Harnwegsinfektion – pflanzlicher Synergismus

Was sind die häufigsten Ursachen für Harnwegsinfekte?

Prof.in Dr.in Karin Kraft: Harnwegsinfektionen (HWI) gehören zu den häufigsten bakteriellen Erkrankungen im niedergelassenen Bereich. Escherichia coli ist der Hauptkeim für unkomplizierte Harnwegsinfektionen (etwa 80–90 % aller Fälle), daneben zählen auch Klebsiella Pneumoniae (circa 7 %), Proteus mirabilis (ca. 5 %), Pseudomonas aeruginosa, Enterococcus faecalis, Enterobacter cloacae, Streptococcus bovis und Candida albicans zu den relevanten Erregern. Das therapeutische Vorgehen bei einer Harnwegsinfektion wird vor allem durch das jeweilige Erregerspektrum, die Lokalisation, den Krankheitsverlauf sowie die entsprechende lokale Resistenzsituation bestimmt. Trotz guter antibiotischer Behandlungsmöglichkeiten haben pflanzliche Urologika einen wichtigen Stellenwert bei der Therapie des Harnwegsinfektes. Standardisierte Behandlungsschemata und Therapieempfehlungen, auch für Risikogruppen, finden sich daher in der aktuellen deutschen S3-Leitlinie. Die S3-Leitlinie gibt dabei insgesamt ein positives Votum für pflanzliche Mittel ab.

Von welchen Pflanzen kann man eine rasche Besserung der Symptome erwarten?

Mögliche Pflanzen und Extrakte, die bei Harnwegsinfekten angewendet werden können, sind Bärentraubenblätter, Kombinationen aus Kapuzinerkressekraut und Krenwurzel, Cranberrys, Kombinationen aus Rosmarinblättern, Liebstöckelwurzel und Tausendgüldenkraut, Orthosiphonblätter, Hauhechelwurzelextrakte, Kamillenblüten, Schafgarbenkraut, Apiaceenfrüchte, Wacholderbeeren und Goldrutenkraut beziehungsweise Echtes Goldrutenkraut.Traditionell werden auch Birkenblätter, Klettenwurzel, Brennnesselblätter, Brennnesselwurzel sowie Löwenzahnwurzel bei Harnwegsinfekten angewendet.

Gibt es Vorteile bei einer Kombinationstherapie mit Antibiotika und Pflanzenextrakten?

Das Echte Goldrutenkraut zum Beispiel ist ein gutes pflanzliches Mittel, da es die renale Ausscheidung steigert, wenn gleichzeitig viel Wasser getrunken wird. Goldrutenkraut hat außerdem eine antientzündliche Wirkung. Diese ist insbesondere bei Harnwegsinfekten von Vorteil und kann das Brennen bei der Miktion bessern. Diese Wirkungen haben Antibiotika in der Regel nicht. Brennnessel- und Birkenblätter haben ebenfalls eine harntreibende Wirkung, sind zudem antientzündlich und eignen sich daher gut als Kombinationspartner. Pflanzliche Mittel, die zusätzlich die Harnwege desinfizieren, sind das Kapuzinerkressekraut und die Krenwurzel. Bärentraubenblätter gehören ebenfalls dieser Gruppe an, sollten allerdings nur sehr kurzzeitig angewendet werden.

Wie sehen Sie insgesamt die Rolle von Pflanzen als Alternative zu Antibiotika bei HWI?

Zusammenfassend bieten einige Arzneipflanzen aufgrund ihrer Wirkkombination ein gutes und reichhaltiges Arsenal für die Therapie von Infektionen der ableitenden Harnwege. Richtig eingesetzt, wird durch pflanzliche Arzneimittel sicherlich die eine oder andere Antibiotikagabe in der Praxis obsolet. Wichtig ist dabei jedenfalls, auf qualitativ hochwertige und standardisierte Pflanzenextrakte zu achten. Zu geringe oder zu hohe Dosierungen können den Therapieerfolg mindern.

Ist mit vielen Nebenwirkungen zu rechnen?

