Nach den Atemwegsinfektionen sind es die Harnwegsinfektionen (HWI), für die in der allgemeinmedizinischen Versorgung am häufigsten Antibiotika verschrieben werden; in gynäkologischen Praxen ist es der häufigste Grund. Untersuchungen zur Verordnungspraxis zeigen, dass die Behandlung einer HWI teilweise deutlich von den Leitlinienempfehlungen abweicht. Das betrifft sowohl die Indikationsstellung für eine Antibiotikatherapie als auch die ausgewählten Wirkstoffe sowie die Behandlungsdauer. Hier gibt es Optimierungspotenzial. Strategien, die helfen, die Verordnungspraxis zu adaptieren, können positive Auswirkungen haben: individuell für die Behandelten, für die Gesundheitsökonomie und in Bezug auf die Resistenzentwicklung. Auch Alternativen zur Antibiotikatherapie gilt es zu diskutieren. Die Nachfrage hierzu ist im Behandlungsalltag hoch, während die Evidenz zu den diversen Möglichkeiten unterschiedlich stark ist.
In medizinischen Publikationen besteht oft ein Geschlechterbias mit einer Unterrepräsentation der Frauen aus verschiedensten Gründen. Das ist bei HWI anders: Frauen stehen im Fokus, da sie deutlich häufiger betroffen sind. Sie zeigen zwei Häufigkeitsgipfel: einen zwischen 20 und 40 Jahren und einen doppelt so hohen im Alter von über 70. Bei Männern steigt die Häufigkeit erst im Alter relevant an, bleibt aber deutlich unter jener der Frauen. Bezüglich der rezidivierenden HWI (mehr als zwei Episoden in 6 Monaten oder mehr als drei in 12 Monaten) werden ebenfalls hauptsächlich Daten von weiblichen Betroffenen publiziert. Bei der Betrachtung der Behandlungsoptionen ist somit zu beachten, dass Daten zu Männern und HWI zum Teil spärlich sind.
Die klinische Symptomatik einer HWI mit Dysurie, Algurie, Pollakisurie, abdominellen Schmerzen, Flankenschmerzen, Fieber und Hämaturie kann stark variieren. Gelegentlich sind nur einzelne Symptome vorhanden, besonders ältere oder immunsupprimierte Patienten können symptomarm sein. Geben Frauen begleitend oder ausschließlich vaginale Beschwerden an, sind differenzialdiagnostisch gynäkologische Erkrankungen und sexuell übertragbare Infektionen zu erwägen. Bei Männern sollten alternativ Prostatitiden und sexuell übertragbare Infektionen bedacht werden.
Besteht keinerlei Symptomatik, werden jedoch in der Urinkultivierung uropathogene Erreger nachgewiesen, spricht man von einer asymptomatischen Bakteriurie. Diese Konstellation, oft als Harnwegsinfektion fehlinterpretiert, führt nachweislich am häufigsten zu einer nicht notwendigen Antibiotikatherapie.
Um Fehlbewertungen und unnötige Behandlungen zu reduzieren, wird in den europäischen Leitlinien empfohlen, bei fehlender klinischer Symptomatik grundsätzlich kein Screening mittels Urinkultivierung durchzuführen. Das gilt für postmenopausale Frauen, gut eingestellte Diabetiker, Menschen mit angeborenen oder erworbenen Veränderungen des Urogenitaltraktes oder transurethralen Kathetern, vor geplanter Gelenkoperation, bei rezidivierenden HWI und auch bei Z. n. Nierentransplantation. Darüber hinaus betrifft die Empfehlung zum Screeningverzicht auch die in Alten- und Pflegeheimen untergebrachten Menschen. Für multimorbide oder demente Patienten konnte kein Vorteil für den Einsatz von Antibiotika bei asymptomatischer Bakteriurie gezeigt werden.
Es gibt aber Ausnahmen. Gezielt gescreent und bei asymptomatischer Bakteriurie konsekutiv antibiotisch behandelt werden sollte:
Bei Verdacht auf HWI kann die Indikation zur Antibiotikatherapie gestellt werden; sie verkürzt nachweislich die Symptomdauer. Insbesondere im ambulanten Bereich ist jedoch eine rein symptomatische oder alternative Behandlungsmethode eine vertretbare Option. Einerseits haben HWI eine recht hohe Spontanheilungsrate von 30–50 % innerhalb einer Woche; andererseits belegen Langzeituntersuchungen, dass bei Begrenzung der Infektion auf die Blase auch bei Rezidiven nicht mit gravierenden Komplikationen zu rechnen ist.
