In der klinischen Praxis und in der Apotheke wird sehr häufig die Frage nach potenziellen „Immunstärkern“ gestellt. Wer möglichst grippe- und erkältungsfrei durch den Winter will, dem sei zu folgenden Allgemeinmaßnahmen geraten: In der kalten Jahreszeit begünstigt beispielsweise die hohe Lufttrockenheit, die durch den Heizungsbetrieb entsteht, Infekte der oberen Atemwege. Luftbefeuchter und/oder regelmäßiges Lüften können dem entgegenwirken. Die Reduktion oder das Einstellen des Rauchens, als Infektionstreiber, ist ganzjährig eine sinnvolle Maßnahme, besonders aber im Winter.
Die allerwichtigste Präventionsmaßnahme für Infekte ist die regelmäßige Händehygiene, die wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren wieder gut eingelernt haben. Meistens reicht ein einfacher Waschvorgang mit Seife aus – der Einsatz von Desinfektionsmitteln sollte nicht überstrapaziert werden.
Einen sehr positiven Einfluss auf das Immunsystem hat regelmäßige Bewegung. Hierdurch kann die Infektionsanfälligkeit um bis zu 50 % verringert werden. Die körperliche Betätigung sollte dabei immer in einem vernünftigen Ausmaß ausgeübt werden. Man geht derzeit davon aus, dass ein dreimal wöchentliches Spazierengehen zu jeweils 30–45 Minuten das Immunsystem ausreichend stärkt.
Auch das Körpergewicht spielt eine wichtige Rolle bei der Infektanfälligkeit. Aus der Literatur ist bekannt, dass Infektionen bei sehr niedrigem, aber auch bei hohem Körpergewicht gehäuft auftreten. Ein BMI zwischen 16 und 30 gilt hier als optimal für ein starkes Immunsystem. Vitaminmangel tritt in Österreich aufgrund der guten Lebensmittelversorgung selten auf. Nichtsdestotrotz ist es sinnvoll, insbesondere im Winter häufiger zu Obst und Gemüse zu greifen und auch den Speiseplan entsprechend zu variieren. Eine Vitamin-D-Substitution kann in der kalten Jahreszeit vor allem für Menschen, die wenig Zeit im direkten Sonnenlicht verbringen, sinnvoll sein. Beispiele sind hier Pflegebedürftige oder auch Menschen, die sich den Großteil ihres Tages bei der Arbeit in Innenräumen aufhalten. Die Vitamin-D-Substitution sollte grundsätzlich erst nach ärztlicher Konsultation und ggf. Spiegelbestimmung durchgeführt werden. Für eine Substitution von Vitaminen – auch in der kalten Jahreszeit – als Infektionsschutz besteht bei den meisten Menschen kein Anlass, zumal eine übermäßige Vitaminzufuhr auch negative Effekte wie die Förderung von Tumorwachstum haben kann.
Verschiedenste genetische Faktoren haben Einfluss darauf, wie kompetent das Immunsystem auf verschiedenste Erreger reagiert und sie eliminiert. Das Geschlecht spielt hier, vermutlich aufgrund der unterschiedlichen Hormonsituation, eine wichtige Rolle. Beispielsweise wurde im Verlauf der COVID-Pandemie erkenntlich, dass Frauen von schweren Infektionen wie etwa einem lebensbedrohlichen COVID-19-Verlauf oder einer Sepsis seltener betroffen sind.
In den vergangenen Jahren ist auch zunehmend die Bedeutung des Mikrobioms in den Fokus der Immunforschung gerückt. Es produziert Kohlenhydrate, die in den Stoffwechsel von Immunzellen eingreifen und sich positiv auf deren Entwicklung auswirken. Je höher die Diversität des Mikrobioms ist, desto besser ist der allgemeine Schutz vor Infektionen.
„Alle Maßnahmen, die die Atemluft zusätzlich anfeuchten, ermöglichen einen erleichterten Partikeltransport nach außen und beugen so Infektionen vor.“
Univ.-Prof. Dr. Günter Weiss
Universitätsklinik für Innere Medizin Medizinische Universität Innsbruck
In der kalten Jahreszeit werden rezeptfreie Wirkstoffe zur Immunstärkung von der Bevölkerung stark nachgefragt. Die Informationen zu deren positiven Wirkungen basieren häufig auf Fall-Beobachtungen, Daten aus großen klinischen Studien liegen zumeist nicht vor.
