Große Variabilität im Erscheinungsbild

In Österreich sind etwa 160.000 Menschen von einer bipolaren Störung betroffen. Bei rund 25 % tritt die Erkrankung vor dem 20. Lebensjahr auf, unbehandelt kann sie den weiteren Lebensweg massiv negativ beeinflussen. Oft zeigen Betroffene klare Muster im Verlauf der Abfolge der verschiedenen Episoden, die mitunter auch saisonal bedingt sind. Diese Muster sind sehr hilfreich in der Unterstützung der therapeutischen Arbeit. Eine weitere Besonderheit, die sehr charakteristisch für bipolare Verläufe ist, ist der rasche Wechsel bzw. das häufige Auftreten von Episoden innerhalb eines Jahres. Bei mehr als 3 Episoden pro Jahr (egal welche) spricht man von Rapid Cycling, das eine Unterform der bipolaren Störung darstellt und in deren Verlauf auftreten kann.

Charakteristikum der bipolaren Störung sind nicht die einzelnen Symptome, sondern vielmehr die Verlaufsgestalt bei der jeweils einzelnen Person: Wir unterscheiden ein klinisches Spektrum an Krankheitsverläufen, von bipolar I bis VI (nach Akiskal, siehe Kasten rechts). Leider haben diese Untergruppierungen in der ICD-10-Diagnostik keinen Niederschlag gefunden, sie sind aber klinisch-diagnostisch hilfreich.

Krankheitsbild und Episoden

Klassische Depression. Drei mögliche Hauptsymptome – Veränderung der Stimmungslage, Interessenverlust/Lustlosigkeit sowie Veränderung von Antrieb oder gesteigerter Ermüdbarkeit – sowie eine Reihe von Zusatzsymptomen wie Lebensüberdruss und Suizidalität müssen immer abgefragt werden. Darüber hinaus werden oft Konzentrationsstörungen und verminderte Leistungsfähigkeit beklagt. So können z. B. Einschlafstörungen auftreten, aber auch sehr oft Durchschlafstörungen mit frühzeitigem Erwachen.

Bei manischen Menschen kann ebenfalls eine Schlafverkürzung auftreten, sie sind jedoch trotz weniger Stunden Schlaf – mitunter nur 2 bis 4 Stunden – völlig fit und erleben keine Tagesmüdigkeit.

Gemischte Episoden. Gleichzeitiges Auftreten von mehreren manischen wie auch depressiven Symptomen

Atypische Depression. Bei der Depression darf die so genannte „atypische Depression“, die relativ häufig bei bipolaren Verläufen vorkommt, nicht übersehen werden. Diese geht einher mit:

  • einem enormen Schlafbedürfnis von 12 bis 15 Stunden (Hypersomnie),
  • Heißhungerattacken (Hyperphagie),
  • bleiartigem Schweregefühl in den Beinen und
  • gesteigerter Empfindlichkeit gegenüber Kritik und sozialer Zurückweisung.

Anamnese und Differenzialdiagnosen

Die Diagnostik von bipolaren Störungen wird zu einem Großteil von den Symptomen der letzten Tage oder Wochen bestimmt. Gezieltes Fragen in der Anamnese (etwa, ob der depressiven Episode ein Stimmungshoch mit Schlafverkürzung voranging) ist notwendig, um die Verlaufsgestalt zu eruieren und die exakte Diagnose zu ermöglichen. Die größte Problematik der Diagnostik stellt seit Langem das Faktum dar, dass die hypomanen und manischen Episoden nicht erfragt (Ärzt:in, Therapeut:in) bzw. nicht erwähnt (Patient:in) werden und somit meist nur die Depression erkannt und kurzfristig behandelt wird.

Differenzialdiagnostisch sind ADHS im Erwachsenenalter und vor allem Borderline-Persönlichkeitsstörungen bei gemischten Episoden und Rapid Cycling zu bedenken, wobei Überlappungen nicht selten sind. Falls zusätzlich schizophrene Symptome auftreten, ist die Diagnose schizoaffektive Störung in Erwägung zu ziehen. Wenn die psychotischen Symptome in Zusammenhang mit der Stimmung und den Episoden stehen, dann ist von bipolar mit psychotischen Zeichen zu sprechen.

Medikamentöse Therapie

Lithiumsalz

Seit über 70 Jahren steht das Lithiumsalz trotz vieler Kritik uneingeschränkt als Mittel der Wahl zur Verfügung. Es ist vor allem bei den klassischen Verläufen mit freiem Intervall – und wenn Suizidalität, Suizidversuche der Betroffenen oder auch in der Familie eine Rolle spielen – zu empfehlen. Spiegel von 0,6–0,8 mmol/l sind ausreichend für eine den Rückfall verhütende Wirkung. Bei Vorherrschen von Manien kann höher dosiert werden, bei älteren Menschen wird man vorsichtiger dosieren und die Dosis anpassen.

Antiepileptika

Valproinsäure, Carbamazepin und Lamotrigin haben einen fixen Stellenwert in der Behandlung zur Rückfallverhütung der bipolaren Störung. Heutzutage wird bevorzugt Lamotrigin gegeben, weil es auch Frauen im gebärfähigen Alter nehmen können.

Atypische Antipsychotika

Diese Medikamentengruppe ist in den letzten beiden Jahrzehnten dazugekommen. Beginnend mit der Akutbehandlung der Manie (Olanzapin, Ziprasidon, Risperidon, Aripiprazol und Quetiapin) wurden sie erfolgreich in der Verlängerung bis zu einem Wiederauftreten einer Episode verabreicht. Lediglich Quetiapin ist auch für die Rückfallverhütung depressiver Episoden zugelassen.

Antidepressiva

Bei der Behandlung von Depressionen im Verlauf bipolarer Störungen sollte sparsamer und vorsichtiger mit Antidepressiva umgegangen werden. Einige Antidepressiva zeigen ein so genanntes Switch-Risiko. Das heißt, dass die Behandlung mit diesem Antidepressivum zur Auslösung einer hypomanen oder manischen Phase führen kann. Ob das von den Medikamenten oder vom Risiko der einzelnen Person abhängt, konnte bislang nicht geklärt werden. Neuere Substanzen wurden dahingehend bereits geprüft und zeigen kein erhöhtes Switch-Risiko (Agomelatin, Vortioxetin, Lurasidon). In jedem Fall sollte sofort zusätzlich zu einer antidepressiven Medikation ein Stimmungsstabilisierer verabreicht werden.

Multimodale Behandlung

Insgesamt braucht es für die Behandlung der bipolaren Störungen ein breites Therapiepaket, bei dem nicht nur Medikation, sondern auch Psychoedukation, Veränderung der Lebensgewohnheiten, regelmäßige Bewegung und Entspannungsübungen, die Einbindung der Angehörigen oder Partner:innen in den therapeutischen Prozess einen Stellenwert haben. Das Arbeiten an der Akzeptanz wird nicht nur in Psychotherapien, sondern auch in Selbsthilfegruppen oftmals erfolgreich erreicht.