Seit einigen Jahren beschäftigt uns HNO-Ärzte und auch die betroffenen Patienten der Zusammenhang zwischen sensorineuraler Hörstörung (Innenohrschwerhörigkeit) und dem Auftreten von Demenz. Die ersten Beobachtungen wurden nicht von HNO-Seite, sondern von Neurologen gemacht, auch waren die ersten Studien zu diesem Konnex aus neurologischen Gesichtspunkten initiiert. Nach den ersten positiven Ergebnissen wurden auch wir HNO-Ärzte hinzugezogen.
Heute sprechen wir von einem menschlichen Konnektom des Hörens, das einen gesetzmäßigen biologischen Ablauf hat. Dazu gehören der auditorische Kortex, die Synapsen, die für das Hören zuständig sind, Aufmerksamkeitsneurone, Sprachzentren, Erinnerung, Musik et cetera; für gutes Hören müssen all diese Zellen peripher und zentral perfekt zusammenarbeiten. Vom Hirnforscher Andrej Kral wurden 2016 diese neurokognitiven Faktoren sensorischer Taubheit beschrieben.1
Bereits 2011 wurde vom Neurologen Lin der Zusammenhang von Demenz und Hörverlust gezeigt.2 So besteht bei geringem Hörverlust ein doppeltes Risiko, bei mittelgradigem Hörverlust ein dreifaches Risiko und bei starkem Hörverlust ein 5-faches Risiko, an Demenz zu erkranken.
Laut der Lancet Commission on Dementia aus dem Jahr 2017 lassen sich allein durch Optimierung des Hörens über 9 % aller Demenzfälle verhindern.
Nach den Ergebnissen von He tragen lediglich 6,5 % der Patienten mit Bedarf für ein Hörgerät dieses auch.3 Damit sind 93,5 % der versorgungspflichtigen Hörstörungen unversorgt, wie in einer Folgestudie bestätigt wurde.4 Laut WHO haben derzeit etwa 1,34 Milliarden Menschen eine versorgungspflichtige Hörstörung, weitere 500 Millionen Menschen sind Kandidaten für ein Cochlea-Implantat (CI).
Was können wir als Mediziner tun, um das Hören unserer Mitmenschen zu verbessern und gleichzeitig einer Demenz vorzubeugen? Es geht darum, unsere eigenen Sinne der Beobachtung zu schärfen. „Taubheit“ im Sinne der Behinderung und als Co-Faktor für Demenz definiert sich nicht allein durch peripheren Hörverlust (siehe Konnektom). Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Fächern HNO und Neurologie ist daher notwendig. Hörstörungen sind eine zentrale Herausforderung in der Gesundheit einer Gesellschaft. Die Hörstörung hat unmittelbare Auswirkung auf neurokognitive und andere neurologische Parameter: „Hörtraining ist Gehirntraining – Hörversorgung ist Hirnversorgung.“
Daher ist die Versorgung der Patienten mit entsprechenden Hörgeräten wichtig. Die adäquate Einstellung muss laufend – zumindest einmal jährlich – auch fachgerecht kontrolliert werden. Bei höhergradigen oder speziellen Hörstörungen sind implantierbare Hörgeräte oder Cochlea-Implantate (CI) anzudenken.
Die Cochlea-Implantationen können auch noch im 8. Lebensjahrzehnt vorgenommen werden. Solange die Patienten fit genug für den 90-minütigen Eingriff sind, ist die OP möglich. Aktuell laufen gerade Studien, welche die Auswirkungen des verbesserten Hörvermögens bei älteren CI-Trägern auf sämtliche kognitive Hirnprozesse zeigen sollen. Die Komplexität und die zentrale Wirkung des Hörprozesses per se auf unsere gesamte Neurophysiologie wurde bisher offensichtlich unterschätzt. Diese wurde nun durch den evidenten Zusammenhang von Demenz und Schwerhörigkeit sichtbar.
Wissenswertes für die Praxis
Literatur:
1Kral A, The Lancet 2016
2Lin FR, Arch Neurol 2011
3He P, AJPH 2018
4He P, PLoS ONE 2018