Welche psychosozialen Aspekte sind aus Ihrer Sicht speziell bei älteren Menschen mit Schwerhörigkeit bzw. Hörverlust zu beachten?
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Gstöttner: Der Hörsinn als Grundvoraussetzung für Kommunikation und damit ein gutes soziales Zusammenleben sind im Alter vielleicht sogar noch wichtiger als davor. Es gibt nichts Schlimmeres, als in einer in vielerlei Hinsicht ohnehin vulnerablen Lebensphase mit all den altersassoziierten negativen gesundheitlichen Begleiterscheinungen die anderen dann auch nicht mehr verstehen zu können.
Wenn man sich dann in eine Vermeidungsstrategie zurückzieht, werden geistiger Abbau und demenzielle Entwicklungen gefördert, wie viele Studien zeigen. Ebenso ist wissenschaftlich erwiesen, dass nach Hörrehabilitation eine leichte Demenz wieder verbessert bzw. sogar rückgängig gemacht werden kann.
Bei welchen Patient:innen sehen Sie die Indikation für ein Cochleaimplantat? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein?
Cochleaimplantate werden bei Innenohrschwerhörigkeit eingesetzt. Innenohrschwerhörigkeit ist bei Erwachsenen und Älteren meist eine progrediente Entwicklung mit fortschreitendem Verlust der Haarzellen in der Cochlea, die „Altersschwerhörigkeit“ beginnt zunächst bei den hohen Frequenzen. Wenn das Innenohr zu 50 % nicht mehr funktioniert, genügt noch ein herkömmliches Hörgerät, bei einer Höreinschränkung von 70–80 % braucht es ein Cochleaimplantat, das den gesamten Hörapparat – äußeres, Mittel- und Innenohr – in seiner Funktion ersetzt. Es stimuliert elektrisch direkt den Hörnerv, der vom Innenohr ins Gehirn führt.
Im Gegensatz zu früher ist heute dank der Cochleaimplantate auch bei hochgradig innenohrschwerhörigen Patient:innen eine Verbesserung der Hörfunktion erreichbar. Die Patient:innen müssen fit genug für die Operation sein, und es muss eine gewisse Mindestfunktion der zerebralen Verarbeitungsleistung vorhanden sein – etwa die Wortbedeutung zu verstehen. Man kann die Funktion der zentralen Hörbahn vorher messen, und ist diese intakt, kann das Cochleaimplantat bis ins hohe Lebensalter eingesetzt werden, wir haben auch Patient:innen über 80. Jede:r, der/die mit einem Hörgerät nicht mehr richtig versorgt werden kann, hat ein Anrecht auf diese Operation und muss damit selbst keine Kosten tragen.
Welche Unterschiede bestehen im Leistungsprofil im Vergleich zu einem herkömmlichen Hörgerät?
Die Leistung eines Cochleaimplantats ist faszinierend und bei Kindern besonders beeindruckend, wenn sich bei taub Geborenen aufgrund der neuronalen Plastizität in diesem Alter die Hörleistung mit zwei Cochleaimplantaten wie bei Normalhörenden entwickeln kann – ohne jede Einschränkung im Alltag oder bei der Schulkarriere. Aber auch im Alter kommt es zu einer deutlichen Verbesserung der Hörleistung, wenn normale Hörgeräte, die bei geringer Schwerhörigkeit genügen, nichts mehr bringen.
Wie riskant ist die Operation?
Es gibt kaum Risiken, sie wird ohnehin nur in spezialisierten Kliniken durchgeführt. Bei uns an der Wiener Uniklinik hat es bei ca. 2.000 Operationen noch nie größere Probleme gegeben. Die Ausführenden sind versierte Chirurg:innen mit oft langjähriger einschlägiger Erfahrung, etwa mit Operationen im Mittelohr. Unsere Expertise geben wir in vielen Fortbildungskursen auch international weiter – Wien war ja eines der ersten Cochleaimplantat-Zentren weltweit. Wir haben also Erfahrung über gut 40 Jahre, da ist man in sicheren Händen.
Braucht es eine spezielle Einschulung bzw. ein Hörtraining nach dem Einsetzen des Implantats?
Die sogenannte Hörrehabilitation nach der Implantation ist ein wichtiger Aspekt, sowohl bei Erwachsenen aber auch bei Kindern, die im Grunde das erste Lebensjahr Hörentwicklung aufholen müssen. Bei Erwachsenen ist das Hörtraining – mit logopädischer Unterstützung, aber auch mit Computerprogrammen – durchaus anspruchsvoller als bei normalen Hörgeräten. Eine spezielle Reha, wie wir sie auch bei uns im AKH durchführen, ist da besonders wichtig. Bei Erwachsenen wissen wir, dass innerhalb von ca. 2 Jahren Verbesserungen stattfinden, dann ist das Maximum erreicht. Je intensiver das Training, desto feiner wird auch das Sprachverständnis.
Mit welchen Einschränkungen müssen Implantatträger:innen im Alltag rechnen?
Cochleaimplantate sind derzeit noch teilimplantierbare Systeme, das Mikrofon ist außen angebracht. Die Implantate sind weitgehend wartungsfrei. Probleme können eigentlich nur im Wasser oder in speziellen Situationen wie etwa einem „schweißtreibenden“ Beruf oder beim Tragen eines Helms auftreten. Als elektronisches Gerät kann ein Implantat prinzipiell natürlich auch ausfallen und muss dann unter Umständen durch ein neues ersetzt werden, aber das sind extrem seltene Probleme.
Wir warten sehnsüchtig auf das erste vollimplantierbare System, das noch in diesem Jahr zur Verfügung stehen soll, damit wird man dann auch schwimmen oder tauchen können.
Vielen Dank für das Interview!