Gender und Diabetes

Biologische und psychosoziale Aspekte spielen in der Krankheitsentstehung und -entwicklung eine wesentliche Rolle und stehen in ständiger Interaktion. Vor allem Diabeteserkrankungen zeigen hinsichtlich Epidemiologie, Risikofaktoren, Diagnostik, Therapie und Komplikationen wesentliche geschlechtsspezifische Unterschiede.

OGTT für Frauen forcieren

Die weltweite Prävalenzrate von Diabeteserkrankungen liegt bei etwa 10,5 %, allerdings haben mehr Männer (10,8 %) als Frauen (10,2 %) einen diagnostizierten Diabetes mellitus (DM).
Gerade in der Diagnostik von Diabeteserkrankungen sind wichtige geschlechtsspezifische Aspekte für eine lückenlose Abklärung zu berücksichtigen. Während bei Männern häufiger im Rahmen der vorgesehenen Vorsorgeuntersuchungen erhöhte Nüchternglukosewerte gefunden werden, dürften insbesondere Frauen vom oralen Glukosetoleranztest (OGTT) profitieren, da sie im Vergleich zu Männern häufiger eine gestörte Glukosetoleranz haben. Pathophysiologisch lässt sich die Häufung der gestörten Glukosetoleranz bei Frauen durch eine langsamere Glukoseresorption im Darm, eine geringere Körpergröße und einen höheren Anteil der Körperfettmasse erklären. Eine geringere Insulinfreisetzung vor allem in der frühen Phase der Insulinsekretion bei Männern wird als ursächlich für die häufiger erhöhte Nüchternglukose angesehen.

Geschlechtsspezifische Risikofaktoren

Multiple Risikofaktoren sind für die Entstehung von Diabeteserkrankungen verantwortlich, für einige davon konnten wesentliche geschlechtsspezifische Unterschiede gefunden werden.
So ist bekannt, dass die Körperzusammensetzung die Entstehung von DM – und dies geschlechtsspezifisch unterschiedlich – wesentlich beeinflusst. Männer haben einen höheren viszeralen und Leberfettanteil sowie eine stammbetonte Fettverteilung. Speziell das viszerale Fettgewebe hat einen negativen Einfluss auf den Glukosestoffwechsel und steht in direktem Zusammenhang mit Inflammationsprozessen, was das Risiko für kardiometabolische Erkrankungen erhöht. Auch für die stammbetonte Fettverteilung wurde ein direkter Zusammenhang mit dem Risiko für kardiometabolische Risikofaktoren (Dyslipidämie, arterielle Hypertonie, Glukosestoffwechselstörungen) gefunden. Frauen zeigen eine „gynoide“ Körperzusammensetzung mit gluteofemoraler Fettverteilung; zusätzlich sind Anteil und Aktivität des braunen Fettgewebes höher, wodurch es zu einer verstärkten positiven Beeinflussung des Glukosestoffwechsels kommt. Durch den Abfall der weiblichen Geschlechtshormone in der Menopause kommt es zunehmend zu einer Umwandlung der gynoiden Körperzusammensetzung in eine männliche, wodurch die beschriebenen vorteilhaften Effekte nachlassen.
Auch bei der Sekretion von aus dem Fettgewebe synthetisierten Markern, etwa Adipokinen, gibt es wesentliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Adiponektin hat positive Effekte auf den Glukosestoffwechsel und wird bei Frauen – ebenso wie Leptin (wichtige Rolle im Energiestoffwechsel) – stärker als bei Männern exprimiert. Zusätzlich haben höhere Konzentrationen weiblicher Geschlechtshormone bei Frauen einen positiven Einfluss auf den Glukosestoffwechsel, wohingegen Testosteron bei Frauen das Gegenteil bewirkt. Bei Männern wiederum können niedrige Testosteronkonzentrationen mit einem erhöhten Diabetesrisiko in Zusammenhang gebracht werden. Auch psychosoziale Faktoren (z. B. niedriges Bildungsniveau, niedriger sozioökonomischer Status) erhöhen besonders bei Frauen das Diabetesrisiko. Bei Männern wirken sich vor allem Eingebundenheit im Berufsleben und steigende Arbeitsanforderungen protektiv auf das Diabetesrisiko aus.

Geschlechtsspezifische Komplikationen

DM kann zu schwerwiegenden Folgeerkrankungen und Komplikationen führen. In früheren Studien konnte für Frauen mit DM im Vergleich mit Männern ein höheres Risiko für Angststörungen, Depressionen und kognitive Einschränkungen gezeigt werden. Des Weiteren ist bekannt, dass eine Diabeteserkrankung bei Frauen ein höheres Risiko für physische Einschränkungen mit sich bringt und bei Männern mit einem erhöhten Risiko für erektile Dysfunktion einhergeht. Neben einem höheren Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (Myokardinfarkte, Schlaganfälle) weisen Frauen mit DM im Unterschied zu nichtdiabetischen Frauen auch eine noch höhere Mortalitätsrate auf, als das bei Männern gesehen wird. Für Gefäßerkrankungen zeigt die Literatur, dass Männer im Vergleich zu Frauen vor allem bei der Diagnose von Diabeteserkrankungen seltener an einer fortgeschrittenen Atherosklerose leiden.

