Welche Arten der Schilddrüsenunterfunktion sind bekannt?
Prof. Dr. Harald Schneider: Die häufigste Ursache der Schilddrüsenunterfunktion ist die Hashimoto-Thyreoiditis, auch Autoimmunthyreoiditis genannt. Wenn das thyreoideastimulierende Hormon (TSH) erhöht und die Schilddrüsenhormone, wie z. B. das freie Thyroxin (T4), reduziert sind, bezeichnen wir das als manifeste Hypothyreose. Die subklinische bzw. latente Hypothyreose ist mit erhöhtem TSH, aber freien Schilddrüsenhormonen im normalen Bereich assoziiert.
Wie ist therapeutisch vorzugehen?
Eine Autoimmunthyreoiditis ist durch eine Inflammation des Gewebes mit Antikörperbildung gekennzeichnet. Dies führt auf lange Sicht zu einer Hypothyreose. Diese erfordert nach erfolgter Diagnosestellung eine lebenslange Substitution mit L-Thyroxin. Beim körpereigenen Thyroxin handelt es sich um das Depothormon mit langer Halbwertszeit, das neben dem Trijodthyronin (T3) als wichtigstes Schilddrüsenhormon gilt.
Warum wird nur L-Thyroxin zugeführt?
Trijodthyronin ist zwar kürzer wirksam, aber stärker aktiv. Unser Körper wandelt es dem eigenen Bedarf entsprechend aus dem Depothormon Thyroxin um. Nach erfolgter Operation einer Jodmangelstruma beispielsweise muss man L-Thyroxin und Jod kombinieren, um einen erneuten Jodmangel und somit eine Störung der Schilddrüse zu verhindern. Eine Hashimoto-Thyreoiditis ist nicht mit einem Jodmangel assoziiert, weshalb eine Substitutionstherapie mit Jod nicht erforderlich ist.
Sollte eine Hypothyreose grundsätzlich therapiert werden?
Eine manifeste Hypothyreose, die aus einer Hashimoto-Thyreoiditis resultieren bzw. mit dieser einhergehen kann, stellt eine klare Therapieindikation dar. Da das L-Thyroxin ja mit dem Hormon, das wir selbst produzieren, identisch ist, hängen die Nebenwirkungen nur von der Dosierung ab: Eine Unterdosierung macht sich mit Symptomen einer Unterfunktion und eine Überdosierung mit Zeichen der Schilddrüsenüberfunktion bemerkbar. Da die Schilddrüse nicht nur Thyroxin produziert, stellt die Therapie mit dem zugeführten Wirkstoff lediglich eine Annäherung an die körpereigene Hormonproduktion dar, aber die meisten Patienten sind sehr zufrieden. Es gilt, individuell zu therapieren und den für Betroffene optimalen Bereich zu finden.
Das heißt, die Dosis ist entscheidend?
Richtig. Ist die Diagnose eindeutig, kann eine zu geringe Dosierung des L-Thyroxins Symptome einer Unterfunktion hervorrufen, während eine Überdosierung Symptome einer Überfunktion zur Folge hätte. Wir arbeiten nicht nur mit einem relativ großen Normbereich, sondern müssen die Therapie auch an die Patienten anpassen.
Was raten Sie Patienten, die Erkrankungen der Schilddrüse alternativmedizinisch behandeln möchten?
Eine echte Unterfunktion setzt eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen voraus, das lässt sich nicht umgehen. L-Thyroxin wird zwar künstlich hergestellt, ist dem natürlichen Thyroxin aber sehr ähnlich. Manche Patienten sind der Ansicht, dass Extrakte aus Schweine- oder Rinderschilddrüsen natürlicher sind und dass sie damit eine echte Alternative gefunden haben. In Wahrheit unterscheiden sich tierische Schilddrüsenhormone aber von jenen des Menschen erheblich, was diese Therapieform unnatürlicher als die herkömmliche macht.
Welche Folgen hätte eine nicht oder falsch behandelte Schilddrüsenunterfunktion für die Patienten?
Eine manifeste Hypothyreose äußert sich häufig durch Müdigkeit, ausbleibende Menstruation, trockene Haut, Obstipation, Lethargie und Kälteintoleranz. Haarausfall und brüchige Nägel können ebenso auftreten. Bleibt sie dauerhaft unbehandelt, kann dies kognitive Beschwerden bis hin zur Demenz zur Folge haben. Die latente Hypothyreose muss nicht zwangsläufig mit Symptomen assoziiert sein.
Sollte eine subklinische bzw. latente Hypothyreose behandelt werden?
Wird sie erstmalig festgestellt und befindet sich das T4 im Normbereich, ist, falls keine Beschwerden bestehen, zunächst nur eine Verlaufskontrolle nach einigen Monaten indiziert, eine Therapie aber nicht erforderlich. Ist der TSH-Wert weiter erhöht, ist eine Therapieeinleitung von Faktoren wie Höhe des Werts und Begleitsymptomen abhängig.
Gibt es begleitende Therapiemaßnahmen, die unterstützend wirken können?
Zum einen wird das Spurenelement Selen seit Jahren kontrovers diskutiert. Man weiß, dass Selen bei einer vorliegenden Hashimoto-Thyreoiditis tatsächlich die Antikörper senken kann. Die Annahme lautet, dass es auf das überaktive Immunsystem eindämmend wirkt, weshalb es im Einzelfall zusätzlich zur L-Thyroxin-Gabe empfohlen werden kann. Unklar ist, ob es Beschwerden verbessert, aber es gibt Hinweise darauf. Des Weiteren wird diskutiert, ob es eine Verschlechterung der Schilddrüsenunterfunktion verhindern kann.
Bezieht sich diese Annahme nur auf die Hypothyreose?
Selen wirkt sich auf bestimmte Autoimmunerkrankungen nachweislich positiv aus. Bei Morbus Basedow, assoziiert mit einer Schilddrüsenüberfunktion sowie einer Verdickung des Gewebes hinter den Augen, wodurch die Augen stark hervortreten, wird es standardmäßig verabreicht. Es verbessert nämlich die Augensymptomatik.
Was könnte außerdem eine Therapieoption darstellen?
Es wird zurzeit viel geforscht. So wird z. B. die Gabe von Myo-Inositol, ein Glukose-Isomer und sogenannter Second Messenger, in neuen Studien diskutiert. Es kann Hormone wie das TSH an die Zellmembran binden und wirkt im Zellinneren. Allerdings ist es noch zu früh, um zu beurteilen, ob dies in den klinischen Alltag Einzug halten wird. Eine manifeste Hypothyreose bedingt immer die Gabe von Schilddrüsenhormonen, weshalb alles andere ausschließlich als Ergänzung fungieren sollte.
Vielen Dank für das Gespräch!