Hausärzt:innen sollen Spitäler entlasten – was es dazu braucht

In den letzten Wochen und Monaten mehren sich die medialen Berichte darüber, dass die Personalsituation sich in den Spitälern, sowohl was die Pflege, aber auch was die Ärzteschaft betrifft, dramatisch zuspitzt1. So fehlen allein über 200 Pflegekräfte im Leitspital der Steiermark, der Universitätsklinik des LKH Graz, was zur Sperrung von 247 Betten u. a. in hochspezialisierten Bereichen wie Intensivstationen, Herz- und Neurochirurgie geführt hat. Ähnliche Berichte aus den meisten anderen Bundesländern Österreichs unterstreichen diese Situation. Allerdings betrifft dies nicht allein die Pflege, sondern gleichfalls die Ärzteschaft. Auch hier stehen viele Stellen in den Spitälern offen. Die Pandemie und die chronische Überlastung der letzten 3 Jahre hat einiges dazu beigetragen, dass Mitarbeiter:innen erschöpft sind und dem Krankenhaus oder gleich dem Gesundheitssystem den Rücken kehren. Allerdings zeigen bereits Analysen2 aus den Jahren weit vor der Pandemie, dass sich das Problem des zukünftigen Mangels an Ärztinnen und Ärzten im Sachleistungssystem (Krankenhausärztinnen und -ärzte und §2-Vertragsärztinnen und -ärzte) bereits seit vielen Jahren abzeichnete.
Immer wieder wurde – und dies auch weit vor Beginn der Pandemie – betont, dass Hausärztinnen und Hausärzte dazu beitragen sollen, die Spitalsambulanzen zu entlasten und Krankenhausaufnahmen zu vermeiden3. Dies setzt jedoch voraus, dass geeignete Maßnahmen getroffen werden, die eine solche Übernahme von Verantwortlichkeiten auch ermöglichen. Generell ist in der fachspezifischen Arbeitsweise der Allgemeinmedizin eine solche Aufgabenverteilung implizit:

Der Arbeitsauftrag der Allgemeinmedizin beinhaltet u. a.:
  • die primärärztliche Filter- und Steuerfunktion, insbesondere die angemessene und gegenüber Patient:innen und Gesellschaft verantwortliche Stufendiagnostik und Therapie unter Einbeziehung von Fachspezialisten
  • die Koordinations- und Integrationsfunktion, insbesondere die gezielte Zuweisung zu Spezialist:innen, die federführende Koordinierung zwischen den Versorgungsebenen, das Zusammenführen und Bewerten aller Ergebnisse und deren kontinuierliche Dokumentation, sowie die Vermittlung von Hilfe und Pflege der Patient:innen in ihrem Umfeld

 

Jedoch bedarf es einer großen Anzahl an Maßnahmen, damit eine solche Aufgabe, die inhaltlich mit Sicherheit von der überwiegenden Mehrheit der Hausärztinnen und Hausärzte, insbesondere der nachfolgenden Generation, gerne übernommen werden wird, gelingen kann.

