Aggression, Wut und Feindseligkeit folgen auf Angst vor Nichtfassbarem, Panikmache und die Enge, die wir alle in den letzten 2 Jahren erlebt haben. Und doch sind all diese emotionsgeladenen Bilder unserer Zeit, die durch Medien und unsere Köpfe geistern, Zeichen dafür, dass wir zumindest eines nicht mehr sind: gleichgültig und politikverdrossen. Jeder in diesem Land hat (s)eine Meinung, ist sein eigener Experte und weiß, wie Corona „gemacht gehört“. Lautstark und polternd verschaffen wir uns Gehör, ja, auch wir Ärzt:innen. Schließlich wüssten wir am besten, was zu tun ist, oder? Wohl nicht einmal dann, wenn das Leben nur aus Medizin und Gesundheit bestünde …
Der Krieg tobt in Europa, nicht anonym und irgendwo weit weg. Viele Ältere werden zum zweiten Mal in nur wenigen Jahren an Erlebtes ihrer Jugend erinnert. Die Dramatik dieser Ereignisse betrifft uns alle, wird Teil unseres Lebens und ist durch unser schon sehr intensives Medienzeitalter allzeit präsent.
All diese Spannung wird zunehmend auch in unsere Ordinationen getragen. Unsere Patient:innen laden Frust, Ärger, Ohnmacht und Angst bei uns ab. Wenn diese Emotionen in geeigneter Form im Patient:innengespräch bearbeitet werden können, sind sie uns wohlbekanntes tägliches Brot. Sie kommen vielleicht oft gerade nicht zur rechten Zeit, sind aber ein wesentlicher Teil des Tuns von uns Hausärzt:innen. Und mit einem gut ausgestatteten Handwerkskoffer aus der psychosozialen, psychosomatischen und psychotherapeutischen Medizin können wir gut unterstützen.
Was aber, wenn wir selbst Ziel dieser Aggression werden? Verbale Angriffe, forderndes Verhalten, Drohungen oder gar tätliche Attacken betreffen uns direkt, sowohl in unserer ärztlichen Rolle als auch persönlich. Sie sind unangenehm, fordernd und bedeuten meist Stress für die gesamte Ordination. Sie wirken nach, beeinflussen auch noch die folgenden Patient:innengespräche, können lähmend sein. Zu oft nehmen wir diese Eindrücke mit nach Hause. Hilfreich für mich und meine ärztliche Tätigkeit in diesen fordernden Zeiten empfinde ich die Teilnahme an meiner Balintgruppe sowie die PSY-Weiterbildung.
Mein Vorsatz für die nächsten Wochen ist das Lächeln auf den Lippen am Ende des Ordinationstages – sichtbar auch mit Maske. Erstaunliches erlebe ich immer wieder trotz meiner Verhüllung bei der Untersuchung von Säuglingen und kleinen Kindern. Wenn wir fröhlich und scherzend untersuchen, lesen diese kleinen Wesen unsere gute Stimmung von unserer Augenpartie ab, sie spüren uns. Sie müssen keine Angst vor uns ablegen, im Urvertrauen dieser Kleinsten funktioniert diese Arzt-Patient:innen-Beziehung.
Lassen wir uns die Freude an unserem Beruf nicht nehmen! Wir haben viel geleistet, uns oft erschöpft, vielleicht auch manchmal verloren. Immer wieder mussten wir unsere Konzepte überarbeiten, Pläne umwerfen und neue erstellen. Wir durften aber immer gestalten, waren nicht zur Passivität gezwungen wie vielleicht viele, die ihre Arbeit oder Angehörige verloren haben oder ohne Besuch ihrer Lieben vereinsamten. Vielleicht verstehen wir den einen oder anderen „Polterer“ dann etwas besser.
Auf den folgenden Seiten haben Ihnen meine Kolleg:innen Andrea Bitschnau-Friedl und Reingard Glehr hilfreiches Rüstzeug zum Umgang mit Spannungen in der Ordination zusammengestellt. Dieses kann uns alle in der Problemlösung unterstützen.
Wir freuen uns Ihnen in den nächsten ÖGAM-News über die 8. Tagung der ÖGPAM berichten zu dürfen!