Der häufigste und typische Erreger des klassischen unkomplizierten Reisedurchfalls sind die enterotoxigenen Stämme von Escherichia coli (ETEC), nicht zu verwechseln mit EHEC, den enterohämorrhagischen Stämmen. ETEC sind in der Lage, unterschiedliche Formen von hitzelabilen und hitzestabilen Toxinen zu produzieren, und führen in den meisten Fällen zu milden Verläufen der Reisediarrhö.
Grundsätzlich sind diese und weitere Erreger der Reisediarrhö weltweit verbreitet; die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren und zu erkranken, nimmt jedoch nach Süden – Richtung Subtropen und Tropen – zu. Bei längeren Aufenthalten kommt es durch die permanente Auseinandersetzung mit den gleichen ETEC-Stämmen zum Aufbau einer relativen Immunität an der Darmschleimhaut, erklärt Prof. DDr. Martin Haditsch, Ärztlicher Leiter des TravelMedCenter in Leonding: „Bleibt man unter den gleichen Bedingungen in derselben Region, leidet man üblicherweise nicht laufend an Reisediarrhö-Episoden, sondern vielleicht zwei- oder dreimal, und ist in Folge vor den lokal vorkommenden Stämmen geschützt.“
Statistiken zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, in den Subtropen und Tropen an Reisediarrhö zu erkranken, zwischen 20 % und 80 % pro Monat Aufenthalt liegt. Das Risiko ist dabei nicht nur von der Region, sondern auch von der Saison und der Art des Aufenthaltes abhängig, betont Haditsch: So haben etwa Abenteuerreisende oder „Backpacker“, die selbst kochen, ein geringeres Risiko, an einer Reisediarrhö zu erkranken, als jene, die Speisen auf der Straße (also „street food“) oder in Restaurants zu sich nehmen. „Peel it, boil it, cook it or forget it“ heißt die Grundregel, wenn es um die Nahrungszubereitung in Risikoregionen geht. Realistisch betrachtet gibt es jedoch kaum Reisende, die diesen Merksatz lückenlos einhalten können („Easy to remember – impossible to do!“), erläutert Haditsch: „Man weiß mittlerweile, dass dieser Satz auf den Reisedurchfall bezogen leider in-effektiv ist, jedoch kann mit diesen Maßnahmen auch die Ansteckung mit anderen Erregern, die mittels Nahrungsmittel übertragen werden, verhindert werden. Das ist der Grund, weswegen ich allen Reisenden weiterhin die Einhaltung dieser Vorgaben empfehle – ganz nach dem Motto: Nevertheless try your very best!“
So kann man sich zumindest vor Rinderbandwurm (rohes Rindfleisch oder „medium steak“), dem chinesischen Leberegel (roher Fisch), Salmonellen, Amöben und Lamblien schützen.
Der banale Reisedurchfall ist eine selbst-limitierende Erkrankung, die etwa 2 bis 3 Tage andauert. Wenn der Durchfall auch nach Rückkehr ins Heimatland immer noch anhält, sollte nicht nach dem Gießkannenprinzip alles auf einmal abgeklärt werden, sondern in Form eines Stufenschemas, empfiehlt der Reisemediziner: „Auch im Sinne der Schonung des österreichischen Gesundheitsbudgets sollte nach der Devise ,Häufiges ist häufig, und Seltenes ist selten‘ vorgegangen werden.“
Die unkomplizierte Diarrhö ist definiert als 3 oder mehr flüssige Stühle pro Tag, gelegentlich mit Schleimbeimengungen. Die Patienten fühlen sich schwach und klagen über leichte Bauchschmerzen.
Bei der komplizierten Diarrhö leiden die Patienten unter starken Verdauungsbeschwerden mit schneidenden Bauchschmerzen, abdominellen Verhärtungen, Koliken, Schleim- und/oder Blutbeimengungen im Stuhl sowie Fieber. „Diese Symptomatik sollte weitere Differenzialdiagnosen berücksichtigen, denn nicht immer ist die Diarrhö auf einen Erreger zurückzuführen, der über den Verdauungstrakt erworben wurde“, erläutert Haditsch. Es gilt daher abzuklären, ob es sich überhaupt um eine Darminfektion oder ein Begleitsymptom einer anderen systemischen Infektionskrankheit handelt. Beispiele hierfür sind Malaria und hämorrhagische Fieber wie Ebola.
