Jetzt kommt Bewegung in die Reform der Allgemeinmedizin

Es gibt kein Thema, das innerhalb des Gesundheitswesens seit Jahren so intensiv und dennoch ohne nachhaltige Lösungen diskutiert wird, wie die drohenden und zum Teil schon bestehenden Lücken in der niedergelassenen ärztlichen Versorgung und vor allem im Bereich der Hausärzte, Kinderärzte und zunehmend der Gynäkologie. Primärversorgungseinheiten sollten Abhilfe bringen, doch das Modell kommt nicht so wirklich ins Laufen. Bis Jahresende sollte es eigentlich 75 derartige Einheiten – Netzwerke oder Versorgungszentren – geben. Tatsächlich sind es erst 28. Nah am Soll ist mit 10 von 11 nur die Steiermark. Doch dort wird diskutiert, ob jede Einrichtung auch wirklich eine PVE ist oder sich nur mit dem Namen schmückt.

Kritik vom Rechnungshof

Dazu kommt nun ein aktueller Bericht des Rechnungshofes, wonach Ende 2019 rund 4,6 Prozent aller Planstellen für Kassenärztinnen und -ärzte unbesetzt waren. Die Prüfer haben sich am Österreichischen Strukturplan Gesundheit orientiert, der für die 35 österreichischen Versorgungsregionen einen Richtwert zur Ärzteversorgung festlegt. Das vernichtende Urteil für die Planungen: Die Treffgenauigkeit sei gering gewesen, „weil sie regional nicht ausreichend differenziert waren, eine große Bandbreite von ±30 % aufwiesen und auf dem zuletzt verfügbaren Ist-Stand und nicht auf Versorgungszielen basierten“. Anders formuliert: Niemand weiß genau, wohin man eigentlich will, und Daten fehlen auch. Insgesamt waren 327 von 7.142 Stellen unbesetzt, haben die Rechnungsprüfer errechnet. 185 davon waren Allgemeinmedizin-Stellen.

100 Millionen für Hausärzte

Gesundheitsminister Dr. Wolfgang Mückstein (Grüne) kennt das Problem, war er doch in der Ärztekammer Referent für die Primärversorgung. Er will nun vor allem in ländlichen Regionen den wachsenden Hausärztemangel bekämpfen. Mit 100 Millionen Euro aus EU-Töpfen soll die Primärversorgung massiv ausgebaut werden. „Die zusätzlichen Mittel aus dem EU-Aufbaufonds ermöglichen es nun, unsere Pläne zur Stärkung der Primärversorgung mit voller Kraft voranzutreiben“, sagt Mückstein. Ziel sei es, durch eine Verdoppelung der Primärversorgungseinheiten bis Ende 2026 dem vor allem in ländlichen Regionen vorherrschenden Hausärztemangel gegenzusteuern, kündigt der Minister an. In fünf Jahren würde man dann aber noch immer unter den für Ende 2021 geplanten 75 Einheiten liegen.

 

 

Streit um ÖGK-Pläne

Die vom Rechnungshof in die Pflicht genommene ÖGK – genau genommen der über keine Mehrheit im Vorstand verfügende Arbeitnehmerobmann Andreas Huss – lässt nun mit ersten Plänen aufhorchen. Zur Attraktivierung von Kassenarztstellen kann sich Huss „sehr gut vorstellen, dass die ÖGK auch eigene Primärversorgungszentren führt, dass wir sozusagen als Unternehmer auftreten und in diesen Zentren auch Ärztinnen und Ärzte anstellen“. Die Ärztekammer ist davon wenig begeistert. „Kasseneigene Einrichtungen sind nicht nur ein untaugliches Mittel, um dem Kassenärztemangel entgegenzutreten, sie können sogar zu seiner Verschärfung beitragen“, warnte der Obmann der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der Steiermark, Ärztekammer-Vizepräsident Dr. Christoph Schweighofer. Die ÖGK betreibe ja jetzt schon eine Reihe von Ambulatorien, die keine bessere Versorgung bieten als niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, auf größere Städte konzentriert seien und von der ÖGK finanziell besser ausgestattet würden als niedergelassene Vertragspartnerinnen und -partner“, warnt Schweighofer. Sein Urteil: „ÖGK-eigene Unternehmen sind teuer und träge, eine soziale Krankenversicherung ist ein schlechter Unternehmer und sollte die Finger von Primärversorgungseinheiten lassen.“ MR Dr. Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, fordert, die Honorare anzuheben und die Leistungen zu verbessern. Das wäre schon jetzt möglich.