Strukturelle Maßnahmen

Ziel dieser Maßnahmen sollte es sein, die Effektivität und die Effizienz der im Sachleistungssystem tätigen Ärzt:innen zu erhöhen und die Arzttätigkeit auf jene Bereiche zu konzentrieren, die tatsächlich ausgebildete Ärzte erfordern. Dazu bedarf es einer Unterstützung der interprofessionellen Zusammenarbeit auch außerhalb der z. Zt. noch streng definierten PHC-Modelle, d. h. einer deutlichen Vereinfachung und Flexibilisierung verschiedenster Zusammenarbeitsformen inkl. der Unterstützung solcher auch aufbauend auf bereits gewachsene und bewährte Strukturen. Interprofessionalität darf jedoch nicht als Transprofessionalität missinterpretiert und gefördert werden, da dies nicht zu einer Entlastung einer Berufsgruppe führt, sondern ggf. zu einer Versorgungsverschlechterung der Patient:innen, die nicht am Best Point of Care betreut werden.
Ebenfalls notwendig ist eine Effizienzsteigerung und effektiver Umgang mit Diagnostik und Therapie und damit eine Ermöglichung notwendiger diagnostischer Tools (z. B. POC-Diagnostik wie unlimitiertes CRP, Notfallparameter wie D-Dimer und Troponin, pro BNP u. v. a.), Routine- und Notfall-EKGs und auch der Sonografie, die ebenfalls am Point of Care durchgeführt werden sollte. Diese Maßnahmen können einerseits sehr effektiv dazu dienen, Facharztüberweisungen (bei oft sehr langen Wartezeiten im Kassenarztsystem für die Patient:innen) zu vermeiden, Patient:innen zu filtern bzw. so zu diagnostizieren, dass sie ohne Umwege über eine zentrale Notaufnahme direkt an die spezifische Klinik überwiesen werden können.
Auch die Telemedizin ebenso wie zentrale Befunderfassungssysteme (ELGA) können hier unterstützen, allerdings nur, wenn diese auch von allen Seiten verantwortungsvoll genutzt und Befunde bereitgestellt werden, die für die Hausärztinnen und Hausärzte verfügbar sind.
Bereits im Jahr 2008 erteilte die Bundesgesundheitsagentur den Auftrag zur Erarbeitung einer bundesweiten Empfehlung für die patientenorientierte Vorgangsweise beim Aufnahme- und Entlassungsmanagement im Gesundheitswesen, die dazu dienen sollte, einen „raschen, reibungs- und lückenlosen, effektiven, effizienten und sinnvollen Betreuungsverlauf“ zu gewährleisten. Daraus entstand die Bundesqualitätsleitlinie zum Aufnahme- und Entlassungsmanagement – BQLL AUFEM4, deren Ziele es u. a. sind, eine kontinuierliche Betreuung nach erfolgtem Transfer sicherzustellen, einen nahtlosen Informationsfluss zu ermöglichen und die klare und effiziente Gestaltung der Dokumentations- und Informationsflüsse unter Verwendung von Informationstechnologie durch die am Prozess beteiligten Akteur:innen umzusetzen.
Patient:innenströme können zudem effektiv über Einschreibemodelle, wie dies z. B. in Baden-Württemberg im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung umgesetzt worden ist, gelenkt werden. Dies bietet einerseits den Vorteil, dass Betroffene zuerst Hausärztinnen und Hausärzte aufsuchen müssen, wenn sie erkrankt sind, andererseits im Rahmen der Versorgung und Kooperation schnelle Facharzttermine angeboten werden können, um so möglichst das Aufsuchen einer Ambulanz zu vermeiden. Zudem fiel die Evaluierung5 extrem positiv aus: Es gab weniger schwere Komplikationen bei Diabetes-Betroffenen, weniger unkoordinierte Facharztkontakte und insgesamt geringere Kosten für das Gesundheitssystem. Trotz Honorarsteigerungen für die Hausärztinnen und Hausärzte und trotz deutlicher Investitionen in die ambulante Versorgung kam es zu einer Kostenersparnis von 8,2 Prozent gegenüber der Regelversorgung. Das Umsetzen einer derartigen Maßnahme würde allerdings in Österreich voraussetzen, dass die Kosten, die im Gesundheitssystem anfallen, als Gesamtkosten und nichtfragmentiert als Kosten der Sozialversicherungsträger und der Länder/des Bundes angesehen würden und man eine Folgekostenabschätzung durchführen würde, die aufzeigt, welche Kosten sich reduzieren würden, wenn man Leistungen in den ambulanten Bereich verlagert, die dazu dienen könnten, den Spitalssektor zu entlasten.
Selbst die Sozialversicherung in Österreich hat bereits im Jahre 2015(!) gefordert, weitere Attraktivierungsschritte für Ärztinnen und Ärzte zu setzen, um Krankenhausärztinnen und -ärzte und Vertragsärztinnen und -ärzte im System zu halten bzw. ins System zu holen6: So könnten bessere Arbeitsbedingungen (z. B. weniger belastende Bereitschaftsdienstregelungen, attraktive Arbeitsinhalte, Entbürokratisierung, Teilzeitmöglichkeiten und Kinderbetreuungseinrichtungen) sowie natürlich eine attraktivere und gerechtere Entlohnung dazu beitragen. Auch sollten notwendige Verbesserungen im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung geschaffen werden, die die Attraktivität einer Tätigkeit im Krankenhaus oder als Vertragsarzt erheblich erhöhen. Nicht zuletzt seien Aktivitäten in Richtung „Image“ und „Lebensbedingungen“ insbesondere der Haus- bzw. Landärztinnen und -ärzte zu überlegen.

Definition von Aspekten, die laut BQLL AUFEM zur Umsetzung notwendig sind:
  • Nahtstellenpartner und deren Rollen und Verantwortlichkeiten
  • Nahtstellenprozesse
  • Kommunikationsprozesse innerhalb der und zwischen den Nahtstellenpartnern
  • Dokumentationsstandards
  • Ausbildungsstandards