Die zentralen modifizierbaren Risikofaktoren für die KHK sind die arterielle Hypertonie, die Hyperlipidämie, der Nikotinkonsum und der Diabetes mellitus. Alle diese Risikofaktoren sind gleichzeitig ein sinnvolles Ziel für sowohl primärprophylaktische Maßnahmen als auch sekundärprophylaktische Therapie. Eine Bewertung des kardiovaskulären Risikos ist entscheidend für die Indikationsstellung und für die Intensität therapeutischer Maßnahmen. Hilfreich sind hier wissenschaftlich basierte Scores, wie sie zum Beispiel durch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie bereitgestellt werden.
Hinsichtlich der arteriellen Hypertonie ist nach der Veröffentlichung der SPRINT-Studie eine ausgedehnte Diskussion über Normalwerte wie auch Zielwerte des Blutdrucks bei Risikokonstellationen entbrannt. Die SPRINT-Studie – als nichtindustriegeförderte Studie – hatte zum Ziel, eine strenge Blutdruckeinstellung mit Zielwert 120 mmHg systolisch gegen eine liberalere von 140 mmHg zu vergleichen. Hierzu wurden > 9.000 Patienten mittleren und höheren Alters mit einem Ausgangsblutdruck von > 130 mmHg und kardiovaskulären Risikofaktoren (aber ohne Diabetes!) über nahezu 5 Jahre beobachtet. Hierbei zeigte sich, dass die Gruppe mit der strikteren Blutdruckeinstellung tatsächlich ein Viertel weniger kardiovaskuläre Ereignisse hatte.
Wenngleich bei der Interpretation dieser Daten zu beachten ist, dass die Art der Blutdruckmessung (getrennter Raum, ruhige Atmosphäre, mehrere Messungen im Sitzen) vermutlich um 5–10 mmHg niedrigere Werte generiert hat als in einem üblichen Ordinationsbetrieb, so ist doch auch festzuhalten, dass selbst die liberaler eingestellte Gruppe einen durchschnittlichen Blutdruck von „nur“ 135 mmHg hatte. Die Daten unterstreichen aus meiner Sicht, dass die Einstellung des Blutdrucks an sich wichtig ist, Zielwerte aber in einem gewissen Rahmen individuell festgelegt werden können.
So sind wohl auch die neuen Leitlinien der europäischen Gesellschaften zu bewerten. Von einem Bluthochdruck wir hier zwar weiterhin „erst“ ab einem systolischen Blutdruck von 140 mmHg gesprochen, jedoch gelten Werte über 130 mmHg bereits als hoch-normal und sollen in jedem Fall eine Lebensstilberatung und -anpassung zur Folge haben sowie bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko auch eine medikamentöse Therapie in Erwägung gezogen werden.
Während das Therapieziel grundsätzlich bei einem Blutdruck von unter 130 mmHg liegt, so ist bei älteren Patienten eine Reduktion des systolischen Blutdrucks auf einen Bereich zwischen 130–139 mmHg empfohlen und auch die Schwelle für die Einleitung der Therapie bis auf 160 mmHg erhöht.
Die medikamentöse Therapie sollte prinzipiell schon als Kombinationstherapie eingeleitet werden, weil die gängigen Kombinationen (aus ACE-Hemmer/Sartan, Kalziumantagonist und HCT) geringere Nebenwirkungsraten als eine höherdosierte Monotherapie haben. Wiederum sind hier Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko auch schon besonders früh mit einer Dreifachkombination zu therapieren, während ältere Patienten gegebenenfalls auch mit einer Monotherapie behandelt werden können.
Die Verwendung von HCT ist trotz des Warnhinweises bezüglich eines erhöhten Hautkrebsrisikos immer noch möglich und in vielen Fällen sinnvoll. Die Warnung beruht auf einer retrospektiven Kohortenanalyse aus Dänemark, die viele wichtige Faktoren wie Sonnenexposition und andere Risikofaktoren nicht bewerten konnte, und ist somit nur eingeschränkt valide. Sinnvoll erscheint es aber, vor der Verwendung von HCT nach der persönlichen und familiären Anamnese bezüglich Hautkrebses zu fragen und bei diesbezüglichem Risiko die Verwendung von HCT sehr streng zu prüfen.
Auch hinsichtlich der Zielwerte für die Therapie des Lipidstatus ist die Erhebung des kardiovaskulären Risikos grundlegend. Wie schon im Österreichischen Lipidkonsensus festgehalten, staffelt auch die neue europäische Leitlinie die Zielwerte nach dem Risiko der Patienten. Zusätzlich sind die Zielwerte im vergangenen Jahr weiter reduziert worden und tragen damit den hinzugekommenen großen Endpunktstudien Rechnung. So liegt der Zielwert für Patienten für die große Gruppe mit sehr hohem Risiko (einem Mortalitätsrisiko von > 10 % im oben angegebenen ESC-SCORE oder zum Beispiel einer bekannten KHK, Diabetes mit Endorganschaden oder CKD > 3) nun bei einem LDL-Cholesterinwert von 55 mg/dl. Bei hohem Risiko (> 5 % 10-Jahres-Mortalität beziehungsweise ausgeprägte Risikofaktoren, Diabetes ohne Endorganschaden oder CKD 3) liegt das Ziel nun bei 70 mg/dl und bei moderatem Risiko entsprechend bei 100 mg/dl.
