Gibt es Hindernisse für Betroffene?

Diabetes mellitus zählt zu den häufigsten chronischen Erkrankungen in Österreich, und es wird prognostiziert, dass bis zum Jahr 2030 bis zu 800.000 Menschen in Österreich betroffen sein werden. Angesichts der steigenden Inzidenz bei jüngeren Menschen ist es volkswirtschaftlich von entscheidender Bedeutung, die Arbeitsfähigkeit dieser Personengruppe zu erhalten oder wiederherzustellen.
Grundsätzlich besteht für Betroffene keine Meldepflicht gegenüber den Arbeitgeber:innen. Auch im Rahmen eines Einstellungsgespräches sind potenzielle Arbeitnehmer:innen nicht verpflichtet, Angaben über ihre Erkrankung zu machen.
Allerdings sind Arbeitnehmer:innen zur Wahrhaftigkeit verpflichtet, wenn durch die Krankheit eine Eigen- oder Fremdgefährdung entstehen könnte.

Beurteilung der Arbeitsfähigkeit

Eine pauschale Beurteilung der Arbeitsfähigkeit allein aufgrund der Diagnose Diabetes mellitus ist nicht möglich, da die funktionellen Auswirkungen der Erkrankung stark variieren können. Diese Variabilität hängt nicht nur von der Stoffwechselkontrolle ab, sondern auch von der aktuellen Behandlung, bereits eingetretenen Komplikationen sowie weiteren individuellen Faktoren.

Risiken vs. Kompensationsstrategien abwägen: Der Fokus sollte nicht ausschließlich auf den gesundheitlichen Einschränkungen liegen, vielmehr sind auch mögliche Kompensationsstrategien zu berücksichtigen. Funktionseinschränkungen bei Menschen mit Diabetes mellitus resultieren vor allem aus Folgeerkrankungen wie diabetische Retinopathie, Nephropathie oder Neuropathie. Akute Komplikationen wie Hypoglykämie spielen ebenfalls eine wesentliche Rolle. Auch Begleiterkrankungen wie Adipositas, Schlafapnoe-Syndrom, arterielle Hypertonie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen dürfen nicht außer Acht gelassen werden.

Hypoglykämien stellen ein signifikantes Risiko dar, da sie durch kognitive Beeinträchtigungen rasch zu Problemen führen können. Das individuelle Risiko für das Auftreten von Hypoglykämien – insbesondere im Rahmen einer Insulintherapie – wird durch verschiedene Faktoren am Arbeitsplatz beeinflusst, darunter die Art der Tätigkeit (z.B. körperliche Anstrengung), das Therapiekonzept sowie mögliche Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörungen. Technologische Innovationen wie Glukosesensoren mit Warnfunktion oder automatisierte Insulinpumpensysteme können jedoch das Risiko für Hypoglykämien erheblich reduzieren.

Bei der Berücksichtigung von Kompensationsmöglichkeiten sollten langjährige berufliche Erfahrung und ein reflektierter Umgang mit der Erkrankung sowie vorausschauendes Handeln unter Einbeziehung potenzieller Risiken in Arbeitsabläufen berücksichtigt werden. Die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit muss sowohl krankheitsspezifische als auch tätigkeitsspezifische Risiken einbeziehen.

Arbeitsunfälle

Es existieren keine Daten, die darauf hindeuten, dass Menschen mit Diabetes ein erhöhtes Risiko für Arbeitsunfälle haben. Eine verstärkte Integration beruflicher Aspekte in die ärztliche Betreuung sowie in die Beratung und Schulung durch das Diabetesteam kann dazu beitragen, den Prozess der beruflichen Rehabilitation zu unterstützen. Moderne Diabetes-Therapien ermöglichen in der Regel eine Anpassung an die beruflichen Anforderungen und nicht umgekehrt. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Adhärenz der betroffenen Personen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei der Beurteilung der Eignung einer Person mit Diabetes für einen bestimmten Beruf auch eine umfassende Risikoabschätzung hinsichtlich möglicher Gefährdungen erforderlich ist (Abb.).

Abb.: Krankheitsbezogene Gefährdungsermittlung

Aktuelle Studienlage

Aus der Abbildung geht hervor, dass bei entsprechenden Kompensationsmechanismen keine spezifischen Gefährdungen bestehen und somit jeder Beruf (Therapieadhärenz und optimale Glukosekontrolle vorausgesetzt) ausgeübt werden kann.

Ein typisches rezentes Beispiel ist die Luftfahrt. War es vor einigen Jahren noch undenkbar, dass Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 ein Verkehrsflugzeug steuern, ist dies mittlerweile in Kanada und den USA machbar. In Europa besteht aktuell nur im Vereinigten Königreich, in Österreich und Irland die Möglichkeit, unter einem spezifischen Protokoll eine Klasse-1-Pilotenlizenz zu erhalten. Im Rahmen der Auswertung der gesammelten Daten kann gezeigt werden, dass bei entsprechender Adhärenz der Pilot:innen Hypoglykämien und Hyperglykämien extrem selten vorkommen. Dazu leistet auch die Diabetestechnologie einen wesentlichen Beitrag. Moderne Glukosesensoren warnen schon vor dem Auftreten einer Hypoglykämie beziehungsweise können Hybrid-closed-Loop-Insulinpumpen die Insulinzufuhr anhand eines Algorithmus steuern. Aktuell laufen zu diesem Thema auch Studien im Rahmen eines EASA-(European-Union-Aviation-Safety-Agency-)EU-Projekts unter Leitung der Medizinischen Universität Graz.