Es könnte durchaus Überraschungen im Hinblick auf das Gesundheitsthema geben, heißt es hinter vorgehaltener Hand. So steht durchaus im Raum, dass es ein Ministerium für Gesundheit und Umwelt geben könnte, das es bereits zwischen 1972 und 1987 immerhin 15 Jahre lang gab, oder die Verhandler kehren zurück zum Ministerium für Gesundheit und Frauen, das es immerhin zwischen 2002 und 2017 ebenfalls 15 Jahre lang gab. Für Letzteres spricht, dass Frauen und Familie zusammen in einer Verhandlungsgruppe besprochen werden (siehe Kasten). Für ein Ministerium für Umwelt und Gesundheit spricht, dass auch die ÖVP das ehemalige FPÖ-Megaressort Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz wieder aufsplitten möchte. Gleichzeitig wird man den Grünen wohl einige Ministerien geben müssen, möchte aber Kernbereiche behalten. Beobachter könnten sich deshalb durchaus vorstellen, dass es kein Superministerium aus Umwelt, Verkehr und Infrastruktur gibt, sondern ein grünes Ministerium für Verkehr und Infrastruktur sowie eines für Umwelt, Gesundheit und Landwirtschaft. Dafür spricht wiederum, dass das Gesundheitskapitel in den Verhandlungen als „Gesundheit & Ernährungssicherheit“ tituliert ist und im ÖVP-Team für diese Gruppe auch der Vorarlberger VP-Landwirt Norbert Sieber vertreten ist.
Das sind die Verhandler der Sozial- und Gesundheitsthemen
Die Hauptgruppe 5 der Koalitionsverhandler von ÖVP und Grünen hat den Titel „Soziale Sicherheit, neue Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung“ und wird geleitet von ÖVP-Klubobmann und Sozialsprecher August Wöginger und der Wiener Vizebürgermeisterin und Sozialexpertin Birgit Hebein. Im Verhandlungsteam der Grünen erscheinen weiters die Vorarlberger Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker, Markus Koza, Ökonom, grüner Gewerkschafter und ehemaliger Geschäftsführender Vorsitzender der Grünen und unabhängiger Gewerkschafter im ÖGB, der Wiener Klubobmann der Grünen David Ellensohn, die Journalistin und NR-Abgeordnete Sybille Hamann, der Chef der OÖ Grünen, Stefan Kaineder, Ulrike Schwarz, ehemalige Arzthelferin, Behindertenarbeiterin und mit 16 Jahren im OÖ-Landtag ein grünes Urgestein, sowie Ewa Ernst-Dziedzic, die ab 2008 im Parlamentsklub der Grünen tätig war und Frauensprecherin der Wiener Grünen ist.
Im Verhandlungsteam der ÖVP finden sich Ex-Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß, die Salzburger Abgeordnete und Unternehmerin Tanja Graf, die seit 2010 Berufszweigsprecherin der Arbeitskräfteüberlasser für die Wirtschaftskammer Salzburg ist und seit 2016 als SVA-Vertreterin in der Kontrollversammlung des Hauptverbandes sitzt, VP-Gesundheitssprecherin Gaby Schwarz, Behindertensprecherin Kira Grünberg, der Vorarlberger Landwirt und NR-Abgeordnete Norbert Sieber, Claudia Plakolm (OÖ Jugendsprecherin), Ingrid Korosec (VP-Pensionistenvertreterin), die Gesundheitslandesräte Christine Haberlander (OÖ) und Christopher Drexler (Steiermark), der Landesgeschäftsführer der OÖVP Wolfgang Hattmannsdorfer, Doris Hummer (Präsidentin der OÖ Wirtschaftskammer) sowie PVA-Generaldirektor Winfried Pinggera und ÖGK-Generaldirektor Bernhard Wurzer.
Sie alle behandeln in Fachgruppen folgende Themen: Armutsbekämpfung, Pflege, Pensionen, Arbeit, Gesundheit & Ernährungssicherheit, Frauen, Menschen mit Behinderungen/Inklusion sowie Familie & Jugend.
Sicher ist jedenfalls, dass sich die ÖVP die Reform der Sozialversicherungen nicht wieder rückgängig machen lassen will. Und so sitzen für manche Beobachter durchaus überraschend auch die beiden Masterminds der Sozialversicherungsreform, PVA-Generaldirektor Winfried Pingerra und ÖGK-Generaldirektor Bernhard Wurzer, im türkisen Verhandlungsteam. Die Frage wird aber sein, ob man für den Fall des Scheiterns der Reform nicht lieber einen grünen Minister in der Verantwortungsposition hat als einen aus den ÖVP-Reihen. Spannend wird zudem sein, wohin die Reise im Hinblick auf die Bundesländer und die duale Finanzierung im Gesundheitsbereich gehen wird. Für die ÖVP sitzen immerhin die Gesundheits- und Spitalslandesräte Christine Haberlander (OÖ) und Christopher Drexler (Steiermark) am Verhandlungstisch. Haberlander gilt als ministrabel, hat aber schon 2017 dankend abgewunken. Für den Sozialbereich haben jedenfalls auch die Grünen einige ministrable Kandidaten, stellen sie doch in Vorarlberg, Tirol und Salzburg auch die jeweiligen Landesräte.