Wenn diese Zielwerte nicht mit Lebensstilmodifikation, Statinen und Ezetimib erreicht werden können, ist die Einleitung einer Therapie mit PCSK9-Antikörpern gerechtfertigt. Zwei große Studien konnten zuletzt einen signifikanten Vorteil dieser Therapie bei Patienten mit KHK zeigen. In diesen Studien, wie auch in einer weiteren Studie zur Kombinationstherapie von Statin und Ezetimib, waren LDL-Werte von circa 50 mg/dl prognostisch günstiger als solche von 70 mmHg.
Hinsichtlich des Nikotins ist sowohl primär- als auch sekundärprophylaktisch eine Abstinenz strikt anzuraten. Gerade auch in der Sekundärprävention liegen gute Daten vor, wonach nach erlebtem Herzinfarkt das Beenden des Nikotinkonsums die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Herzinfarkt um zumindest ein Drittel senken kann. Ebenso kann auch das Risiko einer Bypass-OP und potenzieller Komplikationen wie Sternuminfektionen bei Beendigung des Rauchens vor der OP erheblich reduziert werden. Überraschenderweise ist die Datenlage beim Alkohol eine andere. Hier scheint ein geringer bis mäßiger Konsum sowohl in der Primärprophylaxe als auch nach Myokardinfarkt protektiv zu wirken. Auf potenzielle Schädigungen anderer Organe und auch ein erhöhtes Herzinsuffizienzrisiko ist allerdings zu achten.
Die gemeinsame Bewertung und Therapie von Diabetes und KHK hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung und Interesse gewonnen. Grundlage sind mehrere große Studien, die die kardiovaskuläre Sicherheit neuer antidiabetischer Substanzen zeigen sollten und quasi als Nebenwirkung eine Verbesserung des kardiovaskulären Outcomes zeigten. Daher wurden bereits in einem europäisch-amerikanischen Konsensuspapier als Ergänzung einer basalen Metformintherapie primär SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Agonisten empfohlen.
Im vergangenen Herbst ging die Diabetes-Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie, die in Zusammenarbeit mit der Europäischen Diabetesgesellschaft erstellt wurde, noch einen Schritt weiter: Sie empfiehlt bei kardiologischen Patienten ohne Vormedikation SGLT-2-Inhibitoren oder GLP-1-Analoga als Erstlinientherapie und bei Patienten mit bestehender Metformintherapie die Ergänzung mit zumindest einer dieser beiden neueren Substanzklassen. Basis dafür ist, dass mehrere SGLT-2-Inhibitoren positive Effekte – insbesondere auf die Herzinsuffizienz – zeigen konnten und bei den GLP-1-Analoga zumindest für Liraglutid und im Rahmen einer kleineren Studie auch für Semaglutid signifikante Verbesserungen gezeigt werden konnten. Liraglutid scheint dabei insbesondere koronarvaskuläre Ereignisse zu verhindern, was es in der Prophylaxe der KHK besonders wertvoll erscheinen lässt.
In einer sehr großen Analyse schwedischer Daten konnte gezeigt werden, dass Diabetes-Patienten nur dann ein erhöhtes Mortalitäts- oder KHK-Risiko haben, wenn zusätzliche kardiovaskuläre Risikofaktoren bestehen. Dies verdeutlicht die Wichtigkeit einer besonders strikten Risikofaktoreneinstellung bei diesen Patienten.
Enttäuschende Daten wurden im vergangenen Herbst hinsichtlich der Primärprophylaxe mit Acetylsalicylsäure (ASS) veröffentlicht. Mehrere Studien und Analysen zeigten übereinstimmend keinen signifikanten Nutzen, selbst wenn Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko und geringer Blutungsneigung selektioniert wurden. Auch Studien, die explizit ältere Patienten oder solche mit Diabetes untersuchten, zeigten keinen Nutzen der Primärprävention. Möglicherweise lässt sich zukünftig aber mit einem Gentest der potenzielle Nutzen einer Primärprävention vorhersagen. Eine große Arbeit von vergangenem Herbst konnte nachweisen, dass das homozygote Vorliegen eines bekannten Risikogens (GUCY1A3), welches bei circa 60 % aller Kaukasier vorkommt, Patienten herausfiltert, die doch von einer Primärprävention profitieren würden, wohingegen nichthomozygote Menschen von einer solchen Therapie sogar Schaden nehmen könnten. Dies könnte zukünftig eine personalisiertere Therapie möglich machen.
Die Sekundärprävention bei manifester KHK steht weiterhin außer Frage, selbst wenn interessante Studien aktuell untersuchen, ob zukünftig nicht alternative blutverdünnende Therapien zu überlegen sein könnten.
Wissenswertes für die Praxis