Die Entscheidung zur Antibiotikagabe erfolgt praktisch immer empirisch. Hilfreich zur Beurteilung einer gegebenenfalls notwendigen Urindiagnostik vor Start der empirischen Antibiotikagabe ist die Einteilung der HWI in kompliziert und unkompliziert. Grundsätzlich spricht man von komplizierten HWI, wenn sie Kinder, Jugendliche, Schwangere und Männer betreffen, außerdem bei nephrologischen oder hepatologischen Vorerkrankungen, bei schlecht eingestelltem Diabetes mellitus, nosokomialen HWI, angeborenen oder erworbenen Störungen des Immunsystems und der Harnwegsanatomie. Entsprechend den Leitlinien sollte bei diesen Patienten vor Beginn der Therapie eine Urinkultivierung erfolgen.
Empirisch werden bei unkomplizierter HWI im ambulanten Bereich in der Erstlinientherapie für nichtschwangere Frauen Pivmecillinam, Nitrofurantoin, Fosfomycin und Nitroxolin (in Österreich nicht erhältlich) empfohlen. Bei guter lokaler Resistenzlage (Sensibilität für E. coli > 80 %) kann auch Cotrimoxazol eingesetzt werden. Die Behandlungsdauer beträgt je nach Substanz 1 bis 3 Tage. Diese Substanzen wirken, anders als Fluorchinolone und Cephalosporine, primär lokal in der Harnblase. Für ansonsten gesunde schwangere Frauen sind Pivmecillinam, Fosfomycin und orale Cephalosporine der 2. und 3. Generation empfohlen. Die Behandlungsdauer liegt bei 7 Tagen. Die Therapiedauer bei Männern beträgt 7 bis 14 Tage. Empfohlen sind Pivmecillinam und Nitrofurantoin (CAVE! Fosfomycin und Nitroxolin sind nur für Frauen zugelassen). Trotz aller Leitlinienempfehlungen und Hinweise von Arzneimittelkommissionen belegen Untersuchungen, dass die Fluorchinolonverordnung auch bei unkomplizierter HWI hoch ist. Das komplexe Nebenwirkungsprofil ist besonders bei älteren Patienten von großer Relevanz. Dieser Problematik kann nur aktiv und mit erhöhter Aufmerksamkeit begegnet werden. Das gilt auch für den Einsatz von Fluorchinolonen bei komplizierter HWI und Pyelonephritis, wo sie primär empfohlen sind. Da hier vor Start der Antibiotikagabe eine Urinkultivierung erfolgen sollte, kann bei Befundeingang deseskaliert werden.
Für unkomplizierte HWI können alternative Behandlungen zur Antibiotikatherapie eine vertretbare Option darstellen. Das gilt nicht bei Pyelonephritis oder kompliziertem HWI. Hinsichtlich der Rezidivprophylaxe sollten alternative Methoden regelmäßig vor Beginn einer Antibiotikaprophylaxe erwogen werden.
Supportive Maßnahmen, wie die erhöhte Flüssigkeitszufuhr zur Spülung der harn-ableitenden Wege oder die lokale Wärmeapplikation zur Krampflösung, werden unabhängig von der Entscheidung für oder gegen eine Antibiotikatherapie empfohlen.
Für die Einnahme entzündungshemmender Medikamente, wie z. B. Ibuprofen, konnte eine Symptomverkürzung gezeigt werden, die aber geringer ausfiel als bei Antibiotika (Studien nur Frauen). Da bei ausschließlich entzündungshemmender Behandlung mehr Pyelonephritiden auftraten, wird vor Behandlungsbeginn ein Aufklärungsgespräch empfohlen. Für geriatrische Patientinnen und schwangere Frauen wird diese Alternative nicht empfohlen.
Behandelt mit desinfizierend wirkenden Phytotherapeutika, wie Bärentraubenblätter und Kapuzinerkressenkraut, zeigten Patientinnen weniger Rezidive. In einer kleinen, aber prospektiven Studie senkte auch Mannose das Rezidivrisiko signifikant. Einen hohen Empfehlungsgrad in der Leitlinie hat aufgrund der in mehreren Studien belegten Reduktion der Rezidivrate das auf Grundlage von Bakterienbestandteilen konzipierte Immuntherapeutikum OM-89.
Trotz einer Vielzahl an Studien zur Rezidivprophylaxe durch Cranberrys, Ansäuerung des Urins, Einsatz lokaler Östrogene oder verstärkte Intimhygiene sind die Ergebnisse widersprüchlich. Allgemeine Empfehlungen sind nicht möglich. Eine nur schwache Empfehlung bei geringer Studienzahl hat der Totimpfstoff gegen rezidivierende HWI.
Literatur bei der Verfasserin