Eisen spielt eine zentrale Rolle für die Entwicklung des Immunsystems sowie für die Aktivität von Immunzellen. Sowohl ein Eisenüberschuss als auch ein Eisenmangel können sich negativ auf das Immunsystem auswirken, weshalb bei der Substitution darauf zu achten ist, dass kein Eisenüberschuss entsteht. Zu viel Eisen blockiert Immunbotenstoffe und führt zur Bildung von Radikalen. Ein Eisenüberangebot bildet zudem eine optimale Wachstums- und Nahrungsquelle für Mikroben. Vor einer Eisensubstitution sollte daher ein Mangel immer abgeklärt werden. Von einer unregelmäßigen Einnahme ist hingegen abzuraten.
Das Immunsystem ist im Rahmen von Autoimmunerkrankungen fehlgeleitet, was zu Erkrankungen wie systemischer Lupus erythematodes, rheumatoider Arthritis oder Autoinflammationssyndrome führen kann. Eine medikamentöse Therapie dieser Erkrankungen versucht, diese überschießende Reaktion der Immunantwort zu unterdrücken und damit die zugrundeliegende Autoimmunerkrankung zu verbessern. Der Preis dafür ist eine schlechtere Abwehr gegenüber Mikroben und somit eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Infektionen, die dann auch schwerer verlaufen können. Ähnliches kann auch als Nebenwirkung wie bei der Therapie von bösartigen Tumoren durch Chemotherapeutika oder Strahlentherapien passieren, da davon auch die Vermehrung und Wirksamkeit von Immunzellen betroffen ist.
Menschen mit pulmologischen Erkrankungen haben grundsätzlich ein erhöhtes Risiko für respiratorische Infekte. Je schlechter beispielsweise eine Allergie eingestellt ist, desto einfacher wird es für eindringende Erreger, eine Infektion auszulösen. Auch eine verminderte Lungendurchlüftung, beispielsweise bei Vorliegen einer COPD, führt zu einer erhöhten Infektionsneigung. Grundsätzlich gilt: Alle Maßnahmen, welche die Atemluft zusätzlich anfeuchten, ermöglichen einen erleichterten Partikeltransport nach außen und beugen so Infektionen vor. Chronische Lungenerkrankungen, welche die Funktion der Flimmerhärchen in der Lunge beeinträchtigen oder zu einer verminderten Lungendurchblutung führen, sind weitere Faktoren, die zu einer erhöhten Infektanfälligkeit beitragen. Dasselbe gilt für chronische Herzerkrankungen mit einem Rückstau von Blut in den Lungenkreislauf oder Nierenerkrankungen, bei denen Immunglobuline verloren gehen oder die Aktivität von Immunzellen eingeschränkt ist.
Bei sämtlichen Erkrankungen, die mit einer geschwächten Immunantwort einhergehen, ist ein optimaler und breiter Impfschutz wichtig. Über immunstärkende Maßnahmen sowie protektive Lifestyle-Veränderungen sollten insbesondere jene Personen aufgeklärt werden, die an einem primären oder sekundären Immundefekt leiden.
Aktuelle Ansätze in der Immunforschung umfassen beispielsweise eine Optimierung und Regulierung des bereits angesprochenen Darmmikrobioms durch Ernährungsmaßnahmen. In diesem Zusammenhang wären in Zukunft einfache Optionen zur Stärkung der Immunabwehr etwa durch Zufuhr von Nahrungsergänzungsmitteln wünschenswert.
Darüber hinaus besteht in der immunlogischen Forschung auch ein starkes Bestreben, Infektionen noch besser verstehen zu lernen. Welche Stoffwechselaktivitäten des Erregers spielen eine zentrale Rolle bei deren Vermehrung, und wie können diese durch uns beeinflusst werden? Die Antwort auf diese und ähnliche Fragen könnte in Zukunft sowohl zu einer Verbesserung von bestehenden Impfstoffen als auch zur erfolgreichen Entwicklung von neuen Vakzinen gegen Krankheiten führen, gegen die bislang kein Impfschutz zur Verfügung steht (wie etwa Malaria). Ein besseres Verständnis der immunologischen Vorgänge bei Infektionen ist der zentrale Schlüssel für die Entwicklung neuer Therapien und einer verbesserten Behandlung von Infektionskrankheiten.