Impfskepsis: „Argumente mit Emotionen verknüpfen“

Ärzte Krone: Was kann man bei Impfgegnern und impfkritischen Personen durch Aufklärung erreichen?

Ursula Kunze: Wichtig ist zu wissen, dass echte Impfgegner andere Motivationen haben als impfkritische oder impfskeptische Personen. Impfgegner sind eine kleine Gruppe, wahrscheinlich im einstelligen Prozentbereich, die sehr viel Lärm machen und gut vernetzt sind. Sie arbeiten mit Verschwörungstheorien und Ängsten, sind wissenschaftsfeindlich und argumentieren sehr oft irrational. Das geht bis hin zur Verleugnung der Existenz von Bakterien und Viren. Merkt man, dass man so jemanden vor sich hat, rate ich den AllgemeinmedizinerInnen, keine Überzeugungsversuche zu starten – das wäre verlorene Zeit. Impfskeptiker hingegen sind in der Regel für rationale Argumente empfänglich.

Für welche Argumente sind diese Menschen empfänglich?

Meist sind diese Menschen aufgrund widersprüchlicher Berichte aus Internet und Medien verunsichert. Eltern wollen das Beste für ihr Kind, können Qualität und Kontext der Informationen jedoch nicht immer richtig einschätzen. Die Websites der Impfgegner sind häufig ganz oben in der Liste der Suchergebnisse. Auch für gebildete Personen lässt sich auf den ersten Blick nicht immer erkennen, ob es sich um eine seriöse Information handelt oder nicht. Die Angst, dem Kind zu schaden, bleibt, und das ist mit rationalen Fakten nur schwer wettzumachen. Impfkritische Personen wollen häufig nur ganz bestimmte Impfungen oder diese auf später verschieben. Sie hinterfragen deren Notwendigkeit, und ein weiteres ganz großes Thema sind die Nebenwirkungen. Es ist grundsätzlich gut, dass die Menschen medizinische Maßnahmen hinterfragen, beim Impfen schießen sie leider oft über das Ziel hinaus und treffen Entscheidungen auf einer Wissensbasis, die nicht ausreichend ist.

Wie können Ärzte verunsicherte, impfskeptische Personen abholen?

Impfskeptiker sind eine heterogene Gruppe, daher gibt es auch kein Patentrezept, wie man effektiv informieren und überzeugen kann. Aber gerade HausärztInnen, die ihre PatientInnen im Idealfall kennen, können die jeweils passende Sprache wählen. Das ist ja gerade die große Kunst der AllgemeinmedizinerInnen, mit unterschiedlichen Menschen reden zu können. Es ist wichtig, zu wissen: Aus welcher Familie kommt die Person? Welchen Bildungsstand hat sie? Was ist die Motivation beziehungsweise die Ursache für die Impfskepsis? Was weiß die Person über die Impfung, und woher bezieht sie die Informationen? Hier ist oft die Meinung in der Familie und im Freundeskreis ausschlaggebend – vor allem jene der Frauen. Mit diesem Hintergrundwissen wird es einfacher, die richtigen Argumente zu finden. Gute Quellen zur Beantwortung impfkritischer Fragen und zur Adressierung von Impfmythen sind unter anderem die Websites des Robert-Koch-Institutes und des Paul-Ehrlich-Institutes Deutschland. Wer das möchte, hat mit wenigen Klicks Zugriff auf kurze und gut formulierte wissenschaftliche Informationen, die bei der Aufklärung der verunsicherten Impflinge und Eltern helfen. (siehe Kasten) Auch das Gegenüberstellen von Verlauf und möglichen Komplikationen der Erkrankung im Vergleich zu eventuellen unerwünschten Wirkungen einer Impfung ist eine gute Möglichkeit, die Angst vor impfassoziierten Reaktionen („Nebenwirkungen“) zu relativieren. Impfnachmittage, die in einigen Praxen durchgeführt werden, sind eine gute Möglichkeit, sich nur diesem Thema mit etwas mehr Zeit zu widmen. Wichtig ist in jedem Fall, ehrlich zu sein und Wirkung und Nebenwirkung in Relation zu setzen.

Gibt es noch andere Aspekte, die für die Überzeugungsarbeit wichtig sind?

