Die „Pille“ hat zweifellos eine gesellschaftliche Revolution ausgelöst, die im Laufe der letzten 60 Jahre zu einer Neupositionierung der Frau in der Arbeitswelt und der Familie führte.
Die Emanzipation der Frau, die Fähigkeit, ihre Sexualität und ihre Fortpflanzung selbst in die Hand nehmen zu können, aber auch die größeren Freiheiten auf beruflicher Ebene verdankt man zu einem großen Teil dieser sicheren Form der Empfängnisverhütung.
Mit der Kenntnis der differenzierten Verordnung hormoneller Kontrazeptiva wird auf dem Gebiet der Empfängnisverhütung auch das möglich, was man in der Hormonersatztherapie bereits seit Jahren erfolgreich praktiziert: nämlich die individuelle, der jeweiligen Frau entsprechend angepasste „Pillen“-Verschreibung. Es ist der medizinischen Forschung in den letzten Jahrzehnten gelungen, die Hormonkonzentration der „Pille“ immer mehr zu reduzieren und neue Gestagenkomponenten zu entwickeln. Nicht nur dass ein natürliches Östrogen, das schon lange als Hormonersatztherapie in den Wechseljahren zur Anwendung kommt (Estradiolvalerat), nun auch seit längerer Zeit in einem Pillenpräparat erhalten ist, es wurde auch ein weiteres natürliches Östrogen (Estetrol) in Kombination mit Drospirenon als hormonelle Kontrazeption zugelassen (Tab. 1).
Weiters erweiterte sich die Palette an kombinierbaren Gestagenen (Tab. 1 und Tab. 2).
Bei einer „Pillen“-Neueinstellung ist in erster Linie eine sehr genaue Anamnese zu erheben. Diese beinhaltet das Alter bei der Menarche, das Zyklusverhalten in den vergangenen Jahren und die Frage, ob möglicherweise endokrinologische Problemkonstellationen vorliegen. Daraus resultierend wird ein „passendes“ Präparat verordnet. Grundsätzlich sollte mit einem möglichst niedrigen Gesamtsteroidanteil begonnen werden. Wie der Name es schon sagt, erfüllen Ovulationshemmer nur dort ihre uneingeschränkte Wirksamkeit, wo auch tatsächlich eine Ovulation vorliegt, die in weiterer Folge einer Hemmung bedarf. Bei sehr jungen Mädchen, bei denen „nur“ eine pubertäre Hyperandrogenämie ohne Ovulation besteht, sollte man zurückhaltend mit dem Einsatz einer „Pille“ sein. Bei suffizienter Unterdrückung der Androgene und damit deutlicher Verbesserung der klinischen Problematik kommt es oftmals zu einer ungenügenden Östrogenisierung von Ovarien, Tuben und Uterus und damit zu einer Pseudohypertrophie dieser Organe. Das klinische Korrelat wird dann als „Post-Pillen-Amenorrhö“ bezeichnet.
In den vergangenen Jahren sind einzelne Thrombosefälle, die unter der „Pille“ aufgetreten sind, so intensiv in den Medien diskutiert worden, dass der Eindruck entstanden ist, dass jede Frau, welche die „Pille“ nimmt, thrombosegefährdet wäre. Dabei weist eine Schwangerschaft ein deutlich höheres Thromboserisiko auf als die Einnahme oraler Kontrazeptiva: In 60 von 100.000 Schwangerschaften tritt eine Thrombose auf. Dagegen tritt – je nach Präparat – bei 20 bis 40 Frauen pro 100.000 Frauen, welche die „Pille“ nehmen, eine Thrombose auf. Frauen mit verschiedenen Risikofaktoren, vor allem aber Raucherinnen, sollte die „Pille“ nur im Ausnahmefall und nach entsprechender Aufklärung verordnet werden. Berichtet die betroffene Frau bei der Erhebung der Anamnese, dass sie bereits in jungen Jahren an einer Thrombose litt oder ein Elternteil vor dem 30. Lebensjahr ebenfalls eine Thrombose hatte, so gilt dies als sicherer Hinweis dafür, dass die Frau thrombosegefährdet ist und auf eine andere Art verhüten sollte. Die APC-Resistenz-Bestimmung ist eine zusätzliche Information, die den Ärzt:innen nebst der Anamnese eine Entscheidungshilfe sein kann, ob die „Pille“ verschrieben werden soll oder nicht.
