Aufgrund von größerem Volumen brauchen diese in der Regel länger bis zur Rückbildung als Urtikaria der oberen Hautschichten. Ursachen hierfür sind vielfältig, sie können aufgrund verschiedener Allergien, Medikamenteneinnahme, Autoimmunkrankheiten, postinfektiös, aber auch genetisch bedingt sein.Man unterscheidet heute zwischen histaminergem und Bradykinin-(BK-)vermitteltem Angioödem. Das Erstgenannte ist meist mit Urtikaria vergesellschaftet und spricht auf eine klassische Therapie mit Antihistaminika und Steroide intravenös gut an. Beim hereditären Angioödem (HAE) ist die Gefäßpermeabilität durch erhöhte BK-Bildung und -Akkumulation verursacht und spricht typischerweise auf die obige klassische Therapie nicht an.
Die HAE-Typen I und II gehören mit einer weltweiten Prävalenz von 1 : 60.000 bis 1 : 100.000 zu den seltenen Erkrankungen (OMIM # 106100) mit einer Mutation auf Chromosom 11q.11.2-q13. Es liegen keine ethnischen und geschlechterspezifischen Unterschiede vor. HAE ist autosomal-dominant vererbt, das heißt, bei jeder Schwangerschaft besteht eine 50%-Chance, dass ein Kind gesund oder betroffen auf die Welt kommt, wenn ein Elternteil an HAE leidet. Allerdings handelt es sich bei circa 25 % der Fälle um eine De-novo-Mutation mit negativer Familienanamnese, wobei die Vererbung in der Folge wie oben beschrieben weitergeht. Da die seltene Krankheit oft fälschlich als klassisches Angioödem und Urtikaria diagnostiziert wird, ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen (nichtdiagnostizierte Fälle). Außerdem verzögert sich dadurch die Diagnosestellung. In Österreich sind bisher circa 150 diagnostizierte Fälle in dieser Kategorie bekannt.
Im Vergleich dazu liegt die Prävalenz des erworbenen AE mit relativem C1-INH-Mangel (= erhöhter Verbrauch aufgrund einer zugrundeliegenden Tumor-Erkrankung) bei 1 : 600.000.
In Bezug auf die HAE-Formen mit nC1-INH (HAE mit normalen C1-INH-Werten, denen andere Gendefekte zugrundeliegen, wie zum Beispiel Faktor XIIa-Mutation) gibt es noch keine Prävalenzdaten, da sie bisher nur in einigen Familien meist aus Deutschland oder aus Italien beschrieben sind.
Die Beschwerden sind massive schmerzhafte Schwellungen, die an allen Körperteilen auftreten können, wie Haut-, Mundschleimhaut, aber auch innere Organe, insbesondere Darm und Bauchraum. Durch die Schwellung der Darmwand kommt es zur Anschwellung des Bauches mit sehr starken kolikartigen Schmerzen, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen, sodass die Patienten tagelang im Bett bleiben müssen. Bis zur Diagnosestellung können bei diesen Patienten eine bis mehrere unnötige Operationen wegen akuten Abdomens durchgeführt werden.
Die Ödeme betreffen am häufigsten die oberen Extremitäten, gefolgt von unteren Extremitäten, Gesicht, Genitale, Rumpf und Hals, typischerweise an einer Stelle beginnend und sich ausbreitend. Eine HAE-Attacke besteht aus langsamem Anschwellen, einer stabilen Phase und langsamem Abschwellen über 2–3 Tage gelegentlich bis zu 1 Woche. In dieser Zeit ist berufliches und privates Leben massiv eingeschränkt, wenn zum Beispiel eine Hand angeschwollen ist. Die Ödeme am Fuß oder Genitale verhindern das Gehen. Gefürchtet sind Schwellungen in Gesicht, Hals- und Zungenbereich, da es hier oft im Verlauf zu Larynxschwellungen kommt, die ohne rasche und korrekte Behandlung zum akuten Erstickungstod führen können. Viele Patienten müssen leider auch oft tracheotomiert werden.