Die Literatur zeigt ganz klar, dass eine Impfempfehlung von einer vertrauten Person des Gesundheitspersonals am besten wirkt.1, 2, 3 Schon allein durch die Vorbildwirkung kann viel erreicht werden. Ich glaube, dass manchen KollegInnen gar nicht bewusst ist, wie stark sie als Vorbild für ihre PatientInnen fungieren, indem sie sich selbst impfen lassen. Wir haben in Österreich leider generell schlechte Durchimpfungsraten bei Erwachsenen, aber auch beim Gesundheitspersonal. Ganz besonders schlimm ist es bei der Influenza-Impfung. Wenn ÄrztInnen ihren PatientInnen sagen können: „Es kommt wieder die Influenzazeit. Ich bin schon geimpft, meine Kinder sind geimpft, die gesamte Ordination ist geimpft, machen Sie es doch auch“, haben sie schon fast gewonnen. Ähnliches gilt für Apothekerinnen und Apotheker, die insbesondere für die Erwachsenenimpfung eine wichtige Erinnerungsfunktion übernehmen. Impfkritiker arbeiten viel mit Emotion, und das sollten wir auch versuchen – nämlich, indem wir die positiven Seiten einer Impfung mit Emotionen verknüpfen. Natürlich muss sich das Gesundheitspersonal immer an den aktuellen Stand des Wissens halten. Ein Video eines Kindes mit einem Keuchhustenanfall kann beispielsweise einen bleibenden Eindruck der möglichen Folgen dieser impfpräventablen Erkrankung vermitteln. Fraglich ist, inwieweit sich so etwas in der Praxis umsetzen lässt. In den USA zum Beispiel teilen Betroffene von Krankheiten, die durch Impfungen vermieden werden können, ihre persönliche Geschichte im Internet auf www.shotbyshot.org und rufen damit die Wichtigkeit der Prävention in Erinnerung.

Was sind die Gründe für die zunehmende Impfskepsis?

Impfungen sind sozusagen ihr eigener Feind, da sie zum Rückgang vieler Infektionskrankheiten geführt haben, die wir somit heute gar nicht mehr oder kaum noch sehen. In den 1950er-Jahren haben viele Menschen beispielsweise noch Personen gekannt, die an Poliomyelitis erkrankt waren, und auch die Komplikationen wie bleibende Lähmungen gesehen. Das gibt es heute bei uns glücklicherweise nicht mehr, allerdings rücken andere Themen wie zum Beispiel Nebenwirkungen stärker in den Vordergrund. Impfen ist eine Präventionsmaßnahme, deren Wirkung man nicht bewusst wahrnimmt; das Ereignis tritt nicht ein. Behandelt man hingegen eine bestehende Erkrankung erfolgreich, wird diese Maßnahme viel positiver wahrgenommen. Daher ist es wichtig, immer wieder zu transportieren, dass Impfen die erfolgreichste Public-Health-Maßnahme aller Zeiten ist und eigentlich alle feiern sollten, wenn sie impfen waren. Meiner Meinung nach tun wir im Gesundheitswesen viel zu wenig, um die Menschen diesbezüglich aufzuklären. Wir haben zwar das Kinderimpfkonzept, das eine ganz tolle Errungenschaft ist, jedoch wird das viel zu wenig transportiert. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Staat die Kosten für so viele Impfungen bis zum 15. Lebensjahr übernimmt, daher ist es besonders wichtig, auch davon Gebrauch zu machen. Hier braucht es starke Aussagen und die Unterstützung der Politik.

Wie sieht es mit der sozialen Verantwortung aus?

Den einen oder anderen kann man vielleicht auch mit dem Argument des Herdenschutzes erreichen. Personen, die sich nicht oder nur unzureichend impfen lassen, sind Trittbettfahrer und profitieren von den Geimpften, die sie indirekt vor Erkrankungen schützen, die von Mensch zu Mensch übertragen werden. Das gilt derzeit ganz besonders für die Masern, für die der Mensch das einzig relevante Erregerreservoir ist. Ganz aktuell beobachten wir wieder als Folge der niedrigen Impfraten einen drastischen Anstieg von Masern-Infektionen in vielen europäischen Ländern. Nach meiner Erfahrung sind sich viele Menschen nicht bewusst, dass Impfen auch ein sozialer Akt ist. Wir schützen dadurch nicht nur uns selbst, sondern auch jene, die wir nicht impfen können, weil sie zum Beispiel noch zu jung sind.

 

 

Literatur:

1 Davis TC et al., Pediatrics 2001; 107:e17

2 Bonanni P et al., Vaccine 2002; 20:2–4

3 Gellin B et al., Pediatrics 2002; 206:1097–1102