Die extrem hohen LDL-Cholesterinspiegel führen zu Xanthomen, Xanthelasmen und Arcus lipoides, was im Kindesalter auf eine homozygote familiäre Hypercholesterinämie hinweisend ist. Aortenstenose und Aorteninsuffizienz sowie Herzmuskelischämie sind klassische frühzeitige kardiovaskuläre Symptome, verursacht durch arteriosklerotische Veränderungen und Verkalkungen in der Aorta ascendens, der Aortenklappe und den Koronarien.Bei der hoFH liegen auf 2 elterlichen Allelen Gendefekte vor, klassischerweise am LDL-Rezeptor, können aber auch das Apolipoprotein B oder das Enzym Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) betreffen.
Aufgrund der hohen LDL-Cholesterinkonzentrationen und des extrem erhöhten Risikos für frühzeitige kardiovaskuläre Veränderungen muss eine Senkung von LDL-Cholesterin (LDL-C) von Beginn an das Ziel sein. Eine effektive Therapie ist bei hoFH im frühen Kindesalter aber herausfordernd, da die klassischen lipidsenkenden Medikamente, wie Statine oder Ezetimib, praktisch kaum wirken, insbesondere wenn keine Restfunktion des LDL-Rezeptors (= Nullfunktion) gegeben ist. Basis für jede familiäre Hypercholesterinämie ist eine strenge fettreduzierte Diät, die auch bei der schweren Form erforderlich ist, aber insgesamt wenig zur Senkung von LDL-C bei der hoFH beiträgt. Dennoch ist die Einhaltung der Diät Voraussetzung für eine Reduktion der externen Aufnahme von Cholesterin und damit essenziell für die im Darm lipidsenkend wirkenden Medikamente (Ezetimib, Gallensäure-Sequestranten und Lomitapid), die eine Fettaufnahme verhindern.
Als bisher einzige erfolgreiche Therapie stand die Lipidapherese (LA) zur Verfügung, mit der die Blutfette bis zu 80 % gesenkt werden können. Bei den schweren Formen der hoFH erfolgt die LA zwischen 2-mal wöchentlich bis 2-mal alle 2 Wochen. Nachteilig bei der LA ist, dass zwar die Absenkung von LDL-C extrem effektiv ist, LDL-C aber im Intervall zügig ansteigt und vor der nächsten LA wieder deutlich im pathologischen Bereich liegt. Aufgrund dieser Schwankungen wird der Mittelwert angegeben, der für die meisten Patient:innen einen pathologisch erhöhten Wert darstellt. Hierzu siehe die Tabelle zu 4 Kindern im Schulalter mit Darstellung der Ausgangswerte und unter erfolgreicher LA, die Lipidwerte vor und nach der Apherese.
Nach den aktuellen Guidelines sollte mit der LA ab einem Alter von 2 Jahren gestartet werden, um LDL-C erfolgreich zu senken und die Lebenserwartung zu verlängern. Dies ist bei kleinen Kindern herausfordernd, da die LA als invasive Methode einen ausreichenden venösen Zugang braucht, was aber bei der Venengröße im Kleinkindesalter keine peripher venöse Punktion erlaubt. Somit bedarf es entweder eines permanenten zentralvenösen Zugangs (CVC) oder eines arteriovenösen Shunts (AVS) am Unterarm. Die damit einhergehenden Komplikationen/Einschränkungen umfassen perioperative Probleme, Katheter-Infektionen oder Sepsis, Dislokation, Materialdefekte u. Ä. sowie CVC- bzw. AVS-Fehlfunktionen (chirurgisch, entstellend, Stenosen, AV-Fistel), hinzu kommen Sporteinschränkungen und Schwimmverbote. Bei regelmäßigen venösen Punktionen sind vor allem die psychische Belastung und die Angst große Probleme, d. h. Angst vor den Nadeln blockiert oft eine effektive Durchführung der LA. Aus diesem Grund wird mit der LA oftmals nicht vor 6 Jahren gestartet, was als Konsequenz bereits zu einer extrem hohen kumulativen LDL-Cholesterinkonzentration und einem damit verbundenen extrem gesteigerten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen führt. Dies gilt es zu vermeiden!
In den letzten Jahren sind neue Medikamente auf den Markt gekommen, die sich bisher selbst bei den schweren Formen der hoFH als äußerst erfolgreich gezeigt haben. Bei erwachsenen Patient:innen mit hoFH konnte mit Lomitapid ein Inhibitor des mikrosomalen Triglyzerid-Transfer-Proteins eingeführt werden, und seit kurzem ist das ab 12 Jahren zugelassene Evinacumab verfügbar. Evinacumab ist ein monoklonaler Antikörper zur Hemmung von ANGPTL3, das zur Familie der Angiopoietin-ähnlichen Proteine gehört. Beide Medikamente zeigen eine erfolgreiche lipidsenkende Wirkung, die unabhängig von der Funktion des LDL-Rezeptors wirkt. Aktuell laufen zu beiden Medikamenten weltweite Studien an Kindern von 5 bis 12 bzw. 18 Jahren mit hoFH, die Anfang 2023 abgeschlossen sein werden. Damit stehen erstmals zwei effektive Medikamente für die hoFH zur Verfügung, die eine wirkungsvolle und dauerhafte Absenkung von LDL-C in den Normalbereich ermöglichen.
Praxismemo