Bei circa 1/3 der Attacken entwickeln die Betroffenen Prodromalzeichen wie nicht juckende, serpiginöse, erythematöse Flecken, genannt Erythema marginatum, nicht zu verwechseln mit anderen Exanthemen oder Urtikaria. Weitere Prodromi-Zeichen 1–2 Tage zuvor sind Müdigkeit, Schläfrigkeit oder lokale Schmerzen, bevor es anschwillt. Das Manifestationsalter liegt meist zwischen dem 5. und dem 12. Lebensjahr beziehungsweise bis zum Ende der 3. Lebensdekade. Allerdings kann die Attacken-Häufigkeit und -Schwere je nach Lebensphase bei ein und demselben Patienten stark variieren.
Die häufigsten Trigger-Faktoren sind Verkühlung, Infektionskrankheiten, mechanische Traumata, langes Sitzen, Stehen, schweres Tragen, Alkohol, Medikamente wie ACE-Hemmer (Angiotensin-converting Enzyme), Östrogene somit Pillen oder Hormonersatztherapie, psychischer Stress, medizinische Eingriffe und Operationen. Andererseits können viele Attacken ohne ersichtlichen Grund auftreten und die offensichtlichen Trigger nicht jedes Mal eine Attacke auslösen.
Die klinische Verdachtsdiagnose ergibt sich aus der Klinik, Anamnese und Therapieresistenz der Ödeme. Als nächstes wird auf die klassischen C1-INH-HAE Typ I und II geschaut. Wenn C1-INH und -Aktivität vermindert und C4 im Serum verbraucht ist, dann liegt ein HAE-Typ I vor (95 %). Wenn C1-INH-Wert im Normbereich oder erhöht ist, jedoch die Aktivität (zeigt die Funktionalität an) vermindert, mit einer Verminderung an C4, dann liegt ein HAE-Typ II (15 %) vor. Alle 3 Tests müssen zeitgleich durchgeführt werden, dabei gilt es Fehlerquellen wie zu lange Transportwege des Serums (falsch positive Werte) zu meiden.
Bis vor wenigen Jahren war das primäre Therapieziel die Behandlung der akuten Attacken und die Lebensrettung; mittlerweile ist das Ziel, dank neuer Therapien den Betroffenen ein annähernd normales produktives Leben mit hoher Lebensqualität zu ermöglichen.
Es wird zwischen On-Demand-Therapie bei akuten Attacken, präoperativer Prophylaxe, Kurzzeitprophylaxe für einige Monate in schwierigen Lebensphasen wie Matura, Scheidung et cetera sowie Langzeitprophylaxe für mehrere Monate bis Jahre für schwer Betroffene unterschieden. Drei verschiedene intravenöse C1-Esterase-Inhibitoren für akute Attacken sind am österreichischen Markt, zwei aus gepooltem humanem Plasma gewonnen und ein rekombinant hergestellter. Daneben gibt es ein subkutan applizierbares Präparat, Icatibant, ein Bradykinin-R2-Antagonist für akute Attacken. Je früher es bei einer Attacke eingesetzt wird, desto besser und schneller hilft es. Für perioperative Prophylaxe sind die beiden intravenösen C1-Inhibitoren aus gepooltem Plasma zugelassen, wobei einer davon auch eine Zulassung für intravenöse Langzeitprophylaxe hat.
Patienten mit häufigen und schweren Attacken sollten einer Langzeitprophylaxe unterzogen werden. Zu diesem Zweck sind zusätzlich seit März 2019 ein subkutan alle 14 Tage applizierbares Biologikum, Lanadelumab, ein Kallikrein-Antagonist, sowie seit April 2018 ein C1-Esterase-Inhibitor zur subkutanen Prophylaxe aus gepooltem humanem Plasma zugelassen, mit sehr guter Wirksamkeit.
Ein seit 1960 verwendetes Dauerprophylaxe-Präparat ist das Danazol, ein attenuiertes Androgen, das die Bildung von körpereignem C1-INH fördert, hat in der EU keine Zulassung mehr und ist daher bei dieser Indikation nicht mehr anzuwenden. Diese Patienten sollten für eine Umstellung in den Zentren vorgestellt werden.
Ich freue mich auf Ihre Zuweisungen entsprechender Verdachtsfälle oder bekannter Patienten, die eine Umstellung benötigen. Terminvereinbarungen unter HAE-Sprechstunde Wien: Tel. 0664/99 44 34 11 oder per E-Mail