Es muss unterstrichen werden, dass es nicht allein die „Pille“ ist, die Probleme, Nebenwirkungen und Interaktionen verursacht, sondern in erster Linie die individuelle Verträglichkeit gepaart mit Risikofaktoren nach unsachgemäßer und sorgloser Verschreibung sowie Verabreichung!
Die Risikofaktoren Rauchen, Alkohol, Übergewicht sowie ein junges Einstiegsalter in Kombination mit hormonellen Ovulationshemmern können eine kritische Konstellation darstellen und gefährden letztendlich die Gesundheit der Anwenderin.
Antriebslosigkeit, Reizbarkeit, Depression und Nervosität werden gehäuft bei „Pillen“-Einnehmerinnen beobachtet. In vielen Fällen hilft die Verordnung einer anderen „Pille“.
Bei einigen Frauen, welche die „Pille“ einnehmen, kann es zu einer Veränderung der sexuellen Empfindungen kommen. Bei länger andauernden Beschwerden kann ein Produktwechsel überlegt werden. Aber Achtung: Nicht jeder Libidoverlust hat hormonelle Ursachen!
Auch die Haut steht markant unter dem Einfluss der Hormone. Aus diesem Grund wird oft schon sehr jungen Mädchen, die womöglich noch nicht die erste Regelblutung hatten, gegen Pubertätsakne die „Pille“ verordnet. In diesem Fall sollte man allerdings besondere Zurückhaltung in der Verschreibung walten lassen. Die „Pille“ wirkt zwar effektiv gegen die Akne, allerdings stört die Hormongabe den sich in der Pubertät befindenden Organismus.
Obwohl der Zusammenhang zwischen „Pille“ und Brustkrebs nicht als erwiesen angesehen werden kann, muss man doch angesichts der Verunsicherung vorsichtig vorgehen. Dies heißt, dass auch die Frage nach familiär bedingtem Brustkrebs in die Anamnese vor der „Pillen“-Verschreibung einfließen muss.
Nicht selten klagen Frauen, dass es während der „Pillen“-Einnahme zu Haarausfall kommt. Obwohl das „Pillen“-Östrogen (anfänglich) positiv auf den Haarzyklus wirkt, kann durch ein völliges Absinken des Östradiols lokal ein relativer Hormonmangel entstehen, der durch das „Pillen“-Östrogen nicht ausgeglichen werden kann. Als kausale Therapie wäre das Absetzen der „Pille“ zu überlegen.
Für viele Frauen ist die Zunahme des Körpergewichts, das bei den niedrigdosierten „Pillen“ kaum zu registrieren ist, ein großes Problem. Vereinzelt kommt es bei manchen Frauen tatsächlich zu einer merklichen Gewichtszunahme. Hier empfiehlt sich, während der ersten 6 Wochen der „Pillen“-Einnahme weniger zu essen. Bei Nichtbesserung ist ein Umstieg auf ein anderes Produkt ratsam.
Im November 2022 wurde mittels Aussendung des Bundesamtes für Sicherheit und Gesundheitswesen die Ärzteschaft über den Sachverhalt informiert, dass chlormadinon- und nomegestrolhaltige orale Kontrazeptiva mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Meningeomen vor allem bei höheren Dosen und über einen längeren Zeitraum im Zusammenhang zu bringen sind. Diese Erkenntnis sollte ab sofort in die Beratung einfließen und bei der Verordnung berücksichtigt werden.