 

 

ÖGK-Obmann will Landarztquote

Huss will die Kritik nicht gelten lassen. Die Honorierung der niedergelassenen Kassenärzte werde im RH-Bericht als besonders gut eingeschätzt, gerade im Vergleich zu anderen freiberuflichen Gruppen wie Rechtsanwälten oder Steuerberatern. Auch die grundsätzliche Menge an öffentlich ausgebildeten Ärzten schätze der Rechnungshof sehr positiv und ausreichend ein. Die Probleme liegen laut Rechnungshof in der Verteilung der Ärzte auf die unterschiedlichen Betätigungsfelder. Immer mehr Ärzte würden den Weg in den kaum regulierten Privat-/Wahlarzt-Bereich wählen, weswegen immer mehr Kassenstellen unbesetzt blieben, sagt Huss.
Und er lässt mit einem weiteren Vorschlag aufhorchen: „Um dem Problem zu begegnen, schlagen wir vor, sich ein Beispiel an erfolgreichen Maßnahmen aus Deutschland zu nehmen, allen voran bei der Landarztquote. Bei der Auswahl der richtigen Hausärztinnen und Hausärzte für die Zukunft braucht es nicht nur fehlerfreie Auswendiglern-Fähigkeiten, sondern auch einen großen Fokus auf Empathie und Sozialkompetenz. Angehende Medizin-StudentInnen, die sich hierin auszeichnen und sich bereit erklären, nach dem Studium fix im öffentlichen Gesundheitssystem zu arbeiten, sollen einen Quick-Check-in fürs Medizinstudium machen können.“ Seit 2017 gibt es in Deutschland die Möglichkeit für Bundesländer, eine Landarztquote einzuführen. Ein Teil der zu vergebenden Medizin-Studienplätze werde dabei zeitlich vor den allgemeinen Zugangsprozeduren an Studierende vergeben, die sich verpflichten, nach dem Studium mindestens zehn Jahre in unterversorgten Regionen im öffentlichen Gesundheitssystem zu arbeiten.

 

 

Mückstein testet „soziales Rezept“

Auch Mückstein hat Ideen zur Attraktivierung der Allgemeinmedizin sowie der gesamten Primärversorgung. Dazu zählen neben der flächendeckenden Ausrollung von Primärversorgungseinheiten unter anderem der Ausbau der digitalen Infrastruktur und die Vernetzung der unterschiedlichen Gesundheits- und Sozialberufe sowie die Angebote zur Fort- und Weiterbildung der interprofessionellen Teams, soziale Innovationen und Maßnahmen der Inklusion. In Zukunft sollen Ärzte zudem nicht nur Medikamente, sondern auch soziale Hilfsangebote verschreiben. Das Gesundheitsministerium will mit neun Ordinationen in vier Bundesländern in einem Pilotprojekt zeigen, wie das geht. „Die ‚soziale Verschreibung‘ gilt als vielversprechender Ansatz, um die psychosozialen Bedürfnisse und die soziale Gesundheit von Menschen besser in den Blick zu nehmen und insbesondere für benachteiligte und belastete Bevölkerungsgruppen den Zugang zu gesundheitsförderlichen Angeboten sicherzustellen“, heißt es aus der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), die das Modell fachlich begleitet.

Umfrage zeigt Zustimmung

Neben der allgemeinen Gesundheitsförderung der Patienten und Prävention soll der Fokus speziell auf Belastung durch soziale Isolation und Einsamkeit, psychische Belastung und Überforderung, finanzielle Notlagen, Arbeitslosigkeit und verschiedene soziale Bedürfnisse gerichtet werden. Patienten mit nichtmedizinischen Bedürfnissen werden strukturiert an eigens dafür geschulte Fachkräfte vermittelt, die gemeinsam mit den Betroffenen Handlungsspielräume entwickeln. Wesentlich dabei ist der Aus- und Aufbau von regionalen Kooperationen, etwa mit Angeboten der Gesundheitsförderung, Wohnungslosenhilfe, Arbeitslosenunterstützung und Schuldnerberatung. Eine erste Umfrage der Ärzte Krone mit dem Nachrichtenportal relatus-med.at zeigt, dass eine Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte einem solchen Modell viel abgewinnen kann.