Noch müssten die Gremien zustimmen, man wolle aber, um Gerüchten und Falschmeldungen keinen Raum zu geben, das Ergebnis der insgesamt fünfjährigen Verhandlungen rasch öffentlich auf den Tisch legen, betonten MR Dr. Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, als auch Dr. Alexander Biach, Vorstandsvorsitzender des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger, bei der Vorstellung eines „Meilensteins zu Sicherstellung der medizinischen Versorgung in Österreich“. Die Österreichische Ärztekammer und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger haben nun den lange erwarteten bundesweiten Gesamtvertrag für Primärversorgungseinheiten (PVE) abgeschlossen.
Der bundesweite PVE-Gesamtvertrag ist als Rahmenvertrag zu verstehen. Er gibt die Eckpunkte zur neuen teambasierten Primärversorgung vor, lässt aber Raum für regionale Ausgestaltung, um auf die Bedürfnisse der in den PVE arbeitenden Berufsgruppen bestmöglich eingehen zu können. Das Ziel: ein breiter Versorgungsauftrag, auch abgestimmt zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung. Die Ärzteschaft soll mehr Zeit für ausführliche Patientengespräche, Hausbesuche, Prävention und Gesundheitsförderung haben. Außerdem ergeben sich nun besondere Versorgungsaufträge für Kinder und Jugendliche, ältere Menschen und chronisch Kranke, die von ganzjährigen Öffnungszeiten sowie der Betreuung durch ein Team profitieren sollen. Aber: PVE – bestehend aus Zentren oder Netzwerken niedergelassener Allgemeinmediziner – sollen den Hausarzt nicht ersetzen, sondern eine neue Form der Arbeit im niedergelassenen Bereich ermöglichen.
Ziel ist es, mit den nun geplanten 75 PVE österreichweit 10 % der Bevölkerung zu versorgen, ein weiterer Ausbau ist vorgesehen. Im Schnitt arbeiten zwischen drei und fünf Ärzte in PVE – hochgerechnet auf 75 PVE macht das 300 bis 400 Allgemeinmediziner in PVE, mögliche Kinderärzte noch nicht mitgerechnet. „Aus Sicht der Ärzteschaft war es die größte Herausforderung, die sehr heterogene allgemeinmedizinische Versorgungsstruktur in einem österreichweiten Gesamtvertrag bestmöglich abzubilden – nicht zuletzt deshalb, weil eine allgemeinmedizinische Versorgung am Land beziehungsweise in einem alpinen Tal ganz anders aussieht als in einer Millionenstadt wie Wien“, erklärt Steinhart. In keinem anderen Fachgebiet sei dieser Unterschied so deutlich spürbar wie in der Allgemeinmedizin. „Mir ist besonders wichtig, dass Primärversorgungseinheiten neben den weiter existierenden Hausärzten und den Gruppenpraxen nur eine Spielart der Primärversorgung sind und den Hausarzt nicht ersetzen, sondern ihn ergänzen“, betont Steinhart. Die überwiegende Versorgung werde weiter bei den Hausärzten liegen, weshalb dieser Vertrag die Aufwertung der Hausärzte nicht ersetzen könne. Steinhart: „Für die Ärztekammer gilt, den Kolleginnen und Kollegen Optionen zu ermöglichen, die sie dann individuell nützen können.“
„Hinter dem Ergebnis der Verhandlungen stehen neue Kooperationsmodelle, bei denen sich mehrere Ärzte mit Gesundheitsberufen zusammenschließen und gemeinsam arbeiten können“, betonte Biach. Hausärzte würden nun gestärkt und gleichzeitig entlastet werden, denn sie könnten künftig in Teams arbeiten und so Familie und Beruf besser vereinbaren. Die Vorteile für die Patienten sind auch für Biach eindeutig: „Mit der Primärversorgung rückt die medizinische Versorgung direkt vor die Haustür der Menschen – sie müssen nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit in ein Spital fahren, sondern haben persönliche Betreuung vor Ort.“ Persönliche Betreuung und das vertraute Gespräch mit dem Arzt ist für Biach mit ausgedehnten Öffnungszeiten bis zu 50 Stunden pro Woche gegeben.
Am 1. April 2015 hatte der erste PVE-Pilot in Wien-Mariahilf eröffnet, zwei Jahre später wurde das Primärversorgungsgesetz mit den entsprechenden Grundlagen und Eckpfeilern beschlossen. Bis dato sind insgesamt 14 PVE in vier Bundesländern (Wien, Oberösterreich, der Steiermark und Niederösterreich) entstanden, weitere PVE befinden sich österreichweit in Umsetzung.