Geht es nur um Macht?

Die Primärversorgung ist im Umbruch – im System brodelt es. Der Zeitpunkt für einen Strukturwandel ist günstig, meint ao. Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann, seit 1. August 2016 Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG): „Die Politik sieht jetzt ein Zeitfenster – in den nächsten zehn Jahren wird fast die Hälfte der Allgemeinmediziner in Pension gehen. Das ist eine günstige Zeit für einen strukturellen Wandel.“ Zu dem Wandel inklusive der geplanten Primärversorgungseinrichtungen solle aber, meint Ostermann, niemand gezwungen werden und in bestehende vertragliche Strukturen nicht eingegriffen werden. Er erwartet vermehrt Gruppenpraxen, Ambulatorien und Netzwerke. Bestehende Praxisinhaber würden aber sicher nicht übergangen werden. Dennoch müsse der Wandel regulatorisch unterstützt werden, auf das sich alle verständigen können. „Mit dem kommenden PHC-Gesetz werden sozusagen die Spielregeln geklärt, und ein einheitliches Szenario wird produziert. Ein Rechtsrahmen, der Sicherheit bietet.“
Was sind die Hintergründe? Abgesehen von dem vorhersehbaren Ärztemangel in ein paar Jahren „erwarten wir vorzugsweise im städtischen Raum geänderte Nachfrage-muster von Patienten, vor allem, was die Öffnungszeiten von Ordinationen betrifft“.

„Manche gehen in das Einkaufszentrum, andere zum Nahversorger“

Das Angebot muss nachfrageseitig orientiert sein – manche Patienten bevorzugen Ärztezentren, andere wiederum die Einzelordination mit dem seit Jahren bekannten, vertrauten Hausarzt – „vergleichbar mit dem unterschiedlichen Konsumentenverhalten beim Einkauf – der eine geht gerne ins Einkaufszentrum, weil er dort vieles konzentriert auf einem Platz findet, der andere geht lieber zu ‚seinem‘ Nahversorger“.
Mit den Primärversorgungseinheiten wolle man den Bedürfnissen der Patienten besser nachkommen, um zu vermeiden, dass sie gleich in eine Spitalsambulanz gehen.
Ostermann: „Die laufenden Pilotprojekte Mariahilf, Enns und Mariazell werden von der Bevölkerung sehr gut angenommen. Jedes dieser innovativen Leuchtturm-Projekte ist vom Hintergrund her mit unterschiedlichen Finanzplänen etwas anders gestaltet. Die Idee entwickelt sich auf jeden Fall in die Breite. Demnächst wird Haslach in Betrieb gehen.“
Die Österreichische Ärztekammer ortet in ihrer offiziellen Stellungnahme zum Gesetzesentwurf (Gesundheitsreformumsetzungsgesetz 2017 – GRUG 2017) zwar, dass „der vorliegende Entwurf eine wesentliche Verbesserung gegenüber den Vorentwürfen darstellt, da viele Einwände der Kammer berücksichtigt wurden, wie etwa der Beibehalt der Gesamtverträge, oder der Verhandlungserfolg, dass Großkonzerne künftig keine Primärversorgungszentren gründen dürfen“. Allerdings würden auch beim vorliegenden Entwurf zahlreiche Fragen offen bleiben, wie etwa die Finanzierung der Primärversorgungseinheiten, die Finanzierung der Lehrpraxis, die Frage der Anstellung von Ärzten bei Ärzten sowie die Klarstellung, dass Vertreter keine angestellten Ärzte seien.
Auch eine klare Obergrenze für Primärversorgungseinheiten, dabei vor allem für Zentren, sowie dutzende juristische Fragen seien weiterhin offen.

 

 

Unmut bei den nichtärztlichen Berufen

Verärgert über den Entwurf des PHC-Gesetzes zeigen sich die nichtärztlichen Berufsgruppen, allen voran der Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV), der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) und der Dachverband der gehobenen medizinischtechnischen Dienste (MTD-Austria).
ÖGKV-Präsidentin Ursula Frohner: „Im derzeit vorliegenden Gesetzesentwurf für Primärversorgungseinrichtungen sind die Rahmenbedingungen für den gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege (GuKP) in essenziellen Bereichen offen. Die erforderlichen Tätigkeiten und Leistungshonorierungen des GuKP in einer Primärversorgungseinrichtung sowie in den Netzwerken sind völlig ungeklärt. “
Dr. Peter Stippl, Präsident des ÖBVP: „Multiprofessionelle Zusammenarbeit ist ein wesentlicher Baustein der Primärversorgung. Die beteiligten Gesundheitsberufe müssen juristisch abgesichert und angemessen honoriert werden. Nur so werden die Einbindung und gute Qualität garantiert sowie die Gleichstellung bzw. Zusammenarbeit auf Augenhöhe möglich. Der Primärversorgungsgesamtvertrag umfasst nur die ärztliche Hilfe. Es ist keine gesamtvertragliche Regelung zwecks einer bundesweit einheitlichen Bereitstellung aller notwendigen Primärversorgungsleistungen durch nichtärztlichen Gesundheitsberufe vorgesehen. Es sind auch keine gesetzlichen Grundlagen vorgesehen, um verbindliche, bundesweit einheitliche Grundsätze der Vergütung und Mindestentlohnung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe zu sichern. Demzufolge werden die Gesundheitsberufe auf Landesebene im einzelnen Primärversorgungsvertrag individuell und willkürlich geregelt. Damit stellt der Gesetzgeber die nichtärztlichen Gesundheitsberufe unter eine Art ‚Verhandlungskuratel‘ der Ärztekammer und der Ärzteschaft bzw. wären diese Gesundheitsberufe den Interessen der Länder und der regionalen Sozialversicherungsträger sowie deren Bereitschaft zur Einbettung und Finanzierung von nichtärztlichen Leistungen ausgeliefert.“
Auch Mag. Gabriele Jaksch, Präsidentin von MTD-Austria, meint: „Primärversorgung und gehobene medizinisch-technische Dienste gehören zusammen. Es macht keinen Sinn, wenn die neue Primärversorgung rund um einen (dominierenden) Gesundheitsberuf angesiedelt wird. Liegt doch der entscheidende Mehrwert dieses Konzepts eben darin, eine maximale Kompetenzenvielfalt rund um den Menschen zu etablieren und diese in einem Team zu kombinieren, in dem alle Gesundheits- und Sozialberufe auf ‚Augenhöhe‘ kooperieren.“ Auch sie bemängelt, dass wesentliche Leistungen der medizinisch-technischen Dienste derzeit im Gesetzesentwurf nicht vorkommen.
„Natürlich geht es oft um Macht und Einfluss der unterschiedlichen Interessengruppen, aber das Thema PHC muss endlich entemotionalisiert werden“, meint Ostermann. „Letztlich sollte ein guter Interessenausgleich aller Systempartner entstehen. Wir sollten alle die momentan herrschende Aufbruchstimmung nutzen, um daraus das Beste für unser Gesundheitssystem zu machen.“