Haditsch empfiehlt, bei anhaltenden Beschwerden, den Stuhl zunächst auf die klassischen bakteriellen Erreger untersuchen zu lassen. Dazu zählen: Salmonellen, Shigellen, Yersinien und Campylobakter sowie, je nach Reisedestination, auch Protozoen.
Unbedingt sollte bei der Abklärung auch immer abgefragt werden, ob der Patient im Zuge seiner Reise Antibiotika eingenommen hat, sei es in Selbstmedikation oder durch einen anderen Arzt verordnet. „Chronische Verläufe sind gar nicht so selten auf antibiotikaassoziierte Clostridium-difficile-Infektionen zurückzuführen, an die in diesem Zusammenhang jedoch selten gedacht wird. Es kann daher durchaus sinnvoll sein, auch diesen Erreger in das Spektrum der untersuchten Pathogene miteinzubeziehen.“
Bleibt die bakteriologische Untersuchung mittels Stuhlkultur ohne Erfolg, folgt im zweiten Schritt die Abklärung hinsichtlich viraler Auslöser. Adenoviren, Enteroviren, Rotaviren und Noroviren können ebenfalls für die Durchfallerkrankung verantwortlich sein und müssen über Antigen-Nachweise oder Serologien nachgewiesen werden.
Erst wenn auch diese Erreger ausgeschlossen wurden, soll laut Haditsch mit der Suche nach den „echten Exoten“ wie Vibrionen, Plesiomonas und Aeromonas begonnen werden. „Das ist die letzte Schublade der Diagnostik, die ich öffnen würde. Vibrio cholerae ist beispielsweise zwar gut bekannt, bei Reisenden jedoch eine echte Rarität. Denn Cholera bekommt man nicht – Cholera holt man sich. Dafür muss eine massive Verletzung aller nahrungshygienischen Vorgaben stattgefunden haben – beispielsweise das Trinken von abgestandenem Brunnenwasser. Immer noch sehr selten, aber etwas häufiger, kommt es bei Reisenden hingegen zu einer Infektion mit Vibrio vulnificus durch den Genuss roher Muscheln.“
Bestimmte seltene Erreger aus dem Bereich der Protozoen, wie Kryptosporidien, Mikrosporidien oder Cyclospora cayetanensis, lassen sich nur mittels Spezialfärbungen nachweisen.
Eine symptomatische Therapie ist bei Durchfall immer angezeigt, um den Ersatz von Flüssigkeit, Elektrolyten und Energie zu gewährleisten. Haditsch verweist hierfür auf die Formulierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die unter dem Kürzel ORS („Oral Rehydration Solution“ – orale Rehydratationslösung) bekannt und online abrufbar ist.
Reisenden kann empfohlen werden, sich der ORS entsprechende, vorgefertigte Lösungen aus der Apotheke mitzunehmen. Spezielle Formulierungen für Kinder sind ebenfalls verfügbar. Gerade bei Kindern und bei Nichtverfügbarkeit anderer Lösungen hält Haditsch weiterhin an einem alten Hausrezept fest: „Cola oder ähnliche Limonaden sind zwar hyperosmotisch, ich persönlich halte sie aber dennoch für eine gute Option bei Reisedurchfall. Wenn man das Getränk 1 zu 2 mit Mineralwasser verdünnt und dann noch ein bisschen Salzgebäck dazu isst, hat man im Prinzip auch alle benötigten Komponenten zugeführt. Der große Vorteil: Es ist überall verfügbar, und die Kinder trinken es. Und wenn ich damit unterwegs einen Klinikaufenthalt mit weiteren Infektionsrisiken verhindern kann, umso besser.“
Weltweit ist eine besorgniserregende Resistenzzunahme von bakteriellen Erregern gastrointestinaler Infektionen zu verzeichnen. So sind etwa Gyrasehemmer gegen die wichtigsten Erreger von Durchfallerkrankungen in Reiseländern nicht mehr wirksam: Bei Campylobakter liegt die Resistenzraten in manchen Regionen bereits bei über 80 %, wie Haditsch betont. „Derzeit ist in der Reisemedizin Azithromycin das Antibiotikum der Wahl für gastrointestinale Infektionen. Bei Campylobakter sind Makrolidresistenzen noch immer selten. Auch gegenüber Salmonellen und anderen häufigen Erregern ist die Effektivität relativ hoch. Neben der breiten Wirkung eignet sich Azithromycin besonders gut als Reiseantibiotikum, aufgrund der geringen Tablettenzahl, die mit einer hohen Compliance einhergeht. Auch ist es relativ sicher als Notfall-Selbstmedikation in der Hand des medizinischen Laien.“
Nicht jede Reisediarrhö muss kausal behandelt werden: „Der banale Reisedurchfall sollte nicht antibiotisch therapiert werden, nur bei komplizierten oder protrahierten Verläufen, mit Fieber oder Blut- und Schleimbeimengungen ist eine Antibiotika-Gabe indiziert. Das sollte unbedingt auch dem Reisenden so kommuniziert werden.“
Der zurückhaltende Einsatz von Antibiotika bei gastrointestinalen Infektionen wird dabei nicht aus globalen Überlegungen propagiert (auf die lokale Resistenzsituation hat die Antibiotikaeinnahme des Reisenden keinen nennenswerten Einfluss), sondern vielmehr aus individualmedizinischen Überlegungen, da durch die Antibiotikagabe ein Selektionsdruck auf die eigene Darmflora ausgeübt wird. „Unter der Einnahme von Antibiotika überleben jene Darmkeime mit einer höheren Resistenz und werden zur dominanten Flora. Kommt es in weiterer Folge zu einem Infekt, etwa einem Harnwegsinfekt, kann sich die Behandlung schwierig gestalten“, erläutert der Reisemediziner.