Nein, die meisten Nebenwirkungen sind im Vergleich zu Antibiotika sehr gering. Gelegentlich kann es zu Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall kommen. Auch allergische Reaktionen können gelegentlich auftreten. Bärentraubenblätterhaltige Zubereitungen sollten nicht über längere Zeit angewandt werden, da theoretisch ein mutagenes Potenzial durch Hydrochinon bestehen könnte. In Untersuchungen konnte dieses Potenzial bis jetzt jedoch nicht bestätigt werden. Wacholderbeeren sollten demgegenüber nie zu lange angewandt werden, da das enthaltene Terpinen-4-Ol leicht nierenreizend wirkt. Diese Nierenreizung induziert eine höhere Harnausscheidung und ist somit eigentlich ein gewünschter Effekt. Von längerfristigem Gebrauch oder sehr hohen Dosierungen ist aber trotzdem abzuraten.

Ist eine Vorbeugung von Harnwegsinfektionen möglich?

Die Vielzahl von pflanzlichen Mitteln mit unterschiedlichen Zusammensetzungen und verschiedenen Wirkstoffkombinationen erschwert leider die Studiendurchführung. Die Kombination von Bärentraubenblättern mit Löwenzahnwurzel konnte in Studien jedoch zeigen, dass nach einem Monat Prophylaxe über einen Zeitraum von einem Jahr keine HWI-Rezidive mehr auftraten. Im Vergleich dazu lag die HWI-Rezidivrate in der Placebogruppe bei circa 23 %. Ebenfalls reduzierten Kapuzinerkresse mit Kren in einer Studie die Rezidivrate für HWI über 3 Monate auf circa 50 % im Vergleich zu Placebo. Folgende pflanzliche Mittel können im Langzeiteinsatz jedoch gravierende Folgen haben und sollten deshalb keinesfalls in der HWI-Prophylaxe eingesetzt werden: Bärentraubenblätter (Leberschäden, Makuladegeneration), Sandelholz und Wacholderbeeren (Nierenschäden).Eine portugiesische Metaanalyse von Studien zur prophylaktischen Therapie mit Cranberry-Produkten aus dem Jahr 2017 ergab, dass die Wirksamkeit bei beiden Geschlechtern vergleichbar gut zu sein schien, insbesondere Kinder zwischen 2 und 17 Jahren beziehungsweise Erwachsene im mittleren Alter profitieren von der Behandlung. Es kann daher eine generelle Empfehlung zur prophylaktischen Therapie von rezidivierenden Harnwegsinfektionen mit Cranberry-Produkten ausgesprochen werden.

Welche Forschungsfortschritte gab es in den vergangenen Jahren im Hinblick auf die Rolle von Pflanzen bei HWI?

Ich würde mich freuen, wenn in Bezug auf Phytotherapeutika in Zukunft noch mehr geforscht wird. Vor allem sollte die Kombination mit Antibiotika beim HWI noch besser beforscht werden, da es hier bereits vielversprechende erste Studienergebnisse gibt. Arzneipflanzenextrakte können Antibiotikatherapien gut ergänzen, da diese die Bakterien abtöten, aber nicht den Biofilm und die darin enthaltenen Bakterien beseitigen. Pflanzliche Urologika sind damit nicht als Ersatz für Antibiotika zu sehen, können aber manchmal in der Therapie ausreichen oder auch synergistisch und vor allem präventiv wirken.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Wissenswertes für die Praxis

  • Bei bärentraubenblätterhaltigen Phytopharmaka sind feste Darreichungsformen mit standardisierten Gehaltswerten zu bevorzugen. Die Dosierungen in Tees sind oft zu gering.
  • Bei der Auswahl von Cranberry-Präparaten sollte auf eine möglichst hohe Dosierung geachtet werden.
  • Von längerfristigem Gebrauch oder sehr hohen Dosierungen von Wacholderbeeren ist abzuraten, da durch Epithelreizungen Nierenschäden auftreten können.
  • Kamillenblüten sollten aufgrund des Qualitätsunterschiedes stets in Apotheken bezogen werden. Da beim Aufbrühen größere Mengen des ätherischen Öls verdampfen, sollte die Teetasse bei Möglichkeit mit einem kleinen Teller abgedeckt werden und die dort gesammelte Flüssigkeit in die Teetasse zurückgegossen werden.