Inhaltlich sind die Positionen von ÖVP und Grünen in Gesundheitsthemen durchaus bekannt. Überschneidungen in den Positionen gibt es vor allem beim Ausbau der niedergelassenen ärztlichen Versorgung: Einigkeit herrscht beim Facharzt für Allgemeinmedizin, bei der Ausweitung und Förderung der hausärztlichen Praktika und Lehrpraxen, bei Hilfen zur Praxisgründung, bei der Reduktion von Bürokratie und auch bei anreizgesteuerten Hausarzteinschreibemodellen sowie einheitlichen Leistungskatalogen für alle Krankenversicherungen. Eine Umfrage von Ärzte Krone und dem Onlineportal RELATUS MED bei den Parteien im Wahlkampf hat allerdings auch Konfliktthemen gezeigt. Während die ÖVP für Selbstbehalte im ASVG-Bereich ist, sind die Grünen dagegen. Die Finanzierung der Pflege will die ÖVP bekanntlich über eine beitragsfinanzierte Pflegeversicherung aufstellen. Die Grünen wollen ein steuerfinanziertes System. Keine Zustimmung gibt es von beiden Parteien zur Ausweitung der ärztlichen Hausapotheken. Hier legt sich auch ÖGK-Chef und Mitverhandler Bernhard Wurzer quer. Er zeigt sich zudem im Hinblick auf den Wunsch von Ärzten nach der Erhöhung von Honoraren skeptisch. „Es gibt jeden Euro nur einmal. Jede Erhöhung geht zu Lasten der Versicherten und nimmt Spielraum für neue Leistungen und für die Leistungsharmonisierung.“
Die Grünen vertreten im Hinblick auf Gesundheitsthemen die Position, den niedergelassenen Bereich zu stärken und kooperative Formen wie Gemeinschaftspraxen, Primärversorgungseinheiten und Kooperationen unterschiedlicher Gesundheitsberufe zu stärken. Das würde die Kosten zwar nicht reduzieren, aber bessere Leistungen für dasselbe Geld ermöglichen, heißt es aus dem Kreis der Verhandler. Um die regionale Versorgung mit Ärzten und anderen Gesundheitsdienstleistungen zu sichern, braucht es ein Bündel an Maßnahmen: Die Grünen haben bereits im Wahlkampf mehr Ausbildungsplätze für Allgemeinmediziner und verpflichtende Lehrpraxis in extramuralen Ordinationen für alle Medizinstudenten gefordert sowie Unterstützung bei Praxisgründungen und Bildungsangebote für Selbstständigkeit. Ähnlich wie es auch Wurzer schon anklingen hat lassen, ist man für verbesserte Kassenverträge – weg von reinen Einzelleistungshonoraren mit Limits hin zu kostendeckenden Grundpauschalen mit regionalen Zuschlägen.
Wichtig ist der Ökopartei auch das Thema Prävention, und hier sieht man durchaus einen Zusammenhang von Umwelt und Gesundheit. „Für die Grünen sind in der Gesundheitspolitik und im Kampf gegen Krankheit allerdings wesentlich umfassendere Maßnahmen notwendig als nur die ausreichende Versorgung mit Medikamenten und gute medizinische Infrastruktur“, hieß es im Wahlkampf. Gesundheitspolitik müsse als Querschnittsmaterie verstanden werden. „Um die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten, brauchen wir viel weitreichendere Maßnahmen wie aktiven Klimaschutz und nachhaltige Landwirtschaft. Hitzerekorde, verpestete Luft und schmutziges Wasser sind genauso Gesundheitsrisiken wie pestizidbelastete Lebensmittel.“ Durch eine Umstellung auf nachhaltige Landwirtschaft und aktiven Klimaschutz könnten diese Risikofaktoren für die menschliche Gesundheit vermieden werden. Hier ist er also wieder – der Zusammenhang von Umwelt und Gesundheit, der nicht zum ersten Mal in Österreich auch in einem gemeinsamen Ministerium abgebildet werden könnte.
Wie eine Zusammenarbeit von ÖVP und Grünen aussehen kann, zeigt aktuell auch Vorarlberg, wo dieser Tage Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) seine Regierungserklärung für Schwarz-Grün II im Ländle dargelegt hat. Vorarlberg soll bis 2035 „chancenreichster Lebensraum für Kinder“ werden, heißt es da. Die Schwerpunkte legen ÖVP und Grüne in Vorarlberg auf Wirtschaft, Umwelt und soziale Themen wie Pflege und leistbares Wohnen. Im Gesundheits- und Sozialbereich will Schwarz-Grün II laut Wallner einer Zweiklassenmedizin entgegenwirken und beste Gesundheitsversorgung frei zugänglich halten. Bei der Pflege gelte weiterhin „ambulant vor stationär“, eine Fachkräfteoffensive in allen Pflegebereichen ist geplant.