„Gesundheitsversorgung darf und muss etwas kosten“

Die Österreichische Ärztekammer und die Kammern der Bundesländer nutzen die aktuellen Koalitionsverhandlungen von ÖVP und FPÖ, um erneut Forderungen an die Politik zu stellen – und vor den Auswirkungen der geplanten Budgetsanierung zu warnen. Das Credo der Kammern lautet: Im Gesundheitssystem soll Geld nicht gespart, sondern investiert werden. „Eine gute Gesundheitsversorgung darf und muss etwas kosten“, meldete sich OMR Dr. Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), kürzlich bei einer eigens zum Thema einberufenen Pressekonferenz zu Wort. Seine dringende Warnung: Die Gesundheitsversorgung müsse auf der politischen Prioritätenliste ganz oben stehen und dürfe „auf keinen Fall unter die Räder der Sanierung des budgetären Milliardendefizits“ kommen.

1.000 neue Kassenstellen gefordert

Um die Versorgung und das System, die grundsätzlich „gut aufgestellt“ sind, weiter am Laufen zu halten, fordert die ÖÄK unter anderem 1.000 zusätzliche Kassenstellen für den niedergelassenen Bereich. Der Kassenbereich müsse wieder für Ärzt:innen und auch für Patient:innen attraktiv werden. „Um Kassenstellen rasch versorgungswirksam zu machen, braucht es Unterstützung bei der Immobiliensuche und eine rasche Lösung der Problematik der ‚unechten Umsatzsteuerbefreiung‘, die Ärzt:innen aktuell zu unattraktiven Mieter:innen macht“, betonte in diesem Zusammenhang Dr.in Naghme Kamaleyan-Schmied, Vizepräsidentin der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien und Obfrau der Kurie des niedergelassenen Bereichs.

Mehr Kassenstellen fordert auch Dr. Michael Sacherer, Präsident der Ärztekammer Steiermark. Die Kammer unterstützt in diesem Zusammenhang die von Primarius Dr. Erich Schaflinger, Vorsitzender des Koordinationsgremiums für Versorgungssicherheit, angestoßene Resolution „Gesunde Steiermark/Gesundes Österreich“. Darin wird eine Stärkung der Versorgung durch niedergelassene Ärzt:innen gefordert. Von der steirischen Standesvertretung heißt es: „Um die Gesundheitsversorgung in der Steiermark sicherzustellen, sind 200 neue Kassenstellen erforderlich.“ Hierzu seien zusätzliche finanzielle Mittel notwendig.

Laute Kritik an Gesundheitskasse

Tirols Ärztekammerpräsident Dr. Stefan Kastner weist darauf hin, dass neue Kassenstellen am Ende auch wirklich besetzt werden müssen, wozu die Gesundheitskasse „mit den gleichen Einnahmen“ seiner Meinung nach nicht imstande sein wird. Hier müsse man über „andere Zuzahlungen nachdenken“. Generell werde eine Gesundheitsreform ohne eine andere Finanzierungsvereinbarung nicht möglich sein, meinte Kastner.
Von der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) wünschen sich die Kammervertreter:innnen grundsätzlich mehr Engagement – vor allem bezüglich des von der ÖÄK vorgeschlagenen Leistungskatalogs. Der unzureichende Leistungskatalog der ÖGK verhindere eine zeitgemäße Versorgung der Patient:innen, ist Prof. Dr. Dietmar Bayer, Obmann der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der Steiermark, überzeugt. Mit Abschaffung von Limits und Degressionen und neuen Rahmenvereinbarungen wie Jobsharing könnten Kassenstellen attraktiver werden.

Ambulanzgebühr soll Spitäler entlasten

Ziel müsse nach wie vor die Entlastung des stationären Bereichs sein, sind sich die Kammern einig. Der Tiroler Ärztekammerpräsident Kastner sprach sich daher für eine Wiedereinführung einer Ambulanzgebühr aus – zur besseren Steuerung der Patient:innen. „Wer außerhalb einer Ambulanzzeit oder ohne entsprechende Vorgaben seine e-card im Spital steckt, der soll dann einfach einen Zahlschein bekommen“, sagte Kastner.

Die Ambulanzgebühr solle für Fälle gelten, bei denen es „wirkliche Alternativen“ zur Krankenhausbehandlung gegeben hätte und das Aufsuchen des Spitals „willkürlich und nicht notwendig“ gewesen sei. Die Zahlungsaufforderung können die Betroffenen dann bei der ÖGK beziehungsweise der Versicherung beeinspruchen. Die Höhe der Gebühr könnte über eine „soziale Staffelung“ bestimmt werden.

Eine Ambulanzgebühr einzuführen ist laut ÖÄK-Präsident keine Kernforderung der ÖÄK, aber man müsse zumindest darüber reden können. Eine Maßnahme der scheidenden Regierung zwischen ÖVP und Grünen, nämlich das Modell der Patientenlenkung „digital vor ambulant vor stationär“, sieht Steinhart aber durchaus positiv. Der ÖÄK-Präsident wünscht sich, dass dieses Modell in Zukunft zum Tragen kommt. Die Digitalisierung des Gesundheitssystems hätte „unfassbares Potenzial“, hier brauche es jetzt Investitionen für einen flächendeckenden Aufbau sowie den gleichzeitigen Abbau von Bürokratie.

Das „Föderalismusproblem“

Auch das Thema Föderalismus und gemeinsame Planung wird von der Standesvertretung ins Spiel gebracht. „Es kann nicht sein, dass Operationen an Streitigkeiten zwischen der Landespolitik scheitern“, entrüstete sich der Präsident der Ärztinnen- und Ärztekammer für Niederösterreich, Harald Schlögel. „Ich appelliere daher an die Verantwortlichen der Politik, eine Einigung zur gemeinsamen Planung und Finanzierung zur besten medizinischen Versorgung unserer Patient:innen zustande zu bringen.“ Sein Tiroler Kollege Kastner sprach sich sogar für eine teilweise „Entmachtung“ der Länder aus. Die Probleme im Gesundheitsbereich seien „ein Föderalismusproblem“, wurde Kastner deutlich. Da eine solche Entmachtung aber nicht realistisch sei, müsse man einen gemeinsamen Weg gehen und die 15a-Vereinbarung in diesem Bereich aufschnüren, um dann wirklich an den Strukturen etwas verändern zu können. Eine Bundesregierung beziehungsweise ein:e Gesundheitsminister:in habe zu wenig Macht und Kompetenzen, um allein etwas bewegen zu können, deshalb brauche es die Länder an Bord

„Sehr gerne stellen wir den verhandelnden Parteien unsere Expertise zur Verfügung. Unsere Hand ist ausgestreckt“, ließ Steinhart abschließend in Richtung der verhandelnden Parteien ausrichten.