Unterschiede in der medikamentösen Therapie

In den letzten Jahren sind zahlreiche Studien zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Wirkungen und Nebenwirkungen von Diabetesmedikamenten erschienen. So konnte das Erstlinien-Medikament in der Diabetologie, Metformin, bei Männern eine stärkere HbA1c-Senkung erzielen; ähnliche Ergebnisse liegen für die Substanzklasse der Sulfonylharnstoffe vor. Eine Nebenwirkung, die unter der neueren Substanzklasse der SGLT2-Inhibitoren auftreten kann und in schwersten Fällen auch zu einer Absetzung der Medikation führt, sind Genital- und Harnwegsinfektionen, die häufiger bei Frauen verglichen mit Männern beobachtet wurden. Auch wurde unter SGLT2-Inhibitoren über ein häufigeres Auftreten von Ketoazidosen bei Frauen berichtet. Vor allem aufgrund der zusätzlichen aktuellen Outcome-Daten zu einem nephro- und kardioprotektiven Effekt für beide Geschlechter wird diese Medikation auch in näherer Zukunft häufig verschrieben werden, jedoch könnten Frauen durch das ungünstigere Nebenwirkungsprofil und die damit verbundene geringere Verschreibung weniger von den protektiven Effekten profitieren. Eine weitere sehr wichtige Substanzklasse mit breiter Anwendung sind die GLP-1-Rezeptor-Agonisten, unter denen speziell bei Frauen häufiger gastrointestinale Symptomatiken auftreten können. Trotzdem scheint vor allem die glykämische Kontrolle unter GLP-1-Rezeptor-Agonisten bei Frauen besser im Vergleich zu Männern zu sein. Bei adipösen Frauen erzielten die Thiazolidindione eine potentere Blutzuckersenkung als bei adipösen Männern, jedoch ist diese Substanzklasse bei Frauen mit einem erhöhten Risiko für Knochenbrüche verbunden.

Kommentar

Sexualhormone beeinflussen Diabetesrisiko stark!

 Univ.-Prof.in Dr.in Alexandra Kautzky-Willer
Gender Medicine Unit, MedUniWien & VAMED Genderinstitut la pura, Gars am Kamp


Die Balance zwischen männlichen und weiblichen Sexualhormonen hat einen starken Einfluss auf den Glukosestoffwechsel. Testosteron hat bei Frauen und Männern gegenteilige Effekte auf die Insulinausschüttung. Während Testosteron bei Männern über Androgenrezeptoren an den Betazellen die Insulinsekretion über eine bessere GLP-1-Wirkung verstärkt, die Inflammation vermindert und somit protektiv gegen Diabetes wirkt, führen erhöhte Testosteronwerte bei Frauen zu einer Insulinhypersekretion und über oxidativen Stress schließlich zu einer Störung der Mitochondrienfunktion und einem erhöhten Diabetesrisiko. Bei Männern hingegen ist ein Testosteronmangel mit einem höheren Diabetesrisiko assoziiert. So konnte in der 4T-Studie auch eindrucksvoll gezeigt werden, dass eine Testosteronersatztherapie über 2 Jahre mit einer um 40 % niedrigeren Diabetesmanifestationsrate und einer Abnahme der Fettmasse sowie Zunahme der Muskelmasse und der Potenz verbunden war. Eine Hormonersatztherapie kann auch bei Frauen das Diabetesrisiko um ca. 30 % vermindern. Andererseits ist Diabetes oft selbst direkt oder indirekt über Adipositas mit einer Dysfunktion der Sexualhormone verbunden. So haben adipöse Männer mit metabolischem Syndrom sehr oft auch verringerte Androgenwerte aufgrund der vermehrten Aromatisierung von Testosteron zu Östrogen im Fettgewebe und als Folge der insulinresistenzbedingten Hyperinsulinämie. Bei Vorliegen eines metabolischen Syndroms treten bei beiden Geschlechtern häufiger Reproduktionsprobleme bis hin zur Infertilität auf. Andererseits haben Frauen mit Diabetes im Fall einer Schwangerschaft ein deutlich erhöhtes Risiko für Komplikationen. Sie benötigen eine
sorgfältige Schwangerschaftsplanung und Stoffwechseloptimierung sowie eine laufende Therapieanpassung.
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