmilieu – speziell jene mit psychiatrischen Komorbiditäten – können aufgrund mangelnder Termintreue nicht in einem Schwerpunktkrankenhaus betreut werden und würden daheim ihre Hepatitis-C-Medikation nicht regelmäßig einnehmen. Wenn der Betreffende aber täglich in die Apotheke geht, um seine Substitutionstherapie abzuholen, und dabei gleichzeitig die HCV-Medikation ausgehändigt wird, erhöht das die Compliance deutlich. Wir sind hier aber auch auf die Unterstützung aus dem niedergelassenen Bereich angewiesen – hier ist es wichtig, bei entsprechendem Risikoverhalten der Patienten an die Möglichkeit einer HCV-Infektion zu denken und diesem Verdacht nachzugehen.
Inwieweit haben der österreichische Lebens- und Ernährungsstil Einfluss auf Entwicklung und Verlauf gastroenterologischer und hepatologischer Erkrankungen? Steuern wir hier auf die Entwicklung neuer Volkskrankheiten wie etwa beim Diabetes zu?
Viele Erkrankungen werden durch einen ungesunden Lebensstil verstärkt oder ausgelöst. So auch die nichtalkoholische Fettleber (NAFLD), die bei manchen Patienten zu einer NASH, einer nichtalkoholischen Fettleberentzündung, fortschreiten kann. Die nichtalkoholische Fettleber, die durch Übergewicht, Diabetes und Hyperlipidämie ausgelöst wird – also lauter Faktoren, die letztlich lebensstilinduziert sind –, ist weltweit bereits die häufigste Lebererkrankung. Zusätzlich weiß man, dass eine NAFLD die Progression anderer Lebererkrankungen beschleunigen kann. Beispielsweise schreitet eine Hepatitis C schneller zur Leberzirrhose voran, wenn Übergewicht und eine NAFLD vorliegen. Darüber hinaus stellen Übergewicht und ungesunder Lebensstil auch für viele andere Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes Risikofaktoren dar: So tritt etwa das Kolorektalkarzinom bei adipösen Menschen deutlich häufiger als bei normalgewichtigen auf.
Vielen Dank für das Gespräch!