Die meisten Frauen kennen es bzw. waren in ihrem Leben schon ein- oder mehrmals betroffen: Der sogenannte Harnwegsinfekt (HWI) ist in der Bevölkerung weit verbreitet und stellt besonders für prämenopausale, sexuell aktive und gesunde Frauen ein häufiges Leiden dar. Auch Männer können davon betroffen sein. HWI treten bei Männern seltener auf, der Krankheitsverlauf ist jedoch drastischer. Im Vergleich zu Männern erkranken Frauen durchschnittlich etwa 10-mal häufiger an einem Harnwegsinfekt. Es gibt zahlreiche bestätigende Studien, die beweisen, dass jede dritte Frau in ihren Zwanzigern zumindest einmal einen HWI hatte und aufgrund dessen auch eine Behandlung erhielt.
Der HWI ist eine entzündliche Reaktion der Harnwege und ist zumeist durch Bakterien verursacht. Prinzipiell unterscheidet man zwischen unkomplizierten und komplizierten HWI. Ein unkomplizierter HWI tritt bei gesunden Patientinnen auf, die üblicherweise normale anatomische und physiologische Verhältnisse aufweisen. Ein HWI gilt als kompliziert, wenn im Harntrakt relevante funktionelle oder anatomische Anomalien, relevante Nierenfunktionsstörungen oder relevante Begleiterkrankungen/Differenzialdiagnosen vorliegen, die das Entstehen eines HWI bzw. gravierende Komplikationen begünstigen. Jeder HWI bei Männern ist aufgrund der anatomischen Unterschiede beider Geschlechter prinzipiell als kompliziert anzusehen. Aber auch ein unkomplizierter HWI kann bei besonders fulminantem Verlauf in die oberen Harnwege aszendieren und hier eine sogenannte Pyelonephritis verursachen. Diese ist meist mit allgemeinem Krankheitsgefühl, Flankenschmerz und Fieber verbunden. Die häufigsten uropathogenen Keime sind Escherichia coli, Staphylococcus saprophyticus, Klebsiella pneumoniae und Proteus mirabilis.
Die Harnkultur gilt als Goldstandard zur Diagnosestellung eines HWI. In der Praxis stellen erfahrene Mediziner jedoch meist die richtige Diagnose anhand der Klinik und Anamnese. Dysurie, Pollakisurie, Urge-Symptomatik, Hämaturie und Nykturie gehören zu den häufigsten Symptomen eines HWI. Obligat bei allen PatientInnen ist die klinische Untersuchung inklusive Untersuchung des kleinen Beckens und Ultraschall. Mittels Anamnese und Untersuchung werden physiologische oder anatomische Pathologien des Harntraktes ausgeschlossen. Jede® PatientIn sollte darüber hinaus mittels Restharnmessung sowie gegebenenfalls Uroflowmetrie abgeklärt werden. Bei der Diagnostik von rezidivierenden unkomplizierten HWI sollte zumindest einmal, während der Patient/die Patientin symptomatisch ist, eine Harnkultur inklusive Antibiogramm durchgeführt werden. Ein Mittelstrahlharn mit einer Keimzahl von mehr als 105 Keimen pro ml wird während einer symptomatischen Phase als positiv angesehen. Eine Keimbesiedelung ab 105 Keinem pro ml in Verbindung mit Beschwerden sollte antibiotisch behandelt werden.
Die Zystoskopie bringt in der Diagnostik des unkomplizierten HWI keinen signifikanten Vorteil und wird daher nicht standardmäßig eingesetzt.
In folgenden Fällen ist sie jedoch indiziert: HWI bei Männern, durchgemachte Traumata oder Operationen am Harntrakt, bestehende Mikro- und Makrohämaturie nach Infektsanierung, vorhergehende Blasen- oder Nierensteine, obstruktive Symptome und Restharn, bakterielle Persistenz nach konkordanter Therapie, Malignome im kleinen Becken, Pneumaturie, Fäkalurie und anaerobe Bakterien in der Kultur, rezidivierende Pyelonephritiden.
Bildgebende Verfahren können prinzipiell auch für die Diagnostik verwendet werden, jedoch sind diese ebenfalls nicht für die Standarddiagnostik vorgesehen. Bei Verdacht auf eine anatomische Anomalie ist die Computertomografie von Abdomen und kleinem Becken nativ und mit Kontrastmittel der Goldstandard zur weiteren Abklärung.
Jede Patientin sollte über prädisponierende Faktoren für einen HWI, wie z. B. sexuelle Aktivität und der Gebrauch von spermiziden Substanzen, aufgeklärt werden. Auch das Urinieren vor und nach sexuellem Kontakt kann das Auftreten eines HWI verhindern. Eine weitere Möglichkeit der konservativen HWI-Behandlung und -prophylaxe sind Preiselbeer-Produkte. Ein systematischer Review der Cochrane Database aus dem Jahr 2008 zeigte, dass Preiselbeer-Produkte rezidivierende HWI verhindern können.
