Gute Nacht, Allgemeinmedizin?

„Es gibt Befürchtungen, wonach – auch durch die neue Ausbildungsordnung – die Zahl der nachfolgenden Allgemeinmediziner kleiner wird.“ Der Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und der Ärztekammer für Wien Dr. Johannes Steinhart wies am Rande einer Pressekonferenz in Wien auf ein potenzielles Problem hin.
Die Spitäler würden mit Rücksicht auf den aufbrechenden Ärztemangel am liebsten Fachärzte ausbilden: Die sind länger in der Spitalsausbildung, aus ihnen könne man dann auch den Nachwuchs rekrutieren, so der Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte Steinhart.
Es gibt noch einen zweiten Aspekt. Dr. Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer für Oberösterreich und Lehrpraxis-Referent der ÖÄK: „Wir haben zehn Jahre um die Lehrpraxis gekämpft. Jetzt haben wir sie. Aber die Finanzierung ist noch nicht gesichert. Die Ausbildung von genügend Allgemeinmedizinern ist Sache der Bundesländer, aber es muss auch eine Beteiligung der Krankenkassen bei der Finanzierung geben. Und wer entscheidet sich schon für die Turnusausbildung zum Allgemeinmediziner am Ende des Common-Trunk-Abschnitts nach neun Monaten im Spital, wenn er nicht weiß, ob die Lehrpraxis dann wirklich bezahlt wird?“

Entscheidung für Allgemeinmedizin: nach neun Monaten

„Common Trunk“, das sind die „neun Monate Basisausbildung in chirurgischen und konservativen Fächern“ nach der seit 1. Juni geltenden Ausbildungsordnung für Ärzte. Danach müssen sich die angehenden Ärzte entscheiden, ob sie in Richtung Fachausbildung oder in Richtung Allgemeinmedizin gehen.
Die Ärzte Krone stieß bei der weiteren Recherche auf standespolitisch durchaus heiße Diskussionen innerhalb der Bundeskammer. „Genau die vorher zitierten Personen waren maßgeblich für die neue Ausbildungsordnung verantwortlich. Mich wundert, dass sich genau diese Personen jetzt wundern, wenn die Zahl der jährlich ausgebildeten Allgemeinmediziner in Zukunft abnehmen sollte. Das war ja auch einer der vielen Gründe, warum wir (niederösterreichische Ärztevertreter; Anm.) beim Ärztekammertag in Geinberg gegen die neue Ausbildungsordnung gestimmt haben“, sagte hingegen der Präsident der Ärztekammer Niederösterreich, Dr. Christoph Reisner.
„Nach wie vor ungeklärt und nicht gesichert ist die Finanzierung der Lehrpraxis, obwohl es sogar einen Beschluss der ÖÄK gibt, dass die Finanzierung der Lehrpraxis die Voraussetzung für eine verpflichtende Lehrpraxis sei. Es ist also zu befürchten, dass aus der ‚Lehrpraxis‘ eine ‚Leerpraxis‘ wird“, stellte Reisner auch in einem schriftlichen Kommentar fest.
Nun, inter- und intrakammerale Diskussionen sind wichtig für die Standespolitik, für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in Österreich in den kommenden Jahrzehnten aber von zweitrangiger Bedeutung. An den Fakten gibt es jedenfalls keinen Zweifel.
Niedermoser: „Es gehen in Österreich pro Jahr rund 400 Allgemeinmedizin-Kollegen in Pension. Das ist der Ersatzbedarf bei den Kassenärzten. Der wirkliche Ersatzbedarf liegt aber unter den Allgemeinmedizinern bei mehr als 500 Kollegen pro Jahr, wenn man auch die Wahlärzte einrechnet. Gesundheitsministerium und Hauptverband der Sozialversicherungsträger gehen von 400 aus und wollen diese Zahl von Lehrpraktikanten (am Anfang auf ein halbes Jahr begrenzt; Anm.) finanzieren.“ Unter dieser derzeitigen Situation aber werde sich bald herausstellen, dass das zu wenig ist.

