Das Positive zuerst: Die Erstmaßnahmen haben gut funktioniert. Österreich ist im Großen und Ganzen gut durch die Corona-Krise gekommen. In Pandemie- und Krisenzeiten geht es jedoch in erster Linie um globale Ziele wie Seuchenprävention und Public Health, kaum um den Einzelnen. Das Individuum mit seiner ganz persönlichen Gesundheit ist da wohl schon definitionsgemäß in der – auf gut Deutsch – öffentlichen Gesundheit subsumiert und musste wohl auch jetzt, wie zunehmend evident wird, hinter dieser zurückstehen.
Allgemeinmediziner hatten von Anfang an die Aufrechterhaltung der Basisversorgung eingemahnt und vor Kollateralschäden gewarnt. Und diese werden nun zunehmend sichtbar und von Ärzten unterschiedlichster Fachrichtungen öffentlich gemacht. Chronisch Kranke fanden teilweise keine Betreuung, Ambulanzen waren geschlossen, und auch akute Erkrankungen wurden oft erst spät diagnostiziert.
Die Fachgesellschaft für Dermatologie spricht bereits von vielen um 3 Monate zu spät diagnostizierten Melanomen. Erste statistische Daten zeigen für April bereits eine Übersterblichkeit bei älteren Personen. Sei es bei Rheumaschüben, bei verschleppten Pyelonephritiden oder Pneumonien, beim Melanom und bei vielem mehr: Es ist zu vermuten und zu erwarten, dass sich die anekdotischen Beschreibungen zunehmend in harten Daten verdichten werden. Und spätestens dann, wenn der tragische individuelle („bloße“ Einzel-)Fall in statistischen Auswertungen Niederschlag findet, wird er – hoffentlich – gesundheitspolitisches Interesse finden.
Zu optimieren ist in diesem Zusammenhang auch die Funktion von 1450. So gut die Call-Center-Logistik von der ersten Stunde an auch funktioniert haben mag, die individuelle Medizin und Behandlung dürfte für viele Betroffene mit dem Abstrich (vor allem, wenn dieser positiv war) ein schnelles Ende gefunden haben – krank hin oder her. Betroffene durften nicht zum Hausarzt, und der nicht zu ihnen …
Weitere Kritikpunkte: Ob getestet wird oder nicht, entscheidet 1450, nicht der Arzt. Und last, not least: Die Behörde informiert nur die Betroffenen, nicht den Arzt (siehe Interview mit Dr. Christoph Dachs, Präsident der ÖGAM).
Um für den weiteren Umgang mit SARS-CoV-2, für (eine) weitere Welle(n), gerüstet zu sein, müssen JETZT Strukturen geschaffen werden, die genau das verhindern: dass Patienten aus Angst vor SARS-CoV-2 den Weg zum Arzt nicht finden oder ihnen dieser versperrt ist. Dazu müsste die hausärztliche Primärversorgung gestärkt werden, mit allem, was dazugehört: Dazu sollte es auch die Möglichkeit der Testung von ärztlicher Seite geben.