Eine primärprophylaktische Antibiotika-gabe ist grundsätzlich kritisch zu sehen und wird in der Reisemedizin nicht empfohlen. Für Haditsch gibt es zwei sehr spezielle Gruppen, bei denen eine präventive Gabe im Einzelfall in Erwägung gezogen werden kann: Neben dem Einsatz bei massiv immunsupprimierten Patienten nennt er die sogenannte „Performance Medicine“. „Geschäftsreisende, die vor Ort fit sein müssen – wie etwa der Präsident der USA oder Rockbands auf Tour, um extreme Beispiele zu nennen. Das soll aber die Ausnahme bleiben – für den klassischen Reisenden kommt eine Antibiotika-Prophylaxe nicht in Frage.“
Kinder sind aufgrund des ungünstigen Verhältnisses zwischen Körpervolumen und Körperoberfläche gefährdeter, einen schweren Verlauf zu entwickeln. Durchfall-erkrankungen oder Erbrechen führen bei ihnen wesentlich schneller als bei Erwachsenen zu Exsikkose und Elektrolytstörungen. Auch gibt es Krankheitserreger, für die Kinder anfälliger sind – ein Beispiel hierfür sind die Rotaviren: Etwa 98 % aller
Kinder weltweit haben bis zum vollendenten zweiten Lebensjahr eine Rotavirus-Infektion durchgemacht. Die regionalen Unterschiede liegen lediglich im Outcome, wie Haditsch betont: „Die Wahrscheinlichkeit, an der Rotavirus-Infektion zu versterben, ist in tropischen Ländern 50-mal höher als in der EU. Die intensivmedizinische Versorgung, die bei einem Kind mit Rotavirus-Infektion notwendig sein kann, ist meist nur in industrialisierten Ländern gewährleistet.“
Auch ältere Personen haben, bedingt durch die Immunoseneszenz, ein erhöhtes Risiko für verschiedene Infektionserkrankungen, darunter auch gastrointestinale. Hinzu kommt, dass Ältere einen schlechteren Durstreflex haben und dadurch auf Flüssigkeitsverlust verzögert reagieren sowie Defizite von Organfunktionen aufweisen können, selbst wenn diese Laborparameter noch keinen Krankheitswert haben, gibt Haditsch zu bedenken: „Diese Defizite können, auch wenn die Laborwerte unter Alltagsbedingungen noch tolerierbar sind, zu einem schlechteren Verlauf beitragen. Wenn eine ältere Person mit einem grenzwertigen Kreatinin von 1,1 mg/dl einen Reisedurchfall entwickelt, kann das schneller zu einem Nierenversagen führen als bei einer jüngeren Person mit physiologischen Nierenwerten.“
Kleine Kinder und ältere Personen haben häufig einen Mangel an Magensäure, die einen wichtigen Schutzschild gegen gastrointestinale Erreger darstellt. Der Experte rät daher zum Aperitif: „Hochprozentige alkoholische Getränke führen häufig zu einer Ausschüttung von Magensäure, die wiederum zur Erreger-Eradikation beiträgt. Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für Bitterstoffe, die man auch als Tee zu sich nehmen kann.“