Die Erstmaßnahme zur medikamentösen Behandlung eines HWI bei Frauen ist analgetische Therapie (z. B. Ibuprofen). Bei schweren Verläufen empfehlen die aktuellen Guidelines die Einleitung einer antibiotischen Therapie. Da die Frage nach dem optimalen Antibiotikum zur HWI-Behandlung noch nicht geklärt ist, sollten Faktoren wie etwaige Allergien, lokal bekannte Resistenzmuster, vorherige Antibiotika, die Kosten sowie die Nebenwirkungen die Wahl des richtigen Antibiotikums mitbestimmen. Die derzeitigen Guidelines empfehlen bei unkompliziertem HWI bei Frauen die Antibiotika Fosfomycin, Nitrofurantoin oder Pivmecillinam für ein bis drei Tage. Nicht empfohlen bei unkompliziertem HWI sind hingegen Fluorchinolone und Aminopenicilline.
Bei schwereren Verläufen von rezidivierenden HWI wird eine Langzeit-Therapie mit niedrig dosierten Antibiotika eingeleitet. Ein Review der Cochrane Database aus dem Jahr 2008 schloss 10 Studien mit insgesamt 430 Frauen ein. In allen Studien wurde die prophylaktische Antibiotikagabe versus Placebo verglichen. Vor allem Nitrofurantoin und Cefalexin zeigten hier vielversprechende Ergebnisse.
Die postkoitale prophylaktische Antibiotikagabe ist für Frauen ebenfalls eine effektive Methode zur Prävention von rezidivierenden Harnwegsinfekten, falls diese in Assoziation mit sexueller Aktivität stehen. Die postkoitale Antibiotikagabe wird in der Literatur als eine einmalige Einnahme innerhalb von 2 Stunden nach dem sexuellen Kontakt definiert. Dadurch ist es eine kostengünstige und nebenwirkungsarme Methode zur Prävention. Eine Studie zeigte 0,3 klinische Rezidive pro Jahr im Behandlungsarm, im Gegensatz zu 3,6 bei Placebogabe.
Vaginale Östrogene sind eine weitere gute Behandlungsmethode zur Prophylaxe von rezidivierenden HWI für postmenopausale Frauen. Dies wurde in zwei unterschiedlichen Studien bestätigt. Allerdings ist diese Methode mit einigen Nebenwirkungen verbunden. Dazu zählen die erhöhte Empfindlichkeit der weiblichen Brust, vaginale Blutungen, unphysiologischer Ausfluss sowie vaginale Reizungen und Schmerzen.
Wie bereits oben erwähnt, ist jeder HWI bei Männern aufgrund der anatomischen Unterschiede als kompliziert zu betrachten. Vorliegende Faktoren wie z. B. Obstruktion oder unvollständige Miktion und Restharn aufgrund von Detrusor-Dysfunktion sind die Gründe dafür, dass die Infektion drastischer abläuft und schwerer zu eradizieren ist. HWI bei Männern sind daher oft auch mit einer akuten Prostatitis und/oder Epididymitis verbunden und weisen entsprechende Symptome auf (in den meisten Fällen auch mit Fieber).
Bei jedem Verdacht auf einen komplizierten HWI (ob bei Frau oder Mann) ist die Anlage einer Harnkultur obligat, um eine signifikante Bakteriurie zu beweisen oder auszuschließen. Ein breites Sortiment an Mikroorganismen verursacht einen komplizierten HWI. Das Spektrum ist viel größer als das bei unkomplizierten HWI, und die Erreger haben eine viel größere Wahrscheinlichkeit, resistent zu sein.
Zur Behandlung von komplizierten HWI gibt es einige Grundprinzipien: Anlage einer Harnkultur inklusive Resistenzbestimmung, schnelle Behebung der zugrundeliegenden urologischen Abnormität oder Ursache, sofortige Umstellung auf konkordante Antibiose je nach Kultur und stationäre Aufnahme bei systemischer Erkrankung mit Fieber.
Als Antibiotika der Wahl empfehlen die EAU-Guidelines derzeit bei komplizierten HWI entweder die Gabe eines Aminopenicillins plus eines Aminoglykosids oder eines 2.-Generation-Cephalosporins in Verbindung mit einem Aminoglykosid oder eines 3.-Generation-Cephalosporins alleine. Fluorchinolone sollten nur gegeben werden, wenn das lokale Resistenzmuster < 10 % ist und die gesamte Antibiose oral gegeben werden kann und somit keine stationäre Aufnahme indiziert ist. Die Behandlungsdauer bei kompliziertem HWI wird für 7 bis 14 Tage empfohlen (bei Männern bis zu 14 Tage, wenn eine Mitbeteiligung der Prostata nicht ausgeschlossen werden kann).
Wissenswertes für die Praxis