 

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Gesetzliche Verpflichtung zur Allgemeinmediziner-Ausbildung

Ins Detail zu den Fakten ging gegenüber der Ärzte Krone Wiens Kammeramtsdirektor Dr. Thomas Holzgruber: „Seit den 1950er-Jahren gibt es im Ärztegesetz, im aktuellen Paragraf 196, eine Verpflichtung der Bundesländer zur Ausbildung von Allgemeinmedizinern über den Spitalsturnus.“ Diese Verpflichtung sei im Grunde nie schlagend geworden, weil immer genug Jungärzte für die Ausbildung zum Allgemeinmediziner zur Verfügung gestanden seien.
Doch das hat sich deutlich geändert. Reisner: „Die Situation in Niederösterreich ist so, dass an vielen Abteilungen die Stationsarbeit bereits ohne Turnusärzte organisiert wird.“ Und über die notwendige schnelle Entscheidung zur Ausbildung zum Allgemeinmediziner oder zum Facharzt nach dem „Common Trunk“ gebe es noch ein zusätzliches Problem: „Die Liebe zu einem Fach (Allgemeinmedizin oder Spezialfach; Anm.) hat man früher im Rahmen der Ausbildung entdeckt. Viele haben mit dem Turnus begonnen und sind dann bei einem Fach hängengeblieben.“ Das sei jetzt nicht mehr möglich.
Zurück zu den Zahlen – es gibt „Bundesländerquoten“: Das Burgenland soll pro Jahr 14 neue Allgemeinmediziner für Kassenstellen ausbilden, Kärnten 28, Niederösterreich 60, Oberösterreich 68, Salzburg 19, die Steiermark 64, Tirol 27, Vorarlberg 11, Wien 108.
Doch das ist laut den Ärztevertretern nicht genug. Holzgruber: „Strittig ist der Bedarf für den Ersatz von Wahlärzten. Wir sind der Meinung, dass diese sehr wohl versorgungsrelevant sind.“ Daher müssten die Bundesländer auch die Ausbildung für diese Ärzte sicherstellen. Geht man von 80% Ersatzquote aus, wären es 313 Allgemeinmediziner pro Jahr für Kassenstellen und angestellte Ärzte (inklusive der Wahlärzte: 425), bei Abdeckung des Gesamtbedarfs wären es pro Jahr 400 Ausbildungsstellen (inklusive Wahlärzte: 550).

„Henne-Ei-Problem“

Strategisch ergab sich bei der Realisierung der neuen Ausbildungsordnung, die auch die künftigen Allgemeinmediziner betrifft, für die Standesvertreter und die Gesundheitspolitik ein klassisches „Henne-Ei-Problem“: zuerst die Finanzierung sichern oder zuerst die Ausbildungsordnung?
Holzgruber: „Das ist wahrscheinlich schwerpunktmäßig eine Ländersache – von Krankenhausträgern auf Bundesländerseite und den Krankenkassen, die ja auch zum überwiegenden Teil für Bundesländer agieren. Es geht aber um etwa 15 Millionen Euro im Jahr. Das ist eine überschaubare Größe. Wir werden uns natürlich um bundesweite Regelungen bemühen, aber ohne die Einbindung der Länder und der Landes-GKK wird es nicht gehen, außer der Hauptverband zahlt alles.“
Nur in Vorarlberg gibt es schon ein Pilotprojekt mit einer Aufteilung der Kosten von 37% (Land), 30% beim Bund und je 16,5% für die Sozialversicherung und die Lehrpraxisinhaber. Wobei interessant ist: Natürlich ist die neue Ausbildungsordnung für die zukünftigen Ärzte bundesweit geregelt, bei der Durchführung aber landet man offenbar wieder im Föderalismus.
Einen Tenor gibt es jedenfalls bei allen von der Ärzte Krone Befragten: Bund, Länder und Sozialversicherung werden sich entscheiden müssen, ob sie in Zukunft noch Allgemeinmedizin in Österreich haben wollen. Wollen sie das nicht, kippen auch alle Primary-Health-Träume. Und, wie Reisner betont: „In einer ‚Lehrambulanz‘ wird man die Fertigkeit, Patienten im familiären Umfeld zu betreuen, nicht erwerben. Das ist aber Teil der Fähigkeiten und Fertigkeiten, die in der Ausbildungsordnung verlangt werden.“